Foto: Eliza Kalcheva (Dido), Julio Morel (Aeneas), (c) Admill Kuyler

Ballettoper am Mecklenburgischen Staatstheater
Henry Purcells „Dido und Aeneas“ in Schwerin – die dramatische Liebesgeschichte zweier Geflüchteter

Henry Purcell (1659-1695) trug schon zu seinen Lebzeiten den Ehrentitel „Orpheus Britannicus“, dennoch wurde seine Oper „Dido und Aeneas“, die 1688 oder ein Jahr später in einem Mädchenpensionat uraufgeführt wurde, bis heute unterschätzt. Das betrifft beides, die musikalische Ausdruckskraft als auch die historische Bedeutung für diese Gattung, die sich noch entwickeln musste: Oper.

Schon zwei Jahrzehnte bevor Händel mit seinem Elan der jungen Form weiteren Schwung gab, hatte dieses Werk alles: ein dramatisches Geschehen, einen feinsinnig gegliederten Ablauf der musikalischen Prozesse und einen vielseitigen Vorrat von Formen im Solo, Duo und Terzett bis hin zu variablen Chorsätzen. Sie bietet zudem für den Balletttanz Musik und szenisch durchdachten Raum. Ihr einziger Nachteil ist, dass eine Aufführung so, wie sie überliefert ist, nur gerade eine Stunde dauert. Eine veritable Inszenierung an einem Opernhaus muss den Abend daher durch einen anderen Einakter strecken oder das Bühnengeschehen anderweitig längen.

Foto: (c) Admill KuylerFoto: (c) Admill Kuyler

Das Mecklenburgische Staatstheater Schwerin wählte (Premiere: 28. März 2025) den Weg, das ganze hauseigene Ballett zu beschäftigen, auch wenn dabei nur eine gute Viertelstunde gewonnen wurde. Ein paar Minuten brachte zudem der „Ausweg“ für den verloren gegangenen Prolog, der bei Purcell in das Geschehen einführen sollte. Ausgewählt wurde „Shaking and Trembling“, der erste Satz des 1978 komponierten Streichseptetts „Shaker Loops“ von John Adams. Es ist ein geheimnisvoller Titel, den der 1947 geborene amerikanische Komponist seiner der Minimal Music zuzuordnenden Komposition gab. Derlei war schon im Barock üblich, wo man solch Nebeneinander Pasticcio nannte. Adams Musik imitierte klanglich den Zeitensprung als Rauschen einer Zeitmaschine. Sie verband geschickt unser Jetzt über den Barock hinaus mit der Antike. Der Beginn war zudem Klangteppich für Didos und Aeneas‘ ersten Auftritt. Aus den Seitenlogen heraus berichten sie einzeln oder im gesprochenen Miteinander von ihrer Herkunft und ihren Gefühlen. Beide waren sie als Flüchtlinge in Karthago gestrandet. Dido, eine phönizische Königstochter auf der Flucht vor ihrem Bruder, wurde zur Gründerin Karthagos, und Aeneas, Sohn der Aphrodite, floh aus dem brennenden Troja, um im göttlichen Auftrag in Italien Rom zu gründen, Zentrum einer neuen Weltmacht, aber zugleich Konkurrent von Karthago.

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Der Text, den der Ire Nahum Tate (1652-1715) in London nach Vergils Epos „Aeneis“ verfasste, stellte den inneren Zwiespalt heraus, den Konflikt zwischen Pflicht und Neigung oder den zwischen wahrhaftiger Liebe und innerem Erstarren in Gehorsam. Beide Aspekte von Adams „Shaking and Trembling“, die symbolhaft das Zittern und Bangen, Schütteln und Beben in sich tragen, haben Reyna Bruns in ihrer Regie veranlasst, die drei Hauptfiguren, Dido und ihre Vertraute Belinda sowie Aeneas zu doppeln. So besitzen sie beides, durch ihren Gesang eine physische Präsenz und eine psychische, die Balletttanz aufdeckt. In einem Interview erläutert Brian Davis seine Rolle als Aeneas im Gegensatz zu seinem Alter Ego. Julio Morel „steht mit seinem Tanz für das Unterbewusste, dessen, was ich als Sänger im Sichtbaren, im Bewussten verkörpere. Ich bin das, was man sieht, hört, wahrnimmt. Julios Tanz zeigt den Teil von Aeneas, der mit den Augen nicht wahrnehmbar ist – sein Fühlen, seine Zerrissenheit, seine Schatten.“

So kann bei beiden Liebenden noch einmal sichtbar gemacht werden, was an Feinheiten zwar bereits die Musik, teils auch das Libretto verrät. Es sind vor allem die Zweifel daran, dass eine neue Liebe rechtens ist. Dido fühlt sich an ihr Gelübde gebunden, nach dem Tode des von ihrem Bruder Pygmalion ermordeten Ehemanns Sychaeus sich nicht neu zu binden. Tanz, auch der klassische Spitzentanz, wie er hier gezeigt wurde, lässt wunderbar sichtbar machen, wie innere Kämpfe mit neuen Empfindungen Zwiespalt bringen. Und auch Aeneas klagt am Ende des zweiten Aktes: „Eine Nacht verbracht in Freuden, in der nächsten schon der Abschied. Ihr tragt die Schuld, ihr Götter! Denn ich gehorche eurem Willen, doch leichter fiel' es mir zu sterben.“ Auch hier hilft sein Double, den Zweifel an der Entscheidung zu verdeutlichen, dem göttlichen Auftrag seine Liebe zu opfern.

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Pucells Personal ist vielseitig. Neben den drei Hauptrollen Dido (gesungen mit einem in allen Registern kräftigen und schönen Mezzo von Ekaterina Chayka-Rubinstein) und Aeneas (dem Brian Davis seinen kraftvollen und gut geschulten Bariton lieh) sowie der lebensfrohen Belinda (gesungen von Anna Cavaliera, einer springlebendigen Sopranistin) traten eine Zweite Hofdame auf (Karen Leiber) und der Erste Matrose (André Schmidtke). Ins Lager der Bösen gehörten die Zauberin (Sebastian Köpp) sowie zwei Hexen aus ihrem Gefolge (Cornelia Zink und Martha-Luise Urbanek).

Noch eines machen diese letzten Rollen deutlich. Selbst Purcell und sein Librettist Tate haben mit ihnen dem Unbewussten Raum gegeben, indem sie das Böse von einer Zauberin und ihren Gehilfinnen, den Hexen, ausführen lassen. Sie sind des Übersinnlichen mächtig und verkünden im zweiten Akt mit Vehemenz: „Das Böse ist unser Entzücken und Missetaten unsere ganze Kunst.“. Eine Besonderheit der musikalischen Gestaltung sind zudem die vielen Chorpartien. Die über 20 Stimmen des Opernchores hatten nicht nur kommentierend, auch als Mitspieler in der Gefolgschaft von Dido oder Aeneas, als Hexen oder Matrosen eine Fülle von unterschiedlichsten Einsätzen zu bewältigen.

Foto: Eliza Kalcheva (Dido), (c) Admill KuylerFoto: Eliza Kalcheva (Dido), (c) Admill Kuyler

Da das ganze 12-köpfige Ballett zu beschäftigen war, war die Bühne mit ihnen und dem Chor stets gut gefüllt (Bühne und Kostüme: Malte Lübben). Eine große Leistung war es vor allem für die raumgreifende Tanzkunst, sich in das Bühnengeschehen einzuordnen, ohne der Oper ihren Vorrang streitig zu machen. Nicht immer gelang es, wie der Schlussapplaus deutlich machte. Er belohnte bei der Premiere stärker das Ballett, zumal die Inszenierung bereits als „Ballettoper“ angekündigt war. Eliza Kalcheva als Dido, Julio Cesar Morel Alfonso als Aeneas sowie Klaudie Lakomá als Belinda hatten die Aufgaben umzusetzen, die Ballettdirektor Jonathan dos Santos für sie und das Corps de Ballet in klassischer Spitzentanzmanier oder im moderneren Ausdruckstanz für seine vielseitige Choreografie gefunden hatte. Damit entging das Theater Schwerin der Gefahr, die Handlung einfach nur zu aktualisieren.


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