Noch vor 2 Jahren hat die Berliner Choreografin und designierte künstlerische Leiterin des Staatsballetts Berlin die Elbphilharmonie miteröffnet. Jetzt war sie erneut mit ihrem multikulturellen Ensemble in Hamburg zu Gast. Viermal vor ausverkauftem Haus in der großen Halle K6 auf Kampnagel präsentierte Sasha Waltz ihr neuestes Werk „Kreatur“.
Angetrieben durch eine industriell anmutende Soundcollage von Soundwalk Collective mit dröhnenden, rhythmischen, teils bedrohlichen Klängen erobern die 14 Tänzer und Tänzerinnen in Silber glänzenden Kokons langsam, tippelnd den dunklen Bühnenraum. Unterstützt wird das expressionistische Bewegungsbild von einem feinem Lichtdesign von Urs Schönebaum. Die sensationellen Kostüme von Iris van Herpen und das minimalistische Bühnenbild, das nur aus einer weißen Treppenkonstruktion im schwarzen Bühnenraum bestimmt wird, schaffen Bilder von Vereinsamung, Kollektivierung, Aggressivität und Zuneigung.
Wunderbar ist gleichzeitig die Zusammenstellung der Tanztruppe, die aus alten und jungen Tänzerinnen aus allen Ecken dieser Welt zusammen gewürfelt ist. Eine Tänzerin ist sogar schwanger. Alle sind in hautfarbene Unterhosen gekleidet, die sich den jeweiligen Hautfarben angleichen, fast nackt erscheinen. In episodenhaften Sequenzen geht es von der Geburt über die zaghafte Annäherung an die Gemeinschaft zu den Kämpfen des Individuum mit dem Kollektiv. Außenseiter, wie die mit den roten Haaren, werden identifiziert und herum geschubst und ausgegrenzt. Aggressivität und Liebe liegen dicht beisammen. Man drängelt sich eng aneinander auf der Treppe, trotzdem gibt es Abstürze und Fluchten über die Mauer. Das Ganze ist von zappelig bis filigran, von Computer-mäßig abgehackt bis weich fließend hochkonzentriert und atemberaubend gut getanzt.
Trotzdem wirken die einzelnen Sequenzen teilweise plakativ und einfach gestrickt. Da hilft die ganze Diversität der Tänzerinnen, die unterschiedlichen Charaktere, die Alters- und Größenunterschiede, die Hautfarben wenig. Fast schon peinlich die Schlusssequenz, wenn zu dem Schlafzimmer-Heuler von Serge Gainsbourg „Je táime“ die Liebe und Sexualität entdeckt wird. Hier wäre weniger Aufdringlichkeit, dafür mehr Feinfühligkeit angesagt gewesen. Da bleibt nichts geheimnisvoll, unklar, abstrakt. So geht ein Abend voller Schönheit der Bilder und tänzerischer Extraklasse doch ein wenig in Ratlosigkeit zu Ende. Schade eigentlich.