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Kulturfabrik Kampnagel
Isländischer Abend beim Nordwind-Festival

Zum Abschluss des Nordwind-Festival mit nordischer Kunst aller Sparten gab es ein Stelldichein isländischer Künstler rund um die Choreografin Erna Omarsdottir, die Sängerin Ólöf Arnolds und den Bassisten Skúli Sverrisson.

Es begann mit einem sogenannten Borderline-Musical. Das ist ein selbst geschaffener Begriff von Erna Omarsdottir und ihrem ehemaligen Partner und musikalischem Begleiter Valdimar Jóhannsson, der ein eigenes Genre benennt, welches die „Grenzen des menschlichen Ausdrucks unter Zuhilfenahme von körperlichem, sprachlichem und klanglichem Ausdruck auszuloten versucht.

In dem gezeigten Stück, einer Co-Produktion des Theater Freiburg mit der Iceland Dance Company geht es um den griechischen Mythos von Orpheus und Eurydike und der Suche nach dem goldenen Vlies. Gleichzeitig ging es der Choreografin auch um die Auseinandersetzung mit dem Thema Liebe und Tod, nachdem ihr langjähriger Partner und künstlerischer Wegbegleiter Johann Johannsson überraschend verstorben war.

Foto (c) Rainer Muranyi Foto (c) Rainer Muranyi Gleich zu Beginn der vielschichtigen Inszenierung aus Musik, Tanz, Theater, Installation und trashigem Bilderreigen deklamiert ein Darsteller, der sich als Gott vorstellt, dass an diesem Abend dem Publikum „ein Kessel Buntes“ geboten werden soll. Und genau so kommt es. Anfänglich veranstalten die vier Freiburger Schauspieler/innen und die vier Tänzer/innen der Iceland Dance Company eine Art Ringelreihen mit runden Trampolinen, die gedreht, gewendet und behüpft werden.

Dazu wird der Orpheus-Mythos erklärt. Dabei geht es um zwei Liebende (Orpheus und Eurydike), aber auch um den antiken Demeter-Mythos, (Demeter - die Mutter der Fruchtbarkeit), die Argonauten-Saga und den Hades (die Unterwelt). In der Arbeit von Omarsdottir wird die griechische Mythologie mit Ritualen aus der Natur, Verweisen an die Popkultur (I was born to love you und Britney Spears), das Internet und seine Messenger (wieviel Follower hast du?) und mit hymnischer Musik, den Orphischen Hymnen verquickt.

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Zu sehen sind wunderbare Bilder von unheimlichen Gestalten in Ganzkörperstrümpfen, ein riesiges goldenes Vlies, in das sich Orpheus zu einer güldenen Statue einwickelt oder ein gärtnerisches Detail, in dem Orpheus von den anderen mit Harken, Schaufeln und Rechen bearbeitet wird. Mal einschläfernd wie ein Provinz-Theater, dann wieder aufregend und schrill wie modernste Gegenwartskunst changiert das Stück zwischen hoher Kunst und trashigem Kitsch.

Wobei das ewige Kreiseln nicht nur ein Tanzen im Kreis sondern auch ein Kreisen um das eigene Ego ganz bewußt so inszeniert wird. Vielschichtiges Erzählen und kaum verständliches Gebrabbel löst sich ab mit rasanten Drehungen und Läufen auf allen Vieren am Boden. Es wird gesungen und gescherzt, gelacht und gejammert. Am Ende erinnert man sich vielleicht an die Aufforderung von Erna Omarsdottir im Begleittext: „You have to put your Brain away“. Vielleicht hätte ich die Performance eventuell sogar mehr geschätzt, wenn ich vorher mein Hirn ausgeschaltet hätte.

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Nach dieser etwas zwiespältigen Theater-Tanz-Musical-Inszenierung wurde der Abend fortgeführt von einem recht eigenwilligen Konzert. Auf der Bühne saßen zwei Musiker/innen aus Island, die den typischen sphärischen Sound ihrer nordischen Insel zwischen Sigur Ros, Jönsy und Björk produzierten. Der Bassist Skúli Sverrisson liess seinen Bass mit Hilfe von viel Echo und Elektronik teilweise klingen wie ein ganzes Orchester, das gezügelt wurde wie ein Metal-Musiker kurz vor dem Ausbruch.

Dazu sang die blonde Sängerin Ólöf Arnalds isländische Texte, die mal nach Björk, dann wie Kindergesang oder in den hohen klassischen Lagen wie Cate Bush klangen. Trotz schicker schwarzer Bekleidung mit hübschen Rüschen, wirkte die Sängerin zunächst etwas derangiert, als sie versuchte, ihre verstimmte Ukulele zu richten. „Die Instrumenten mögen das Hochwasser und die Feuchtigkeit“ nicht, erklärte sie in wunderbaren Deutsch-Versuchen mit isländischem Anklang. Außerdem war ein Flugzeug wegen Sturm gecancelt worden und der Wind und das angekündigte Hochwasser in der Elbe würden sie außerdem verunsichern. Dabei stammt sie doch von der kalten stürmischen Insel Island im Nordatlantik.

Foto: (c) Ólöf Arnalds & Skúli SverrissonFoto: (c) Ólöf Arnalds & Skúli Sverrisson

Trotzdem wurde es noch ein ganz erstaunliches Konzert mit andächtig lauschendem Publikum auf sehr ungemütlichen Holzkästen als Sitzgelegenheiten und Corona-Masken. So langsam aber sicher wurde man in diese mystische Musik voller Schall und Echos eingesogen. Ein minutenlanges Zwiegespräch zwischen Bass und akustischer Gitarre verführte zum Schließen der Augen und Wegfliegen in nordische Hemisphären. Der ätherische, jenseitige Gesang, der auch schon als „unmöglich schön“ bezeichnet wurde, tat ein übriges. Auch wenn man die isländischen Texte nicht verstand, wurde dieser musikalische Ausklang des Nordwind-Abends noch ein ganz besonderes Vergnügen der nicht erwarteten Bilder und Klänge. Dafür Tusend Tak.

Holger Kistenmacher
Holger Kistenmacher
Jahrgang 1956, freischaffender Journalist seit gut 25 Jahren, studierter Realschullehrer, praktizierender psychosozialer Betreuer, ambitionierter Fotograf und Kulturschreiber mit den Fachgebieten: Moderne Gegenwartskunst, Literatur, Musik zwischen Jazz und Rock, Nordische Filme, Moderner Tanz. Weltenbummler und Reisejournalist.

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