Eine riesige Satellitenschüssel dreht zu Beginn der Vorstellung einsam ihre Kreise. Ein Lichtstrahl scheint aus einem Loch zu strahlen, während die Musik vom legendären japanischen Ausnahmemusiker Ryuichi Sakamoto auf diesen mythologischen Tanzabend namens „Omphalos“ einstimmt.
Inhaltlich geht diese Arbeit vom Choreografen Damien Jalet (Frankreich/Belgien) von der altgriechisch-mexikanischen Erzählung aus, dass Zeus eines Tages zwei Adler von beiden Seiten der Welt aussandte, um das Zentrum, den Nabel der Welt (Omphalos) zu erkunden, der wiederum von einer Schlange bewacht wird. Adler und Schlange sind auch das Symbol der Stadt Mexiko-City, dessen Etymologie „Nabel des Mondes“ bedeutet.
Genau aus diesem Zentrum der riesigen Schüsselkonstruktion steigen vier glitzernde Gestalten in Gold, Silber, Blau und Rot. Diese Adlerfiguren mit ihren wunderbaren Kostümen aus Vogelhelmen und Fransen-Klamotten ziehen nacheinander 16 archaische Monsterfiguren, deren Köpfe an Schläuchen, wie an der Nabelschnur hängen, aus dem Loch. Gespenstisch robben diese Unterwelt-Gestalten über die schief stehende Bühnenkonstruktion. Langsam schälen sich die Figuren aus ihren Kostümen und häuten sich zu bunt bemalten Schlangenmenschen.
Entgegen der Schwerkraft tanzen und wirbeln die Tänzer und Tänzerinnen der mexikanischen Tanztruppe „Ceproduc“, angetrieben von einem rhythmisch hypnotischen Soundtrack von Sakamoto und Marihiko Hara, scheinbar mühelos gegen alle Gesetze von Gleichgewicht und Erdanziehung. Organische Bewegungen fließen zu taumelnden, vibrierenden Gebilden zusammen. Mit großer Präzision und einem ganz eigenen Bewegungsrepertoire dirigiert Damien Jalet seine Tänzer/innen.
Sie erzählen von Zusammenhalt und dem Kampf gegen die Gravität des Kosmos. Dazu hängen die vier Adlerfiguren, die die vier Himmelsrichtungen symbolisieren, im Gestänge der kosmischen Schüssel. Ein ästhetisch-musikalischer Augenschmaus, während sich die drehende Konstruktion als Symbol für Unterwelt und Kosmos erweist, die seine Bewohner aufsaugt oder ausspuckt.
Plötzlich erscheinen die Tänzer/innen in moderner Street-Wear aus Hockey-Shirts und Minirock verwandelt in der Schüssel und durchleben ein ganzes buntes Menschenleben. Mit wilden, kreisenden Bewegungsformen zelebrieren sie unsere heutige Zeit. Aber der Kosmos schlägt zurück und saugt die zuvor noch jubilierenden Protagonisten unweigerlich in den Nabel der Schüssel zurück. Zuallerletzt hängen sie wie Elendsfiguren im Gestänge der Unterwelt.
Damien Jalet gelingt ein aufregender, vor allem sehenswerter Tanzabend, der durch seine Bilder, die hypnotische Musik und die mythologische Erzählweise überzeugt. Man bemerkt seine vorherigen Zusammenarbeiten mit dem Tanzmagier Sidi Larbi Cherkaoui oder der isländischen Choreografin Erna Ómarsdóttir, bei denen er häufig an preisgekrönten Produktionen beteiligt war.
Aber auch künstlerisch und musikalisch profitiert er in dieser erster Soloarbeit, die auf Kampnagel ihre Europa-Premiere feiern konnte, von Kollaborationen mit bildenden Künstlern wie Antony Gormley und Marina Abramovic oder Musikern wie Florence + The Machine und The Editors. Man darf gespannt sein, was dieses kommende Tanz-Genie in Zukunft zu bieten haben wird.