Besonders zu seinem direkten Nachbarn hatte Günter Grass ein ganz spezielles Verhältnis. Gleich neben dem Günter Grass-Haus hat Kurt Thater sein Wein-Castell. Er war ein Freund und gemeinsam wurde auch das eine oder andere Glas Rotwein geleert.
Kurt Thater war außerdem das einzige Nicht-Familien-Mitglied, das Günter Grass zur Überreichung des Literatur-Nobelpreises in Stockholm 1999 begleiten durfte. Zukünftig wird es eine andere enge Verbindung geben, denn der Mietvertrag des Ladens von Thater läuft im nächsten Jahr aus. Dann soll in den Räumlichkeiten das „Tinten-Cafe“ eröffnet werden, inspiriert von Cornelia Funke, Star-Autorin und ebenfalls mit Grass gut befreundet.
Dr. Jörg-Philipp Thomsa - Direktor des Grass-Hauses, Dr. Tilmann von Stockhausen - Leitender Direktor der Lübecker Museen, Julia Wittmer - Kuratorin
Gerade um solche Freundschaften, Orte und Begebenheiten geht es in der neuen Sonder-Ausstellung im Günter Grass-Haus in der Lübecker Altstadt: "Der Nobelpreisträger von Nebenan." Themen wie Herkunft, Heimat und Zuhause stehen dabei im Mittelpunkt. Dabei war das laufende Jahr 2025 für das Grass-Haus voller Überraschungen und Unwägbarkeiten, wie Direktor Dr. Jörg-Philipp Thomsa bei der Begrüßung betonte. Zunächst war das Haus 4 Monate geschlossen, weil eine neue Licht-Anlage eingebaut werden musste und auch die Sicherheitsanforderungen der Feuerwehr umgesetzt werden mussten.
Dann entschied es sich, dass die Hansestadt Lübeck das ehemalige Wohnhaus von Günter Grass in Behlendorf wegen der zu erwarteten exorbitanten Kosten nicht als Kulturort, wie von Grass gewünscht, aufkaufen konnte. Dann aber gelang es, mit Hilfe von Stiftungen (1,9 Millionen Euro) den gesamten Nachlass von über 1.000 Objekten und 5.500 Büchern zu kaufen und dem Grass-Archiv als „Nationales Kulturgut“ in der Glockengießerstraße zu übergeben. Diese werden jetzt wissenschaftlich erforscht und teilweise bereits in der aktuellen Ausstellung ausgestellt.
Installation 'Wort-Wasserfall'
Im ersten Obergeschoss des Hauses wurde jetzt von der Kuratorin Julia Wittmer ein Parcour aufgebaut, welches den Werdegang des berühmten Schriftstellers und Künstlers Günter Grass von Danzig über Behlendorf nach Lübeck nachvollziehen lässt. Im Mittelpunkt steht eine Installation aus einem Tonnen-schweren Metall-Becken mit Rahmen, aus dem ein „Wort-Wasserfall“ rieselt.
Drumherum sind die verschiedenen Stationen seines Lebens eingerichtet. Da sieht man Grass als Sammler am Strand der Ostsee, wo er Fundstücke, wie Steine, Seile und Muscheln sammelt, man sieht ihn zusammen mit Freunden und Nachbarn aus der Glockengießerstraße, als die Nachricht der Verleihung des Literaturnobelpreises eintraf oder als Pfeifenraucher des Jahres.
Julia Wittmer vor dem Tryptichon aus der Marienkirche
Dabei hatte Grass sich immer als Flüchtling betrachtet, der wegen des Krieges seine geliebte Heimat Kaschubien in Polen verlassen musste. Seine Heimatstadt Danzig tauschte er mit Lübeck, weil beide Städte soviel Gemeinsamkeiten, wie schon die Altstadt und den Grundriss gemeinsam haben. Sein Heimat-Verständnis hat dieser Umstand sehr geprägt, wie man in vielen Teilen seiner Werke nachlesen kann. Zum Beispiel in dem Original Manuskript von seinem letzten Werk „Von der Unendlichkeit“, welches in einem Glaskasten in der Schau zu sehen ist.
Wobei Behlendorf, das idyllische Dorf im Lauenburgischen für ihn nicht nur neue Wohnstatt wurde, sondern auch „Ankunftsort, Ausgangsort und Rückzugsort“ war. Von hier zog es ihn in die Ferne, zum Beispiel nach Indien, wo er monatelang lebte und arbeitete. Aber auch in die Umgebung des Dorfes, in die Wälder und Wiesen im lauenburgischen Umland. Von Zuhause ging es aber auch zum Essen von Königsberger Klopsen nach Hamberge oder zum Arbeiten in sein Büro nach Lübeck. Dabei war er immer nahbar und ansprechbar von Menschen, die ihm zufällig begegneten. Er nahm aktiv sowohl am Dorfleben in Behlendorf, wie auch am Stadtgeschehen in Lübeck teil, wie aus vielen Fotos und Zeitung-Ausschnitten in der Schau deutlich wird.
Von Stockhausen bei der Besichtigung eines Original-Manuskriptes.
Sein Anwesen in Behlendorf hatten er und seine Frau Ute im Jahr 1985 gekauft und 1986 bezogen. Dort genossen sie gemeinsam ihren wunderbaren Garten mit Teich und Obstwiese, wie sich in vielen Bildern und Gemälden in der Schau begutachten lässt. Trotzdem war seine Reisetasche immer vorbereitet, um wegzugehen, Vorträge zu halten oder sich politisch und sozial zu betätigen. Grass mischte sich gesellschaftlich ein, setzte sich für Flüchtlinge ein, wie für die Cap Anamur von Ruppert Neudeck, die vietnamesische Flüchtlinge im Meer rettete und half, nach Europa oder in die USA zu gelangen. Dafür wurde Grass beschimpft, verunglimpft und bedroht, wie Fotos von Hakenkreuz-Schmierereien am Grass-Haus belegen.
Dieses und vieles mehr lässt sich in der wunderbaren und recht umfänglichen Ausstellung entdecken.
Insgesamt sind über 60 Gemälde, Zeichnungen, Objekte, Original-Manuskripte sowie unzählige Fotos und Zeitungsausschnitte, verschiedene Installationen und ein großartiges Video versammelt, um Einblicke zu ermöglichen, wie Grass sowohl als berühmter Schriftsteller, als auch als kritischer Beobachter des gesellschaftlichen und politischen Geschehens, aber vor allem als Mensch, Nachbar, Freund und Familienmensch gelebt hat.
Die Ausstellung läuft bis zum 13. April 2026, dem Todestag von Günter Grass. Danach ist eine weitere besondere Schau zu seinem 100. Geburtstag im nächsten Jahr geplant. Man darf gespannt sein.
Fotos: (c) Holger Kistenmacher



























