Filmszene aus 'Daniel Richter', (c) Pepe Danquart

NFL 2022
Daniel Richter - Irgendwo da draußen

Hier trafen sich zwei Künstler: Einer, der Titel und Thema ist und vorgestellt wird von dem anderen. In unterschiedlichen Bereichen tätig, gibt es gewisse inhaltliche Überschneidungen, und beider Namen haben guten Klang. In dieser Weise ein Team, haben sie zusammen einen inhaltlich wie formal exzellenten, zündenden Film über Kunst und Künstler und die Stellung in der Gegenwart gemacht, Titel: „Daniel Richter“.

Er ist einer der bedeutendsten bildenden Künstler der Gegenwart. Er weiß das und muss es sich nicht einbilden. Und signiert auch mal 450 Drucke eines seiner Gemälde, damit auch Leute mit wenig Geld sich gute Kunst leisten können. So gesehen, meint er, bräuchte man eigentlich keine Ausstellungen mehr. Man müsste nur einen Zeitungsstand aufstellen.

Ein Schritt aus der Tür

Pepe Danquart, *'55 in Singen/BW, politisch links-drehender Film- und Theaterregisseur und Drehbuchautor seit '80, ist bekannt und renommiert vor allem durch Kurz- und/oder Dokumentarfilme, die exemplarisch Zustand und Zustände innerhalb der Gesellschaft spiegeln. 1994 erhielt er den Oscar für „Schwarzfahrer“, einen Kurzfilm über Rassismus und Ausgrenzung im deutschen Alltag. Seine Dokumentationen über die Eisbären Berlin, Tour de France u. a. gewähren visuell exzellente Bilder vom Sport und übelkeitserregende Einblicke in die Hintergründe des Profisports. „Joschka und Herr Fischer“ über den ehemaligen grünen Außenminister und seit 2006 Lobbyisten und Berater fehlt es eklatant an Distanz.

Filmszene aus 'Daniel Richter', (c) Pepe DanquartFilmszene aus 'Daniel Richter', (c) Pepe Danquart

Danquart traf den Maler Daniel Richter, als der gegenüber einzog, Nachbar wurde und die Kontaktaufnahme bloß noch „ein Schritt aus der Tür“ war, erzählte er beim anregenden Q&A-Gespräch im Kino. „Sag mal, Daniel, warum machen wir diesen Film? Und warum jetzt?“, fragt er seinen Protagonisten zu Beginn des Films. Der Künstler holt aus, erklärt, in einem offenen Prozess überprüfbar bleiben zu wollen, spricht von Rückschlüssen über bestimmte Formen von Kunst, wenn aus einer anderen Perspektive erzählt wird.

Keine homestory sollte es werden, so Danquart, sondern ein Film über Kunst. Bildqualität, Kamera, Schnitt und Timing sind erstklassig, zeigen etwa Nuancen und tausende winziger Details aus den groß- und größerformatigen, vollgestellten Wimmelgemälden kristallscharf. Man habe nur mit so kleinen modernen Kameras gearbeitet – Danquart deutet mit den Fingern das Format einer Zigarettenschachtel an –, und höchstens zu dritt, sonst wären die vielen Reisen nicht möglich gewesen. New York, London, Tokio.

Filmszene aus 'Daniel Richter', (c) Pepe DanquartFilmszene aus 'Daniel Richter', (c) Pepe Danquart

Platz finden

Über drei Jahre hat Danquart Richter begleitet. Wir sehen zwei Papageien im Atelier herumflattern und den Entstehungsprozess der Bilder, Gespräche mit seiner Galeristin, Veranstaltungen und Ausstellungen, Weggefährt*nnen und Sammler*nnen kommen zu Wort. Ein großartiger Monolog von Jonathan Meese über Richter, die Kunst an sich und den Eindruck von Ausdruck. Den Kunstmarkt als Geschäftsfeld, Versteigerungen in grotesken sechs- bis siebenstelligen Beträgen - ein Diskurs über Kunst an sich und wer sie festlegt.

1962 in Eutin geboren und in Lütjenburg aufgewachsen, saß Richter (kein Kind von Gerhard!) schon als kleiner Junge vor Darstellungen wie z. B. Fix & Foxi-Comics und Anteilen von nicht-darstellenden Objekten „stundenlang“ (Richter). Er studierte in Hamburg bei Werner Büttner und arbeitete beim Neoexpressionisten Albert Oehlen, machte Plattencover für die Labels Buback (Goldene Zitronen, Jan Delay) und Chicks on Speed (Le Tigre, Kreidler), bevor er sich an andere Formate wagte, irgendwo da draußen. Bis zum Jahr 2000 sind seine Werke abstrakt, dann rückt das Figurative mehr in den Vordergrund, der Rest ist Gegenwartskunstgeschichte.

Filmszene aus 'Daniel Richter', (c) Pepe DanquartFilmszene aus 'Daniel Richter', (c) Pepe Danquart

Seine Bilder strahlen eine widersprüchlich-schlüssige Kraft fühlbar aus, die den Betrachter im Inneren schneller erreicht haben als das auffassungsträge Großhirn eine Ahnung entwickeln kann. Dem Künstler geht es ähnlich; er arbeitet mit skizzierten Formen, Körpern, Schatten, Linienführungen, die er nicht genauer bezeichnen kann, bis sie ihren Platz und Zusammenhang innerhalb des Bildes finden, an dem er arbeitet. Eine kreative Implosion. Ein Prozess, der frei ist, weil konkrete Planung und Kontrolle wegfallen. Der Ausdruck von Verzweiflung in den Gesichtern der sieben nordafrikanischen Schlauchbootinsassen auf dem darstellenden Gemälde „Tarifa“ (nach dem spanischen Fluchtpunkt an der Straße von Gibraltar) ist erschütternd, zieht dem Betrachter die Seele aus dem Hals.

Daniel Richter, Deutschland 2022, 117 Min, Regie: Pepe Danquart

Rolf Jäger
Rolf Jäger
Geb. 1958, freischaffender Teilzeit-Journalist im Großraum Kultur - Musik, Film, bildende Künste, Literatur. Professioneller Musikjournalist 1996-2006 (Intro, Jazzthetik, Rolling Stone, LN, Badische Zeitung u. noch paar a.m.), Kulturschaffender bei www.wolkenkuckucksheim.tv, Gitarrist seit kurz nach Konfirmation.

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