Foto: (c) Nicole Marianna Wytyczak

Florentina Holzingers "Ophelia`s got Talent" auf Kampnagel
Beste Theater-Inszenierung des Jahres zu Gast beim Internationalen Sommerfestival

Das Beste kam zum Schluss: Gerade war das zweieinhalb stündige Tanz-Theater-Spektakel der österreichischen Star-Choreografin unter tosendem Applaus zu Ende gegangen, da betrat ein Mann die ansonsten nur von Frauen beherrschte Bühne. Als Vertreter des Berliner Tanz- und Theater-Zeitschriften-Verlages überreichte er Florentina Holzinger den von einer hochkarätigen Fach-Jury ausgelobten Preis für die beste Inszenierung des Jahres 2023.

Zuvor hatte das rein weibliche Ensemble aus Tänzerinnen, Artistinnen, Musikerinnen und einer Gruppe Kinder für ein weiteres umjubeltes Tanz-Theater-Spektakel der Extraklasse gesorgt. Dabei ist Florentina Holzinger bereits zum 7. Mal zu Gast beim Internationalen Sommerfestival auf Kampnagel. Bereits mit ihrer Arbeit mit Vincent Riebeek aus dem Jahre 2011 hatte sie sich den Ruf erarbeitet, eine der provokantesten Choreografinnnen ihrer Zeit zu sein. Diesen Ruf hat sie seit Jahren durch immer wahnsinnigere und spektakulärere Gesamtkunstwerke weiter ausgebaut. Ihre vielschichtigen, oft feministisch und politisch unterfütterten Arbeiten strotzen aus Nudismus, Theatralik, Kreativität und einer überbordenden Materialschlacht an Bühnenbildern und Instrumentarien. Dabei setzt sie bewußt auf einen gekonnten Mix aus Tanz, Theater, Akrobatik, Film und live gespielter Musik.

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Mit „Ophelia`s got Talent“ greift sie einerseits tief in die Kultur-Geschichte der weiblichen Wasserwesen von der Melusine, einer mythischen Wasserfee, der griechischen Leda mit dem Schwan, der Ophelia-Figur von William Shakespeare, den Sirenen und Chimären der griechischen Mythologie bis zu der Nymphe Undine, andererseits bietet sie ein Wasserspektakel auf höchstem Pop-kulturellen Niveau.

Es beginnt mit einer fast fernsehtauglichen Talent-Show mit Jury (Inga Busch, Renee Copraij und Samoa Alvarez Ruiz), die auf weißen Sitzmöbeln und Buzzer drei zirkusreife Nummern begutachten: Eine Seiltänzerin, eine Schwertschluckerin und eine Houdini-mäßige Entfesselungskünstlerin, wobei der Trick im gläsernen Tiefseetank (planmäßig) schief geht und tatsächlich ein männlicher Bühnentechniker zur Rettung auf der Bühne erscheint. Dann ziehen sich die insgesamt 12 Co-Performerinnen ihre Stepp-Schuhe an, um Jerome Robbins´ Matrosen-Saga „On the Town“ Tribute zu zollen. Darin wird typisch „männlich“ gerangelt und gekämpft. Dann wird das imposante Bühnenbild aus Schwimm- und Tauchbecken mit verschiedenen Andeutungen von Schillers „Taucher“ und Schuberts „Forellenquintett“ bespielt.

Foto: (c) Nicole Marianna WytyczakFoto: (c) Nicole Marianna WytyczakEs folgen die gewaltsame Schwängerung der Leda durch den Schwanen-Gott Zeus und die Aufarbeitung einer realen Vergewaltigung, die Xana Novais rekapituliert, während aus dem Off das Lied „The man I love“ läuft. Alles wird filmisch dokumentiert und auf zwei seitliche Video-Screens übertragen. Auch wenn es wieder die typischen Holzinger Provokationen und Schockmomente gibt, wie live Tätowierung eines Ankers, Oberlippen-Piercing mit Angelhaken, ist die Kameraarbeit diesmal weniger auf explizite Detail-Aufnahmen weiblicher Sexualorgane ausgerichtet, sondern überlässt es dem Publikum, sich den Horror der Vergewaltigung im eigenen Kopf vorzustellen.

Aber natürlich ist die Materialschlacht noch lange nicht geschlagen. Während sich Mischwesen mit Schlangenkörper im Wasser tummeln, verfärbt sich das Wasser blutrot. Eine Ester Williams-Kopie mit Badekappe vollführt elegante Schwimmszenen, während ein gelber Helikopter von der Decke gelassen wird, um die Nixen-Schar aus den von einer Windmaschine erzeugten Fluten zu retten. Dazu gibt es tanzchoreografische Anleihen von John Neumeier (Little Mermaid) bis zu Pina Bausch und Sasha Waltz, die beide viel mit Wasser auf der Bühne experimentiert haben.

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Hinzu kommt noch ein bisschen Umwelt-Bewußtsein, wenn hunderte von Plastikflaschen im Pool landen, aber auch wunderschöne Reminiszenzen an den großen Film-Künstler Rainer Werner Fassbinder. Dessen schwüle „Querelle“-Phantasie blitzt auf, wenn das Ensemble in Matrosenjacken und unter dem gelb gefärbten Bühnenlicht einen wunderbaren Tanz vollführen.

Ein Finale, das nach dem orgiastischem Helikopterritt der wie immer nackten Performerinnen einen cleveren Schluss-Akkord setzt. Da war es natürlich auch konsequent, dass Florentina Holzinger immer noch nackt war, als sie den Theaterpreis und Blumen überreicht bekam.

Holger Kistenmacher
Holger Kistenmacher
Jahrgang 1956, freischaffender Journalist seit gut 25 Jahren, studierter Realschullehrer, praktizierender psychosozialer Betreuer, ambitionierter Fotograf und Kulturschreiber mit den Fachgebieten: Moderne Gegenwartskunst, Literatur, Musik zwischen Jazz und Rock, Nordische Filme, Moderner Tanz. Weltenbummler und Reisejournalist.

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