Franz Lehárs weltbekannte Operette „Die Lustige Witwe“ gehört nun einmal in das Repertoire der häufig inszenierten Werke eines Stadttheaters, zu denen auch das Haus an der Beckergrube gehört. In diesem Jahrtausend ist es nach einer Aufführung im Jahre 2002 und einer zweiten 2011 nun das dritte Mal, dass die „Lustige Witwe“ einstudiert wurde. Mit ihrer Premiere am 7. September 2024 wurde gleichzeitig im Musiktheater die Saison 24/25 eröffnet.
Aber nicht nur die Auswahl der Stücke charakterisiert die kleineren Häuser. Sie haben oft den zusätzlichen Reiz, immer ein paar Charakterköpfe im Ensemble zu haben, weibliche wie männliche, die mit besonderer Verharrungstendenz punkten, gleichzeitig oft mit vielseitiger Bühnenpräsenz. Das Städtische Publikum kennt sie, fühlt sich sicher mit ihnen, wodurch sie Garanten für den Erfolg werden. So ließ sich die Rolle des Barons Mirko Zeta, des pontevidrinischen Gesandten, jetzt zum dritten Male mit Steffen Kubach und seiner mitreißenden komödiantischen Bravour besetzen. Auch seiner Bühnenfrau Valencienne, verkörpert von der absolut stilsicheren Andrea Stadel, hält er seit 13 Jahren die Treue - oder sie ihm.
Die Regie geht dagegen jedes Mal andere Wege, findet dabei oft nur holprige. Stolperfallen bieten dabei die allzu großen Bindungen an den Zeitgeist. Hier wurde z. B. der Hauptfigur Hanna Glawari, der lustigen Witwe, ihr gewaltiger Reichtum nicht einfach als Erbe geschenkt. Nein, sie musste ihn als Selfmade Woman noch beträchtlich mehren. Dafür lässt Regisseur Bruno Klimek sie einen Waschsalon samt Putzgeschwader betreiben und zudem darin eine palasteigene Sauna, in der sie den Herren tüchtig einheizen kann. In beiden, im Salon und der Sauna, geht es den Männern zudem an die Wäsche, vor allem in den besonderen, auf sie ausgerichteten Kursen, die dort zu besuchen sind. Es wird ihnen gezeigt, wie sie sich beim Windel- und Hosenwaschen emanzipieren können. Merkwürdig ist bei dem Thema, dass sie gut besucht und praktisch ausgerichtet sind. So muss manches Männerbein zur Übung entblößt werden. Selbst wenn ein Teil des Publikums schmunzelt, wird im Nebeneffekt deutlich, dass das Gendern auch beim Striptease nicht klappt. Der männliche Appeal wirkt eher gegensätzlich.
Wie so oft lässt sich das vergleichen, was vor rund 120 Jahre die Handlung von Victor Léon und Leo Stein ausmachte, mit dem, was uns heute bewegt. Das Alte könnte dabei ein musterhaftes Beispiel werden. So könnte in Ansätzen Baron Zeta auch unserem Oberfinanzwart Christian Lindner Lehrmeister für die These sein, mit allen Mitteln das Geld im eigenen Ländle zu halten, wie in Pontevedro damals so in Germany heute. Die Waschmaschinen der Firma Miele sind da ein passendes, zugleich aktuelles Vergleichsobjekt. So weit, so gut. Bruno Klimek strapaziert den Vergleich aber allzu sehr, geht ins Abstruse, wenn er, nur wenig hinter den knapp 20 Schleudermaschinen auf der Bühne versteckt, im Massensex Kinder zeugen lässt. Nach der potenten Tat und einem Waschgang in Rekordgeschwindigkeit entnehmen die stolzen Väter gar noch ihre Retortenbabys selbst den Trommeln, während die Mütter mit ihren Geburtswehen zu kämpfen haben. Die bekannten drei Fragezeichen auf der Stirn reichen da nicht.
Das ist ebenso wenig erheiternd wie das eher abgeschmackte Männerballett, mit dem die Witwe ihrem Danilo das Maxim vermiesen will. Hat sie doch Angst vor dem möglicherweise größeren Einfluss der Grisetten auf ihn? In solchen Momenten hilft nur Musik. Lehár wusste das und komponierte Schmissiges, dem sich GMD Stefan Vladar und das Orchester widmeten. Mit viel Geschick hatten sie sich der vielseitigen Partitur angenommen und dieser „Lustigen Witwe“ einen erstaunlich einfühlsamen Klang gegeben. Der schaffte es sogar, einige der Merkwürdigkeiten der Regie zu übertünchen.
Beim zeremoniellen Auftritt der leitenden Künstler zum Schlussapplaus gab es wegen dieser Szenen ein paar deutliche Buhs. Vor allem der mittlere Akt missfiel, während die rahmenden mit Spielwitz und Tempo weniger vermissen ließen, was einer Operette ansteht. Das Problem war wohl auch an diesem Abend, dass der Regisseur in der Witwe mehr als ihr lustiges Wesen entdecken wollte. Er müsste gemerkt haben, dass Hanna Glawari als Betreiberin eines Waschsalons wenig hergab. Aber er hatte in Evmorfia Metaxaki die mit Charme und mit leichter und sicherer Gestaltung überzeugende Rekreation der einst vom Zeitgeist nicht belasteten und unbeschwerten Bühnenfigur. Auch optisch war es ein Genuss, sie in ihren auffallend schönen Roben (Yvonne Forster) zu sehen. Evmorfia Metaxaki konnte sie tragen, machte sich mit ihnen zur Erscheinung und rettete in vielen Szenen das Bühnenereignis.
Ihr nahm man ab, wie souverän sie ihre Damenwahl betrieb. Zudem hatte sie in Erwin Belakowitsch, dem einzigen Gast, einen ehrlichen, zugleich dezenten Grafen Danilo Danilowitsch als Partner. Grandios war, wie der Schwerenöter aus dem Maxim dann doch schon im ersten Akt bekannte: „Dass wir so gut zusammenpassen, passt mir gar nicht.“ Grandios auch wie sich feinsinnig zwischen ihnen das gegenseitige Vertrauen wieder entwickelte. Das war hohe Theaterkunst und Lehár angemessen.
Man weiß: das Happy End gehört zur Operette. Die im Zank Verbundenen finden sich, und auch Baron Zeta behält seine Valencienne. Allein dem ewig düpierten Galan, dem Marquis Camille de Rosillon, fällt eine sehr viel schwierigere Rolle zu. Dem Hoffenden hilft allein sein wendiger, zugleich kräftiger Tenor. Mit ihm kann Noah Schaul glänzen und seinen Patz im Spiel um Ehe und Fächer verteidigen. Doch Moral oder Lust - sein Geschick bleibt offen. Damit das nicht zu sehr Thema wird, wurde geschickt das weitere Personal auf wenige Charaktere verkleinert. Zu den Verbliebenen zählt das Pärchen Vicomte Cascada (Yong-Ho Choi) und Raoul de St. Brioche (Tomasz Myśliwiec), auch die unter seiner paranoiden Eifersucht leidenden Eheleute (Thomas Stückemann und Imke Looft). Namenlos sind sie, weil das so oft so ist?
Zum Schluss sei noch die Gruppe erwähnt, die Chor des Theaters genannt wird. Ein paar sehenswerte Szenen verdankte er der Choreografie Kati Heidebrechts, wofür ihm Jens Kilian ein großes Oval mit vielen Türen und Spiegeln baute. In ihm konnte sich auch die gesangliche Geschlossenheit voll entfalten, die der Chor wiederum der sicheren Einstudierung durch Jan-Michael Krüger zu danken hatte.
Fotos: (c) Olaf Malzahn