Evmorfia Metaxaki (Salome), Foto: (c) Jochen Quast

Theater Lübeck
Lübecks „Salome“ – ein klangvoller Triumph für das Musiktheater

Unzählige Interpretationen der „Salome“ gibt es, weil sie von allen geschätzt wird, von den Musikern wie von den Darstellern und vom Publikum besonders. Grund dafür ist Richard Strauss‘ expressive, farbige wie aufwühlende Musik, wie auch Oscar Wildes Drama, das zum Libretto wurde und eine so vieldeutige wie packende Titelfigur hat.

Das eine, die Musik, will nicht nur exzellent dargeboten werden, will auch mit der Handlung auf der Bühne korrespondieren, und das andere, der Text, überrascht immer wieder damit, was alles in ihn hineinzuprojizieren ist. Beides war in Lübeck zu erleben und hatte das Publikum bei der Premiere am 18. November 2022 einhellig überzeugt.

Die Neugier auf eine neue Interpretation von Strauss „Salome“ hatte das Theater erstmals nach Corona ganz gefüllt. Vorherige Aufführungen, selbst die vom „Lohengrin“, waren noch spürbar vorsichtiger besucht. Zudem war das hochdramatische, so kraftvolle wie vielseitige Werk im Lübecker Theater seit 2009 nicht zu erleben. Es ist nun einmal ein Haus, das sich kein Jahre umfassendes Repertoire leisten kann. Das ist letztendlich nicht einmal ein Nachteil, verlangt doch jede Wiederaufnahme, sich neu mit dem Werk auseinanderzusetzen. So war eine Neuinszenierung fällig.

Ensemble, Foto: (c) Jochen QuastEnsemble, Foto: (c) Jochen Quast

Musikalisch nahm GMD und Opernchef Stefan Vladar die Sache in die Hand. Er hatte sein Orchester und sein Publikum auf Stoff und Musik im ersten Sinfoniekonzert der Saison bereits vorbereitet. Eine „Salome“ von Florent Schmitt war zu hören, eine Ballettmusik für ein großes Orchester, ähnlich farbig wie Strauss‘ Oper, aber mehr durch Orientalismen geprägt. 1911 wurde sie in Paris uraufgeführt. Schmitt hatte damit schnell auf die 1907 gespielte erste französische Bühnenfassung der Oper reagiert, die kein gutes Echo fand. Sie traf den französischen Geschmack nicht. Man wertete Salomes Tun als amoralisch, fand erträglicher, dass die Herodias den Befehl geben ließ, Jochanaan zu köpfen.

Evmorfia Metaxaki (Salome), Foto: (c) Jochen QuastEvmorfia Metaxaki (Salome), Foto: (c) Jochen QuastIn Deutschland ist das Verhältnis zu Strauss‘ „Salome“ anders. Die Hauptrolle darin ist sogar für jeden dramatischen Sopran, jung oder erfahren, sehr begehrt. Wer sie übernimmt, muss sich nur einigermaßen bewegen können, immerhin ist der Schleiertanz zu bewältigen. In Lübeck traute man Evmorfia Metaxaki das zu und erlebte, was die Sängerin, für die diese Rolle eine Premiere war, aus der Partie machte, als Sängerin gleichermaßen wie als Darstellerin. Sie hatte einen überwältigenden Erfolg.

Sie und die Regie setzten andere Akzente. Hier musste die Salome keine „femme fatale“ sein. Sie ist eine naiv ihre Wirkung erprobende Frau, die in einem nicht gerade glücklichen Familienumfeld zu sich finden muss. Ihre Obsessionen sind daher psychologisch in ihrer Entwicklung zu suchen, sind zudem sehr ungleich bei den drei Männern, mit denen sie es in Strauss‘ Kunstwerk zu tun bekommt. Zunächst ist da Narraboth, der sie schwärmerisch verehrt, dann entdeckt sie Jochanaan, den man einen Propheten nannte. Da er so abweisend und frauenfeindlich sich gebärdet, reizt es sie, es zu ändern, was, und davon erzählt die Oper, für ihn böse Folgen hat. Den dritten „Verehrer“, Herodes mit Namen, findet sie schließlich mit „seinen Maulwurfsaugen unter den zuckenden Lidern“ einfach nur widerlich. Das ist besonders schlimm, da er ihr Stiefvater ist und ihr trotzdem nachstellt.

Evmorfia Metaxaki (Salome), Wolfgang Schwaninger (Herodes), Foto: (c) Jochen QuastEvmorfia Metaxaki (Salome), Wolfgang Schwaninger (Herodes), Foto: (c) Jochen QuastDer Regisseurin Christiane Lutz war das Lübecker Theater gut vertraut. Sie hatte dort in der Saison 2005/6 als Regieassistentin immerhin sieben unterschiedliche Aufführungen betreut. Auch wenn das Personal sich geändert hatte, erleichterte es sicher, sich die Möglichkeiten des Hauses vorzustellen. Zudem hatte sie als Interpretin der Titelpartie in Evmorfia Metaxaki eine Sängerin, der eine junge Salome schon vom Phänotyp wie auf den Leib geschrieben war. Seit 2014 ist die vielseitige Griechin im Ensemble des Theaters und hat dort eine Vielzahl von Charakteren gestaltet. Der der Salome ist jetzt wohl der schwierigste, musikalisch wie darstellerisch, auf jeden Fall der differenzierteste.

Glaubwürdig muss er sein und zugleich diffus, hat sie doch bei jedem der Männer ein anderes Gesicht zu zeigen. Einfach ist das noch bei Narraboth. Dessen Zuneigung kann sie spielerisch mit vagen Versprechen gewinnen und leichthin abtun. Seinen Suizid nimmt sie kaum wahr, fühlt sich für ihn auch nicht schuldig, weil tieferer Seelenstress durch die beiden anderen das überdeckt. Herodes, der Stiefvater, wird für sie innerlich und äußerlich zum bedrängenden Problem. Großartig wie unter diesem Ansatz ihr Tanz zu einer berechnenden Aktion wird, weit mehr als nur eine Verführung. Sie bezieht den Lüstling ein, zwingt ihn, mit ihr auf dem Tisch eine Art „table dance“ zu vollziehen, vor den Augen seiner Frau, Salomes leiblicher Mutter, und vor denen der gerade anwesenden Gäste, darunter fünf Juden, die sich über exegetische Glaubensfeinheiten streiten. Als Voyeure lassen sie schnell davon ab und lassen sich sexuell so stimulieren, dass sie sich allesamt auf die Tanzende stürzen. Solch exzessives Verhalten nimmt sie erstmals und erstaunt wahr. Brillant stellt diese Szene zudem heraus, dass König Herodes sich nicht nur vor seiner Frau, auch vor der Gesellschaft gehörig bloßstellt.

Evmorfia Metaxaki (Salome), Bo Skovhus (Jochanaan), Foto: (c) Jochen QuastEvmorfia Metaxaki (Salome), Bo Skovhus (Jochanaan), Foto: (c) Jochen QuastEbenso bizarr spielt sie mit Jochanaan. Die Regie dieser Inszenierung erlaubt Nähe, gar Berührung, wenn Salome zunächst allein daran interessiert zu sein scheint, seine Aufmerksamkeit zu gewinnen und seinen Widerstand zu brechen, was ihr hier teilweise sogar gelingt. Später, wenn sie sich allein mit seinem Kopf abgibt, verausgabt sie sich wie in juveniler Verirrung und erlebt ihr Tun und ihr Verlangen nicht mehr bei Bewusstsein, eher wie in Trance. Wie von außen blickt sie auf sich und bestraft sich, indem sie sich den Puls aufschneidet. Herodes Befehl: „Man töte dieses Weib!“ stößt ins Leere, belegt nur, wie machtlos er ist - ein grandios herausgearbeiteter Höhepunkt der Regie! All das glaubhaft werden zu lassen kann nur einer Sängerin gelingen, die präzise spielt und die gleichzeitig die enormen gesanglichen Schwierigkeiten zu bewältigen fähig ist. Es sei noch einmal gesagt: Evmorfia Metaxaki machte das großartig.

Wie vielfach üblich tilgt Christiane Lutz zusammen mit Bühnen- und Kostümbildner Christian Tabakoff alle Zeit- und Ortsbezüge, entmilitarisiert sogar das schäbig wirkende Könighaus. So kann man auf Hauptmann und Soldaten verzichten. Narraboth wird zum Chef de Rang, die Soldaten mutieren zu Kellnern, wobei nur die für Getränke zuständigen mit Champagnersäbeln bewaffnet bleiben. Wenn der Vorhang sich hebt, blickt der Zuschauer nun auf die Innenseite einer Beiküche mit einem breiten Geschirr- und Gläserschrank. Eine Hinterwand, unten mit einer steril einfarbigen Kachelleiste, oberhalb von ihr billigster Gipsputz, trennt diesen Raum von dem Saal dahinter, beide verbunden durch eine Pendeltür. Sie hat ein kreisrundes Fenster, das herausgenommen wird, selbst strahlt oder spiegelt. Es ähnelt dem Mondmotiv im Libretto und wird entsprechend geschickt in zahlreiche Handlungen einbezogen, bekommt dabei neue und überraschende Bedeutungen. Ähnlich fungiert eine mit roten Äpfeln und mit Granatäpfeln anspielungsreich gefüllte Obstschale, deren Früchte für Macht, Blut und Tod stehen.

Edna Prochnik (Herodias), Evmorfia Metaxaki (Salome), Bo Skovhus (Jochanaan), Wolfgang Schwaninger (Herodes), Foto: (c) Jochen QuastEdna Prochnik (Herodias), Evmorfia Metaxaki (Salome), Bo Skovhus (Jochanaan), Wolfgang Schwaninger (Herodes), Foto: (c) Jochen Quast

All das aber macht eine Oper nicht aus, gibt der Musik allerdings eine besondere Ausdruckstiefe. Bei Evmorfia Metaxaki, deren heller Sopran wunderbar ihre schlanke, sehr jugendlich wirkende Erscheinung unterstützt, wurde bereits einiges angemerkt. Es fehlt noch der Hinweis auf ihr Minenspiel, das sie bedeutungsvoll mit ihrem Stimmtimbre zu verbinden weiß. Mit beidem fängt sie sehr sensibel ihr Erstaunen über das Verhalten von Jochanaan und des Stiefvaters ein. Ebenso exzellent sind auch die Männer geführt. Für den Jochanaan hat Lübeck einen großen Fang gemacht. Ihn singt und gestaltet Bo Skovhus. In dieser Inszenierung darf er in seiner Rolle als Jochanaan einmal Schwächen zeigen, darf sich von Salome beeindruckt fühlen, sogar entblößen, auch wenn es nur seine Hände sind, wenn er für Momente seine Handschuhe ablegt. Großartig ist, wie er mit seinem markanten Bariton den inneren Kampf gegen den Anflug von Begehren darstellt. Auch für den Herodes wurde ein ausgezeichneter Sängerdarsteller gewonnen. Wolfgang Schwaninger passt in Farbe und Stärke seine Stimme sehr genau der Unentschlossenheit und Unmoral des Herodes an. In Lübeck hat er schon einige große Charaktere gestaltet.

Evmorfia Metaxaki (Salome), Foto: (c) Jochen QuastEvmorfia Metaxaki (Salome), Foto: (c) Jochen Quast

Mit diesen beiden Gästen kommt das Theater aus, alle weiteren Partien wurden aus dem Haus besetzt. Edna Prochnik ist neu im Ensemble und gibt ihrer verzweifelten Herodias einen gut zu der Rolle passenden dunkel gefärbten Ton. Yoonki Baek, ein überaus reger und sehr geschmeidiger Tenor, singt den Narraboth und Frederike Schulten anrührend den Pagen. Sie muss im Schlussbild Salome den Kopf Jochanaans überreichen. Er liegt nicht auf dem üblichen Tablett, sondern steckt im Netz eines Strumpfes, Sinnbild dessen, worin sich der Prophet verfangen hat.

Die anderen Rollen sind gleichfalls so besetzt, dass zusammen mit dem sich groß einsetzenden Orchester, immerhin 67 Musiker im Graben und in den Logen links und rechts, eine beeindruckende Aufführung entstand, die den langen Beifall wahrlich verdiente. Selten hat der Rezensent einen so langen Applaus erlebt.

Arndt Voß
Aufgewachsen in Neumünster, in Lübeck seit 1959. Studium in Kiel und Hamburg (Musik- und Literaturwissenschaft). Ständige Mitarbeit an den Lübeckischen Blättern von 1974 bis 2014, Berichte und Kritiken darüber hinaus in einigen anderen Organen. Schwerpunktthemen: Musiktheater, Schauspiel, Konzerte.

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