Internationales Sommerfestival auf Kampnagel
Eröffnung bei sommerlichen Temperaturen mit Welturaufführung

Endlich stimmen einmal die Temperaturen beim Sommerfestival. Selbst abends bei den illustren Eröffnungsreden im herrlich bunten Festivalgarten zeigt das Thermometer noch locker 28 Grad.

Kampnagel-Intendantin Amelie Deufelhart betont ebenso wie der erste Bürgermeister der Hansestadt, Peter Tschentscher die große Freude über die Rückkehr der Kunst in Zeiten von Krieg und Krisen und gerade auch die Möglichkeit, mit Kunst und Kultur aus allen Ecken der Welt für Verständigung und Miteinander zu sorgen. Auch der Fotografie-Chef-Kurator der Deichtorhallen, Ingo Taubhorn, der die Zusammenarbeit in seiner Rede mit Kampnagel beschwört, freut sich bereits auf die erstklassige Ausstellung mit Bildern noch unbekannter Fotograf/innen. Dann bedankt sich Festivalleiter András Siebold über die große finanzielle Hilfe von Sponsoren, den über 250 teilnehmenden Künstler/innen aus allen Kontinenten, aber auch besonders bei allen Technikern und Helfern, die dieses großartige Festival erst möglich machen.

Peter Tschentscher (links), Ingo Taubhorn am Mikro und András Siebold (rechts)Peter Tschentscher (links), Ingo Taubhorn am Mikro und András Siebold (rechts)

Mit reichlich Verspätung, die aber von dem entspannten Publikum mit einem erfrischenden Getränk überbrückt wird, beginnt dann das Festival mit einer Welturaufführung der irischen Tanz-Choreografin Oona Doherty, die in den letzten Jahren einen steilen Karriere-Aufstieg erlebte. Zuletzt gewann sie einen Silbernen Löwen bei der Tanz-Biennale in Venedig. Ihr Stück „Navy Blue“, (Marineblau) handelt von aktuellen Problemen der Zeit, genauso wie sie tänzerisch soziale Klassen, Gewalt und Liebe thematisiert. Dabei kommt ihr zwölfköpfiges, großartiges Tanzensemble gewollt divers daher, was Alter, Geschlecht, Herkunft und Hautfarben betrifft.

Rasant, ekstatisch beginnen die Tänzer/innen in ihren blauen Arbeiteranzügen nach Musik von Rachmaninow, der mit seiner Komposition (Klavierkonzert No.2) seine eigene Depression besiegte. Dann werden langsam aber sicher alle auf der Bühne niedergestreckt und sterben in einer blauen Blutlache. Das brutal-schöne Gegenwartspanorama wird dann von der elektronischen Clubmusik von Jamie XX abgelöst, wo es trotzig und teilweise bis an die Schmerzgrenze des Erträglichen geht. Es erfolgt eine meditative Heilung und ein fast zu Tränen rührendes großartiges Schluss-Solo eines halb nackten Tänzers, das an Dynamik und Kraft schwer zu überbieten war. Ganz großartig und endlich einmal ein einzigartiges Stück, das einer Eröffnung des Festivals hervorragend zu Gesicht steht.

Oona Doherty: Navy BlueOona Doherty: Navy Blue

Dann erstmal hinaus an die frische Luft in den bunt illuminierten Festivalgarten, wo bereits Besucher mit Kopfhörern ein stummes Tänzchen hinlegen. Auch das general-sanierte Metropolitan erstrahlt im neuen Glanz. Und auch auf der Garten-Bühne gibt es schon Musik. Dort werden in den nächsten drei Wochen diverse Lesungen, Konzerte und Kleinkunst stattfinden. Dann noch schnell ein Blick in die Ausstellungshalle, wo im Rahmen der Foto-Triennale unter dem Titel „But I´m awake“ 5 junge Foto-Künstler/innen ihre wunderbaren Bilder zeigen. Die Fotos stammen unter anderem vom erst 22jährigen David Uzochukwu, der surreale Selbstporträts zeigt, von der in Russland geborenen Maria Babikova oder auch von der Ukrainerin Julie Poly. Da sind zum Beispiel ein riesiger Foto-Ball zu sehen oder skurrile Reisende in einem Zug. In anderen Fotos geht es um Ausgrenzung, Schönheitswahn oder Unterdrückung.

Zu guter Letzt noch ein spätes Abend-Konzert der Extra-Klasse. Als neues vom Disco-Olymp war das Konzert von Hercules & Love Affair angekündigt und brachte coole New Yorker Club-Tanz-Kracher aus der Sparte Pop, Techno, Elektro und Chicago House. Der zappelige Andy Butler und sein sechsköpfiges internationales Musiker-Ensemble brachte das Feier-wütige Volk zum Tanzen und Jubeln. Mit Hammer-Rhythmen und donnerndem Gothic-Sound, der teilweise an Siouxsie and the Banshees erinnerte, brachte er die trief-schweißige KMH gänzlich zum Überhitzungspunkt. Eine wahre Startrakete zur Festival-Eröffnung.

Hercules & Love AffairHercules & Love Affair

Aber in den nächsten drei Wochen folgen noch diverse Highlights, die zu mehrmaligem Erscheinen auffordern. Meine Spezial-Tipps sind u.a. die Underground-Chanteuse und Überlebenskünstlerin Little Annie, die sich mit Whiskey-Glass in einem blauen Pool aalen wird (11.-14.8). Die Sons of Kemet, die radikalen Nu-Jazzer aus England, die ihren überwältigen Jazz mit Black Lives Matter Attitude verbinden, spielen ein Konzert in der Elbphilharmonie (17.8). Danach folgen großartige Tanzabende aus Australien (Marrungeku - 17.8 - 20.8.) und Südafrika (Jeremy Nedd & Impilo Mapantsula (18.-20.8). Und in der dritten Woche ist eine Hommage an Andy Warhol und Filmemacher Gus Van Sant (24.-27.8) sicherlich ein weiterer Höhepunkt, genauso wie „A Divine Comedy“, ein radikales drei-Stunden-Stück der Skandal-Choreografin Florentina Holzinger aus Wien, die wieder viel nackte Haut und einen wilden feministischen Höllenritt präsentieren wird (26.8.- 28.8).

Und natürlich viel, viel mehr: wie zum Beispiel ein umfangreiches Kino-Programm im Alabama-Kino, unzählige Lesungen, Tanz, Theater, Performances und jede Menge Diskurse und Vorträge zu aktuellen Themen der Zeit. Besonders hinweisen möchte ich auch noch auf eine besondere Produktion in den ehemaligen Räumen von Sport Karstadt in der Hamburger City. Dort gastiert für 3 Wochen das „Deutsche Museum für schwarze Unterhaltung und Black Music“, einer Hall of Fame für schwarze deutsche Popkultur und coole Kids der lokalen Szene.

Weitere Programminfos unter www.kampnagel.de

Holger Kistenmacher
Holger Kistenmacher
Jahrgang 1956, freischaffender Journalist seit gut 25 Jahren, studierter Realschullehrer, praktizierender psychosozialer Betreuer, ambitionierter Fotograf und Kulturschreiber mit den Fachgebieten: Moderne Gegenwartskunst, Literatur, Musik zwischen Jazz und Rock, Nordische Filme, Moderner Tanz. Weltenbummler und Reisejournalist.

Sie haben keine Berechtigung hier einen Kommentar zu schreiben.