Regisseur Giorgi Abashishvili und Andres vom Ende vom Kino Koki

Eindringlicher georgisch-deutscher Film „Alles über Menschen“
Das Strahlen der Sonne, die Poesie des Mondes

Ein kleiner Junge tritt aus der Haustür, er muss zur Schule, hält einen Globus unterm Arm. Er geht drei, vier Stufen der maroden Treppe, dann stellt er sorgsam die Weltkugel beiseite, lacht laut auf und springt. Auf einer Seite der Treppe, dort, wo das Geländer fehlt, ist schon eine tiefe Kuhle. In die lässt er sich hinabsausen, wieder und wieder.

Regisseur Giorgi Abashishvili zeigt die Szene in etlichen Wiederholungen. Der Junge springt juchzend, reißt die Arme hoch, landet in der Kuhle, hüpft die Treppe wieder hinauf, springt. Es wird ihm nicht langweilig, und dem Zuschauer seltsamerweise auch nicht. Von der ersten Minute an lenkt der Film die Aufmerksamkeit auf die Details. Der Gesichtsausdruck des Jungen reißt einen sofort mit, er dreht sich jedes Mal ein wenig anders, wählt seine Absprungstelle immer ein Stückchen weiter oben.

Filmszene 'Alles über Menschen'Filmszene 'Alles über Menschen'

Im Episodenfilm „Alles über Menschen“ sind viele unterschiedliche Charaktere zu sehen, die Kamera ist oft dicht dran. Und dennoch gerät nichts voyeuristisch. Nicht einmal das Beobachten der jungen Mutter, die ihr sterbendes Kind wäscht. Sorgfältig und genau, doch nicht sezierend; gut ausgeleuchtet, doch kein bisschen grell – so lässt sich Abashishvilis Erzählweise beschreiben. Zusammen mit der Lübecker Filmemacherin Miriam Steen, die er beim Studium an der Kunsthochschule Kassel kennenlernte, schuf der Georgier einen einfühlsamen Film – eine verständnisvolle Sicht auf die Menschen, bar jeden Kitsches. Da werden nicht etwa Schwächen verschwiegen. Die chronisch meckernde Ehefrau, der durchgedrehte Philosoph, der notlügende Vater, der unsensible Liebhaber: sie alle kommen vor, ohne vorgeführt zu werden.

Filmszene 'Alles über Menschen'Filmszene 'Alles über Menschen'

„Ich habe Geschichten von Nodar Dumbadze als Grundlage ausgewählt, weil er die Menschen positiv sieht“, erzählt der Regisseur im Anschluss an die Vorführung im KoKi am Samstag. Er und Steen hatten jede Menge Übersetzungsarbeit zu leisten, bevor die Stories drehbuchreif waren: Zum einen sind Dumbadzes Texte 60 Jahre alt, und eine Oma damals hat anders geschimpft als eine Oma heute. Zum anderen haben die beiden jede zweite Episode nach Deutschland verlegt, und hier schimpfen die Omas wieder anders. Beziehungsweise haben nichts mehr zu sagen. Wie im Fall des Malergehilfen, der seinen älteren Kollegen ein selbst geschriebenes Liebesgedicht vorträgt, woraufhin die beiden Ignoranten ihm raten, nur seinem Vater nichts von dieser Marotte zu erzählen. In Dumbadzes Text war es noch die Oma, die der junge Mann hätte fürchten müssen. Sein Gedicht ist übrigens wunderbar poetisch: Er schildert, wie er im Mondenschein bei Kälte und Sturm Tränen des Glücks weint.

Kino Koki LübeckKino Koki Lübeck

In den georgischen Episoden ist es die Sonne, die groß aufscheint. Als Blenderin, unbarmherzig Glühende, als Lebensspenderin. Als eine Art Sprecherin Gottes. Doch ist auch der Mond, das Dunkle, von Gott, wie ein Priester betont. Die Sonne allerdings verteidigt er vehement: Ein Polizist, der sich über seinen Sonnenbrand beschwert, muss sich entschuldigen. So zeigt dieser Film immer wieder Sichtweisen der einen Kultur, die der anderen fremd sind. Und doch gibt es nichts im Kern Unverständliches; was fremd ist, stößt nicht ab, macht auch nicht ratlos, sondern lässt aufmerken.

Wer seinem Film den Titel „Alles über Menschen“ gibt und ihn ernst meint, hat die Latte hoch gelegt. Abashishvili und seine Mitstreiter/innen haben sich nicht übernommen. Sie zeigen Menschen, ihre Stärken und Schwächen und Schicksale auf eine stille, lebensbejahende Weise. Sie schaffen es, dass man sich in jeder Episode mit beinah jedem Charakter identifizieren kann. Wie sie das machen – das ist Kunst.

Karla Letterman
Karla Letterman
Karla Letterman ist Krimiautorin aus dem Harz mit Leidenschaft für Norddeutschland, Nebel und Schattenboxen. Lebt seit 2017 in Lübeck. Höchst interessiert an Filmen, Literatur und Sprechkunst. Thomas Schmitt-Schech ist nicht nur Fotograf mit unbezwingbarem Hang zu Nachtaufnahmen, sondern auch nebenberuflich als Tai-Chi- und Qigong-Lehrer unterwegs. Karlas liebster Lichtfänger und Schattenboxer. www.karla-letterman.de / www.lichtblick-fotokompass.de

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