Mit den Namen Hans und Greta ist es spannend. Eine Greta ist bekannt, weltbekannt. Ist die gemeint, die für das Klima kämpft?
Die auf dem Werbeplakat für „Hans und Greta“ erinnert mit ihrer butterblumengelben Haarpracht auch irgendwie an eine berühmte junge Schwedin, an die mit den langen Strümpfen. Aber wer ist Hans? Gerade am Nikolaustag durften sie nun erstmals über eine Bühne tollen, sich streiten und verbotenerweise von einer Torte naschen. Mit der schwedischen Greta hat diese Greta und auch das, was dort ablief, freilich nichts zu tu.
Die Lübecker Greta spielt nicht Welttheater, sie ist mit dem kleinsten Raum im Theaterhaus an der Beckergrube zufrieden und, soviel lässt sich schnell erraten, erinnert irgendwie an Gretel, die Grimmsche. Bei diesem Namen wird jedem klar, dass der andere, der Junge, natürlich Hänsel vertritt. Als Geschwisterpaar haben die beiden alljährlich zur Weihnachtszeit Großkonjunktur, in Lübeck wie in vielen anderen Städten.
Giacomo Schmidt (Hans), Lea Bublitz (Greta)Das geht natürlich nur immer im größten Saal des Hauses, weil Pauken und Trompeten und viele Geigen nötig sind, das stimmungsvoll zum Klingen zu bringen, was Humperdinck komponiert hatte. Der hieß auch nicht Hans, sondern Engelbert, aber er hatte eine Schwester, wie Hänsel eine jüngere, mit der er viel unternahm, unter anderem das, sich Stücke auszudenken. Sie kümmerte sich um den Text und er um die Musik. Nur hieß auch sie nicht Greta oder Gretel, sondern Adelheid. Eines der Werke, das sich diese beiden ausdachten, ist als „Hänsel und Gretel“ weltbekannt wurde.
Erwachsene lieben die Oper, die Kinderschreckfiguren, das Knusperhäuschen, vielleicht die ferne Erinnerung an Kinderängste. Eine Hexe kommt nämlich darin vor, was schon im Märchenbuch der Gebrüder Grimm nachzulesen ist. Und diese Hexe hat Gelüste. Sie will Hänsel erst mästen und dann backen und schließlich verzehren. Das ist nicht nur für Vegetarier eine grausige Vorstellung, dürfte auch keine auf einer staatlich subventionierten Bühne sein.
Gesteigert wird das noch dadurch, dass Gretel natürlich wieder mal nur helfen muss. Verpönte Kinderarbeit ist das und vor allem antifeministisch auszuschlachten: Ist sie etwa nicht knusprig zu kriegen? Und auch der Anfang ist schlimm, vor allem für sozial Empfindliche. Die Eltern, als Besenbinder selbstständig, haben keine Grundversorgung und müssen ihre armen Kinder mitten im Winter und zur Weihnacht, als es noch Schnee gab, zur Selbstbehauptung in den Wald schicken.
Giacomo Schmidt (Vater)
So etwas nun ist vor allem ganz jungen Kindern nicht zuzumuten. Da dachten sich Margrit Dürr und Julian Metzger: „Das ändern wir!“ Sie sind nämlich bei der Lübecker Taschenoper die Impresarios. Das ist ein tolles Wort und klingt irgendwie besonders, jedenfalls schöner als Boss. Sie sind, nebenbei vermerkt, nicht Bruder und Schwester, dafür aber Mann und Frau und damit auch verwandt. Was sie wollen und schon oft durchgeführt haben, ist, ausgewachsene Opern für junge und ganz junge Leute verständlich machen.
Wichtigster Punkt: sie kürzen. Wer kann schon mit drei oder vier oder fünf Jahren lange und ruhig zuhören, manchmal drei oder vier oder gar fünf Stunden? Das schafft so mancher Erwachsene nicht. Bei der TOL, so schreibt sich die Taschenoper Lübeck abgekürzt, ist in kürzester Zeit zu erleben, was bei einer Oper so passiert, wo so viel Musik gemacht und so viel gesungen wird.
Lea Bublitz (Greta)
Dort sorgt Margrit Dürr dafür, dass die weibliche Hauptfigur gut ankommt, schön klingt und ebenso aussieht. Sie kann nämlich wunderbar singen. Und Julian Metzger hat ein Geschick dafür, furchtbar kunstvolle Musik für ein auch in die Tasche zu steckendes Opernorchester einzurichten. In diesem Fall war lediglich ein Akkordeon nötig, das wunderschön klang und über das später noch zu berichten ist.
Toll ist bei TOL, dass man sich also ums Seelenheil der Kinder im Märchenalter nicht zu fürchten braucht, sie im Gegenteil vieles durch Mitmachen auf der Bühne und im Zuschauerraum lernen. Zudem wurde vorsorg- und absichtlich alles Verderbliche gestrichen und an die Erfahrungswelt des 21. Jahrhunderts angepasst. Darin hätten die Eltern von Hans und Greta als Besenbinder eh keine Chance zum Überleben gehabt. Dass das nicht stimmt, hätte die andere Greta, die aus Schweden, über die energetische Bilanz ihrer Reinigungsprodukte sicher anders gesehen und ihnen eine rosige Zukunft ausgemalt.
Margrit Dürr (Mutter), Giacomo Schmidt (Hans), Lea Bublitz (Greta)So musste Mama wieder einmal als Ernährerin her. Sie wurde Köchin, benutzt eine feine Küche und ihren Handstaubsauger, den sie jetzt anstelle eines Besens als Reinigungsgerät besitzt. Der ist aber völlig ungeeignet zum Reiten, wie Hexen es den (oder dem) Sagen nach tun, auch mit bescheidener Saugwirkung, also harmlos. Und dann das brandige Thema um den Ofen. Es erledigte sich in der TOL-Fassung damit, dass in einen modernen Herd allenfalls eine Gänsekeule oder ein Teufelsbraten passt, aber keine attraktive Hexe.
Der dies schreibt, hatte, um sein Erinnerungsvermögen an ferne Kindheit nicht zu strapazieren, seine Enkelin dabei. Grade an der unteren Grenze der vorgesehen Altersschicht angekommen, hatte sie ihren großen Spaß, abzulesen an rotglühenden Wangen. Was sie besonders erzählenswert fand, auf der Heimfahrt und bei Schwester und Eltern zu Hause, und deshalb hier nicht vorenthalten werden darf, ist ein kleiner Moment von vielen trefflichen, die sich die Macher ausgedacht hatten und die deshalb noch namentlich genannt werden sollen. Es sind neben den oben Erwähnten noch dabei Carl Augustin, der musikalisch leitete, Sascha Mink, der sagte, was auf der Bühne und wie zu geschehen habe, Katia Diegmann, die für den optischen Eindruck sorgte, und Florian Seewe, der alles ins rechte Licht setzte.
Nun zurück: Es war der Moment, als der Mann am Akkordeon sich einfach mal anders einmischte als mit Tönen. „Du bist doch im Wald“, nörgelte Dirk Rave, als er der köchelnden Mutterhexe klarmachen musste, dass sie mit ihrem Staubsauger zwischen Bäumen herumwirbelte. Sie war da nun wirklich fehl am Platz und merkte das noch nicht einmal! Und das kam so: Aber soll hier wirklich die ganze Geschichte erzählt werden? Man kann sich das ja auch ansehen, im Theater.
Margrit Dürr (Bäckerin)
Nur so viel: Eine Köchin tritt auf und Margrit Dürr spielt sie. Sie ist aber auf der Bühne, wo das alles geschieht, nicht nur Köchin, sondern auch Mama von Hans und Greta und dann auch noch die Hexe, in Schwarz und auf dem Kopf einen riesigen Hut. Fix muss sie sich da umkleiden, wenn sie als Mama mit roter Perücke und grünem Kleid daherkommt und als Köchin eine weiße Schürze und eine hohe Mütze tragen muss, der Hygiene wegen.
Und Hans und Greta, ihre beiden Kinder? Die spielen Giacomo Schmidt, der zugleich noch für den Vater zuständig ist, und Lea Bublitz, die zudem als Sand- und als Taumännchen dabei ist. Dass alle wunderbar sangen, bestätigte auch die Enkelin. Das Zuhören machte ihr Spaß, auch das Mitsingen von „Suse, liebe Suse“ oder „Ein Männlein steht im Walde“, und ganz super fand sie, dass Greta so toll auf dem Einrad fahren konnte. Auch das hätte der anderen Greta gefallen, dass es kein stylischer E-Scooter war.
Sie, die Enkelin, klatschte lange, auch die anderen, die jetzt wissen, wer Hans und Greta sind.