Will Workman (Hamlet), Foto: (c) Thorsten Wulff

Premiere im Theater Lübeck
Shakespeares „Hamlet“ – irre gut gespielt

Shakespeares in vieler Hinsicht bewunderte Tragödie über den Dänenprinzen „Hamlet“ verträgt viel, auch die Skizzierung, die Pit Holzwarth ihr in seiner 15. und letzten Spielzeit als Schauspieldirektor in Lübeck angedeihen ließ (Premiere: 28. Und 29. August 2021 in den Kammerspielen).

Nein, es ist kein Trauerspiel, was mit dem Text geschah. Der war in Stil und Niveau ziemlich stark bearbeitet, dennoch nicht poetisch verklärt, wie das Bühnenbild mit Schneegeriesel und Geigenmusik es anfangs erwarten ließ. Von ferne mochte die Szenerie noch an Chagalls grünen Fiedler erinnern, auch der einsam und melancholisch, wozu die getragene Melodie, die Hamlet auf seiner Geige anstimmte, stimmungsvoll passte (Musik/Komposition: Achim Gieseler). Und wie auf dem Bild prägte ein Weiß den Bühnenraum. Es ist ein runder, drehbarer Laufsteg, war kontrastiv in der Mitte mit einem weichen schwarzen Material gefüllt, das das Grab von Hamlets Vater als zentrales Motiv, zugleich das böse Ende mit der Totengräberszene heraufbeschwor (Bühnenbild und Ausstattung: Werner Brenner).

Will Workman (Hamlet) und Ensemble, Foto: (c) Thorsten WulffWill Workman (Hamlet) und Ensemble, Foto: (c) Thorsten Wulff

Einige Vorhänge hinten, die wie in der Terenz-Bühne schnelle Auftritte und Abgänge ermöglichten, und darüber eine Loge mit Klavierhockern, bei dem wohl das Shakespeare-Theater Vorbild war, gaben einen stark theatralischen Anstrich, zeigten einmal wieder, dass Holzwarth einst von der „Bremer Shakespeare Company“ nach Lübeck kam. Noch vor Beginn waren auf dem Hintergrund der Empore die Namen der Schauspieler zu lesen, sieben an der Zahl, nur zwei in Doppelrollen besetzt. Mit dieser personalen Minimalisierung übertraf Holzwarth noch die letzte Inszenierung dieses Stückes vor neun Jahren, also schon in seiner Ära als Schauspieldirektor. Andreas Nathusius, auch nicht ängstlich im Streichen, hatte damals noch die Rollen geschlechtsgleich besetzt. Jetzt aber wurde aus Polonius eine Polonia, von Astrid Färber mit graumeliertem und straffem Herrenschnitt grandios serviert. Auch wenn das als ein kleiner Seitenhieb auf den Feminismus verstanden werden könnte, ist sie als Staatsrätin eine hinreißend beschlagene Intrigantin und machtgierige Untergebene.

Lilly Gropper (Ophelia), Foto: (c) Thorsten WulffLilly Gropper (Ophelia), Foto: (c) Thorsten WulffDer zweite Geschlechtertausch war noch ein wenig gewitzter. Lilly Gropper mimte nicht nur die Ophelia, also Hamlets heimliche Geliebte, sondern auch seinen treuen Freund Horatio. Was immer man darin sehen wollte, es war nur ein kleiner Haarschopf, mit dem sich ihre Rollen unterscheiden, ein winziges Utensil. Aber der Vorteil für die Inszenierung ist, dass Hamlet zwei Menschen um sich hatte, beide im Wesen gleich. Freund oder Geliebte konnten so immer beieinander sein, wurden eins für Hamlet. Zudem war Lilly Gropper eine sehr gut sprechende und agierende Schauspielerin, die ihre Auftritte zu großen Momenten im Gefüge werden ließ. Die Liebesbriefszene mit Hamlet wurde ein Kabinettstück mit Schreibmaschine, ihre Wahnsinnsszene ungemein eindringlich.

Will Workman als Hamlet war ausgesprochen sehenswert. Auch wenn ihm die Regie nur relativ wenige Momente ließ, den Hamlet als normalen Menschen zu spielen, ihn dafür mehr darin forderte, die vitale Kraft und die geistreiche Originalität umzusetzen, mit der Shakespeare seinen Hamlet ausstaffierte. „Ist es doch Wahnsinn, so hat es doch Methode“, ist eine der bekannten Sentenzen aus dem Stück, suggestiv bezwingend und mit großer Sensibilität machte Workman das im Spiel kenntlich. Von Shakespeare ist das als Spiel im Spiel anzusehen, als aufsässiges Verhalten in einer Welt voller Vorurteile und aufgezwungener Verhaltensweisen. In gleicher Weise funktionierte die Einlage des Possenspiels einer Theatertruppe, hier auf einen Spieler reduziert. Das Ziel ist klar, König Claudius sollte demaskiert werden. In Holzwarths Reduzierung wurde dies allerdings wie beiläufig angedeutet, wie auch das hinterlistig fingierte Duell Hamlets mit Laertes, Polonias Sohn und Bruder Ophelias. Es wurde zur Pantomime entschärft. Das brachte zwar Tempo in den Schluss, gab aber z. B. Johann David Talinski als Widersacher Hamlets wenig Raum im Geschehen. Workman dagegen musste den größten Teil des Textes tragen und leistete auch physisch in dieser nahezu dreistündigen Aufführung Imponierendes.

Susanne Höhne (Gertrud), Will Workman (Hamlet), Andreas Hutzel (Claudius), Foto: (c) Thorsten WulffSusanne Höhne (Gertrud), Will Workman (Hamlet), Andreas Hutzel (Claudius), Foto: (c) Thorsten Wulff

Dafür fehlten alle weiteren Gegenspieler, Rosencrantz und Güldenstern etwa. Übrig blieb als zentrales Anliegen Hamlets Konfrontation mit seiner Mutter. Hier entwickelte sich das Wortduell mit ihr zu einem weiteren Zentrum der Inszenierung. Susanne Höhne als Königin Gertrud machte aus ihrer Rolle eine grandiose Studie einer Frau, die erst durch den Sohn erfährt, mit einem Mörder liiert zu sein, die dennoch nicht von ihm lässt. Sein Onkel und meuchelnder Mörder Claudius war bei Andreas Hutzel zynisch aufgehoben. Dennoch fehlte ihm in dieser Verkürzung des Textes die Möglichkeit, seiner Rolle mehr Profil zu geben, auch wenn er immer wieder scheitert, Hamlets wahres Gesicht zu erkennen.

Sven Simon schließlich in der Doppelrolle als singender und rappender Totengräber und als schleimiger Höfling Osrick bekam die Gelegenheit, seine Gelenkigkeit zu präsentieren. Schade nur, dass er kaum verständlich war. Dennoch war dieser Moment mit seiner makabren Rolle eine der sehr gut für das Auf und Ab von Spannung und Entspannung disponierten Aufführung.

Sven Simon (Totengräber), Foto: (c) Thorsten WulffSven Simon (Totengräber), Foto: (c) Thorsten Wulff

Es waren drei spannende Stunden zu erleben, die manche ungewöhnliche Sicht brachten, ungewöhnlich vor allem, dass Hamlet seinen Auftrag zur Rache nicht von dem Geist seines Vaters allein erhielt. Hier war es ein Auftrag von allen Mitspielern, die sich in schwarzer Vermummung auf dem Laufsteg um ihn drehten. Jeder spielte mit in dieser Entscheidung, aktiv oder passiv, als Bremsender oder Treibender. Alle zusammen stehen für die innere Zerrissenheit, verkörpern das Zaudern, die Gewissensqualen des Titelhelden, den der bedrückende Auftrag ihm bringt, zum Mörder zu werden.

Langen Beifall gab es für eine ungewöhnliche Bearbeitung, die in der Handlungsfolge manches umstellte, aber in sich schlüssig blieb, die auch auf Autoren anspielte, die Shakespeare verpflichtet waren (Brecht, Sartre). Der Beifall galt zudem einem ungemein engagierten Ensemble.

Arndt Voß
Aufgewachsen in Neumünster, in Lübeck seit 1959. Studium in Kiel und Hamburg (Musik- und Literaturwissenschaft). Ständige Mitarbeit an den Lübeckischen Blättern von 1974 bis 2014, Berichte und Kritiken darüber hinaus in einigen anderen Organen. Schwerpunktthemen: Musiktheater, Schauspiel, Konzerte.

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