Johann David Talinski (Graf von Westmoreland), Michael Fuchs (Heinrich Bolingbroke)

Machtspiele mit Shakespeare und an Shakespeare
„Game of Crowns I“

„Game of Crowns I“ nennt Pit Holzwarth seine Zusammenfassung von Shakespeare-Dramen, die er als Eigeninszenierung in den Kammerspielen zeigt (Premiere: 6. September 2019). Er nutzte als Vorlagen „Richard II“, „Heinrich IV“ mit seinen zwei Teilen und knapp noch „Heinrich V“.

Einzelwerke Shakespeares sind das, die zur Lancester-Tetralogie zusammengefasst werden und in den Jahren von 1590 bis 1599 entstanden. Allerdings ist kaum anzunehmen, dass sie als Komplex konzipiert wurden, dafür weisen sie in ihrer Struktur zu deutliche Unterschiede auf. Aber sie gehören alle zu seinen Historiendramen, beschäftigen sich mit Englands Geschichte, hier in dem engen Zeitraum von 1400 bis 1420. Es ist eine bewegte Zeit mit harten Machtkämpfen im eignen Lande. Daneben stand das Inselreich mit Frankreich mitten im Hundertjährigen Krieg, bei dem es schon damals um die Bindung an oder Lösung vom europäischen Festland ging. Da drängt sich unmittelbar der Vergleich mit der Jetztzeit auf, obwohl die Potentaten heute diffizilere Mittel nutzen müssen, ihre Machtfantasien zu befriedigen. Zu leiden haben auf jeden Fall immer die Beherrschten, heute wie damals.

Andreas Hutzel (König Richard II.)Andreas Hutzel (König Richard II.)In den knapp 20 Jahren regierten drei Könige, familiär verbunden, aber ungleich im Typus und mit unterschiedlicher Machtausübung. Das reizte Pit Holzwarth, sie herauszulösen und in eigener Gestaltung nachzuzeichnen. Bei Richard II war es der Glaube, dass er die Macht von Gottes Gnaden bekommen hätte. Doch er nutzte seine „Berufung“ allein zu eigenem Wohlleben, womit er sich erbitterte Feinde schuf. Sein Sturz und sein gewaltsamer Tod waren logische Konsequenz. Sie brachte seinen Neffen und erbitterten Gegner Bolingbroke als Usurpator auf den Thron, der als König Heinrich IV um seine rechtmäßige Anerkennung kämpfte. Doch verhielt er sich zunächst geschickter, indem er Günstlinge wie Volk auf seine Seite zu ziehen wusste.

Immerhin so etwas wie ein schlechtes Gewissen und die Furcht, selbst ein Schicksal wie sein Vorgänger zu erleiden, ließen ihn an seinen Taten zweifeln, führten ihn dennoch immer tiefer ins Verderben. Das kulminierte in dem Versuch, seinen Sohn Harry als Nachfolger „aufzubauen“. Der hatte aber mehr Interesse an einem ausschweifenden Leben, bis ihn sein Vater derart demütigte, dass er sich gegen ihn auflehnte. Mit Erfolg, was England dann den nächsten Herrscher bescherte, Heinrich V genannt. Der fand sehr schnell in seine neue Rolle und opferte zunächst seine engen Kumpane, darunter John Falstaff.

Pit Holzwarth musste arg kürzen, um aus den Dramen das Machtspiel als Substrat zu gewinnen. Das ging naturgemäß nur, wenn er das Personal abbaute und alle vermeintliche Nebenhandlung abtrennte. Da die allerdings zumeist einem Charakter erst Tiefe gibt und ihr Handeln motiviert, entstand die Gefahr einer Verflachung der Figuren. Der Text suchte dem durch Überspitzung zu begegnen. Zudem war das vor Augen Geführte wenig mehr als ein Gerüst, dem der Zuschauer nur schwer folgen konnte, kannte er nicht wie der Shakespeare-Experte Pit Holzwarth seinen Dichter in allen Nuancen. Um hier auszugleichen und Zusammenhänge herzustellen, wurde in epischer Manier nach dem Vorbild des griechischen Theaters oder von Holzwarths Lehnsherrn im „Heinrich V“ ein Chor eingeführt.

Johannes Merz (Bushy), Heiner Kock (Bagot), Sven Simon (Herzog von York), Johann David Talinski (Green)Johannes Merz (Bushy), Heiner Kock (Bagot), Sven Simon (Herzog von York), Johann David Talinski (Green)

Hauptfiguren waren die Könige. Richard II wurde zum schöngeistigen Homosexuellen, umgeben von seinen „Beratern“, einem Tunten-Trio. Heinrich IV wird auf seinen Machtinstinkt reduziert, mit dem er die wenig verbliebenen Nebenfiguren manipuliert. Sein Sohn Harry, der spätere Heinrich V, wird vor allem durch die breit eingefügte Figur des Sir John Falstaff gezeichnet. Ihr hat Shakespeare einen großen Raum gegeben, was seinem „Heinrich IV“ stark komödiantische Züge bescherte. „Game of Crowns“ übernahm das genüsslich, bot dem Zuschauer Szenen voller grotesker Übertreibung, die den Ernst des Anliegens zu überdecken drohten.

Holzwarth hatte wohl schon beim Schreiben des Textes daran gedacht, welche Schauspieler seines Ensembles er einsetzen wollte. Kein anderer als Robert Brandt war da vorstellbar, der schon in manch anderer Inszenierung seine ungestüme Neigung zur Groteske bewiesen hatte. Hier war sein Falstaff, obwohl ein vorgeschnallter Bauch ihn erst einigermaßen figürlich zum Dickwanst werden ließ, doch wieder so ansteckend vital, wie es diese Inszenierung wollte. Mustergültig angepasst war auch Sven Simons stock-steifes Pathos in Sprache und Gehabe als mahnender und ausgleichender Herzog von York. Wichtiger noch waren die drei Machtfiguren, die herausragen mussten.

Andreas Hutzel hatte dabei die schwere Aufgabe, der zu Klamotte verdammten Figur Richards noch einen Rest von Würde zu bewahren, was bei einem Routinier wie ihm funktionierte. Und Michael Fuchs musste bei seinem großen Part theatralisch hoch wirksam sein und das Kontemplative und die Brutalität von Heinrich IV vereinen. Auch das überzeugte. Lilly Gropper, in diesem reinen Männerstück einzige weibliche Darstellerin, hatte den jungen Prinzen Harry zu mimen, den späteren Heinrich V. Das gelang ihr darin, als Spielball Falstaffs ihren Mann zu stehen, weniger darin, mit aller Härte Widerpart ihres Vaters zu sein.

Johannes Merz (Bushy), Heiner Kock (Bagot), Sven Simon (Herzog von York), Johann David Talinski (Green)Johannes Merz (Bushy), Heiner Kock (Bagot), Sven Simon (Herzog von York), Johann David Talinski (Green)

Erschwert wurde das Verständnis dadurch, dass von den neun Mitspielern 24 Rollen zu realisieren waren, wodurch sie oft zu heftigem Chargieren gezwungen waren. Dabei leisteten Matthias Hermann, Heiner Kock, Johannes Merz und Johann David Talinski in bis zu sechs Partien eine Menge. Der Abstraktion war das Bühnenbild von Werner Brenner (auch Videos) hilfreich. Er hatte eine Krone im Kopfstand auf die Bühne gestellt, die oben eine Fläche bekam, auf der sich eine zweite Ebene bot. Der Shakespeare-Bühne ähnlich war sie Auftrittsportal und Spielort. Später wurde sie zum Zeichen neuer Machtergreifung geöffnet oder bei dem fünften Heinrich sogar halbiert.

Ein „Nachdenken über die Mechanismen der Macht“ sollte es sein. Pit Holzwarth ist allerdings Theatermann genug, der das, was er aus den Texten herausholte, nicht zum Politseminar verkommen ließ. Auch wenn nicht alles inhaltlich schlüssig und neu war, erlebte man doch drastisches und pralles Theater, wobei die Musik von Achim Gieseler stimmungsvoll unterstützte.

Arndt Voß
Aufgewachsen in Neumünster, in Lübeck seit 1959. Studium in Kiel und Hamburg (Musik- und Literaturwissenschaft). Ständige Mitarbeit an den Lübeckischen Blättern von 1974 bis 2014, Berichte und Kritiken darüber hinaus in einigen anderen Organen. Schwerpunktthemen: Musiktheater, Schauspiel, Konzerte.

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