Kristine Kujath Thorp, Foto: (c) Oslo Pictures

Film im Kino Koki
Sick of Myself

„Das wird ein lustiger Abend. Da sind nur Arschlöcher in dem Film“, sagt jemand, der es wissen muss. Und eines sei vorab gesagt: Das Kinodebut des Regisseurs Kristoffer Borglis, zur Zeit im Kommunalen Kino zu sehen, ist keine leichte Kost.

Zu Beginn steht die Frage, ob man ein Narzisst sein muss, um Erfolg zu haben. Die junge Signe (Kristine Kujath Thorp) ist dieser Überzeugung. „Ich arbeite in einem Café, weil ich nicht narzisstisch bin“, sagt sie. Sie muss es wissen, ist sie doch mit dem aufstrebenden Künstler Thomas zusammen, in dessen Leben es wenig Raum für Anderes neben ihm selbst und seiner Kunst zu geben scheint und für den Signe wenig mehr ist als ein Bestätigungsautomat.

Nach einem blutigen Zwischenfall im Café, bei dem Signe ohne großes eigenes Zutun zur Retterin und ihr so selbst einige Aufmerksamkeit zuteil wird, betritt die Narzisstin in ihr dann doch die Leinwand - und steckt ab diesem Punkt nicht mehr zurück. Leider ist Signe kein narzisstisches Naturtalent, wie Thomas, und so wirkt ihr Kampf um Aufmerksamkeit gerade neben diesem zunehmend verzweifelt. In einer großartigen Sequenz täuscht sie bei einem Abendessen zu Thomas‘ Ehren eine Nussallergie vor, um der Küche zusätzlichen Aufwand zu bescheren.

Als sie dann von Thomas Teller isst, kommt sie nicht umhin, auch den folgerichtigen anaphylaktischen Schock zur Schau zu stellen, um das Gesicht zu wahren, während Thomas, im Wissen um ihre Schauspielerei, verzweifelt darum bemüht ist, die Aufmerksamkeit der Gäste bei sich zu behalten. Im weiteren Verlauf entwickelt sich zwischen den beiden ein beispielloser Kampf um die Aufmerksamkeit von Freunden, Medien, der Welt - vor allem aber des jeweils anderen, an dessen Ende, so viel darf verraten werden, kein Gewinner steht.

Eirik Sæther, Kristine Kujath Thorp, Foto: (c) Oslo PicturesEirik Sæther, Kristine Kujath Thorp, Foto: (c) Oslo Pictures

Spätestens ab dem Moment, als Signe sich durch die Einnahme einer illegal beschafften Pille einen unlauteren Vorteil in diesem Kampf verschafft, wird der Film zu Karikatur. Das Medikament ruft eine ominöse Hautkrankheit hervor, die Bekannte und Medizin vor ein Rätsel stellt und ihr zunächst den erhofften Aufmerksamkeitsschub bringt. Da Thomas aber seinen Narzissmus dennoch nicht dauerhaft ablegt, schluckt Signe die Pillen schließlich in rauen Mengen. Das Ergebnis ist umwerfend grotesk. Und die gesellschaftliche Anteilnahme vorprogrammiert.

Eine Stärke des Films liegt hierbei in Borglis‘ Fähigkeit, die Welle des Absurden zu reiten. Denn zwischen überzogenen Szenen, in denen Signe wortwörtlich alles aus dem Gesicht fällt, finden sich immer wieder solche, in denen man sich selbst und vor allem auch die Mechanismen aktueller medialer Aufmerksamkeitspolitik wiedererkennt. Borglis nutzt auf diese Weise das Mittel maßloser Überzeichnung, um toxische Beziehungen, realitätsferne Selbsthilfegruppen und eine Diversität heuchelnde Modebranche anzuprangern und zwingt uns so zu Ehrlichkeit über das eigene Verhalten.

Intensiviert wird dies noch durch regelmäßige Tagträume Signes, in denen sich ihre tiefgehenden Selbstwertprobleme offenbaren und die man als Zuschauerin oder Zuschauer oft erst am Ende der Szene als Produkte ihrer Vorstellung identifiziert. So werden wir, nachdem Signe mit Hautproblemen kafkaesken Ausmaßes ins Krankenhaus eingeliefert worden ist, Zeuge, wie ein Arzt ihr vorhält, sie selbst trage die Schuld an ihrer Situation - schließlich sei sie immer schon die langweiligste im Club gewesen.

Der Film ist nicht nur thematisch, sondern auch vom schauspielerischen Aspekt her eine One-Woman-Show. Kujath Thorps Darstellung ist grandios vor allem in der Hinsicht, dass sie einer Protagonistin Authentizität verleiht, mit der sich vermutlich niemand im Kinosaal identifizieren mag, deren Geschichte einen aber dennoch an den Sitz fesselt.

Kristine Kujath Thorp, Foto: (c) Oslo PicturesKristine Kujath Thorp, Foto: (c) Oslo Pictures

Der sture Fokus auf die Thematik des Narzissmus und seine negativen Auswirkungen ist aber auch die größte Schwäche des Films. Bei aller Abwechslung, die auf szenischer Ebene durch den Wechsel von Möglichem, Absurdem und Geträumtem geschaffen wird, liegt das einzige narrative Mittel der Spannungssteigerung in immer krasseren Krankheitssymptomen und immer offensichtlicherer Selbstverleugnung vonseiten Signes. Als sie am Ende ihre Fehler endlich erkennt, schmerzt es höchstens ein wenig, sie in der Lächerlichkeit der Selbsthilfegruppe aufgehen zu sehen. Im Film kommt ihre Erkenntnis zu spät, für sie selbst, aber auch für Zuschauerinnen und Zuschauer, die schon nicht mehr daran geglaubt haben und auf die dieses Ende deshalb aufgesetzt wirkt.

Das Cinestar hat den Film übrigens bisher nicht ins Programm aufgenommen und plant dies nach Angaben des Verleihs auch vorerst nicht. Zu sehen ist „Sick of Myself“ aber noch heute Abend (29.03.2023, 20:30 Uhr) im Kommunalen Kino, samt vorgelagertem Kurzfilm, der eine wie gewohnt passende Einleitung ins Thema garantiert.


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