Jan Byl (Hans Hansen), Will Workman (Tonio Kröger)

Theater Lübeck
Thomas Manns „Tonio Kröger“, der verirrte Bürger

Das Große, die Romane, ins „Große Haus“, das Kleinere, Erzählungen und dergleichen, in die „Kammerspiele“ oder gar ins „Studio“ – Faustregel für das einst breit angelegte Thomas-Mann-Projekt? Jetzt war „Tonio Kröger“ mit einer Bühnenfassung dran (Premiere: 30. August 2019).

Es ist eine Novelle, die gern als Appetithappen für den Epiker genommen wird und einem Regieneuling, der gerade einmal 27-jährigen Catrin Moser, überlassen wurde. Sie schlug sich wacker. Sie ist gerade einmal so alt wie der Autor war, als er diesen Rückblick auf Schülerlieben und Selbstfindung 1903 verdichtete. Dennoch ist der etwas jüngere Nachkömmling aus dem Milieu der „Buddenbrooks“ mit seinen neun Kapiteln auf ca. 50 Seiten ganz schön stämmig geraten, musste nun aber ins Studio passen. So war der Text zu verschlanken, wegen des kleinen Spielorts, um eine Vielzahl von Personen zu entlasten und - natürlich - in eine andere Erscheinungsform zu verwandeln.

Die fand Catrin Mosler gemeinsam mit den Darstellern Will Workman und Jan Byl, die den Titelhelden und seinen Schulfreund Hans Hansen mimten. Sie stimmten schon äußerlich im Prototypischen, das auch Thomas Mann vorschwebte: der eine blond, „breit in den Schultern und schmal in den Hüften“, so wie es sich für seinen nordischen Namen Hans Hansen gehörte, brünett der andere, genannt Tonio Kröger, worin sich Nord und Süd mischten. Ihm gab der Autor eine Pelzmütze, unter der heraus er versonnen „seitwärts geneigten Kopfes ins Weite“ zu blicken hatte, was er auch auf der Bühne tat.

Will Workman (Tonio Kröger), Jan Byl (Hans Hansen)Will Workman (Tonio Kröger), Jan Byl (Hans Hansen)Die anderen Erzählfiguren mussten von ihnen als Erinnerungen verlebendigt werden. Das gelang zumeist köstlich, oft durch wenige komische Requisiten, ging aber kaum ohne deftige Karikatur aus, manchmal bis hin zum Klamauk. Aber den beiden Akteuren schien es mächtig Spaß gemacht zu haben, den Text spielbar zu machen, die Handlungs- und Sichtweisen der Pennäler ebenso zu vermitteln wie deren wechselseitigen Blick auf den je anderen, auf Hans‘ Eitelkeit und Lässigkeit, auf Tonios Verletzlichkeit, die er immer wieder kaschieren wollte. Ortswechsel wurden auf der Minimalausgabe einer Drehbühne (Ausstattung: Nicole Zielke) bewältigt, wodurch temporeich die Abfolge der oft slapstickhaften Szenen möglich wurde, darunter die bereits in der Vorlage köstlichste Episode, die wöchentliche Tanzstunde, zu der die Konsulin Husteede ihren Salon hergab. Der Ballettmeister Knaak trat auf, der jedermann „durch das Übermaß seiner Sicherheit und Wohlanständigkeit“ erdrückte, vor allem Tonio.

Insgesamt war die Textvorlage auf eine Stunde und 20 Minuten gekürzt. Zum Lesen braucht man wohl einiges mehr. Es wurde gar nicht erst versucht, alles in Dialoge zu pressen, nur das übernommen, was in Redeform vorhanden war. Die Prosa blieb Prosa, und es wurde nur geschickt herausgefiltert, was sich pantomimisch umsetzen ließ. Text genug blieb - für beide, die auch manches Mal die Rolle des anderen übernahmen. Sie verschmolzen immer mehr zu einer Person in zwei Körpern. Das wurde besonders im Mittelteil deutlich, in dem Selbstfindungsgespräch mit der Malerin Lisaweta Iwanowna, die Tonio mit der Quintessenz psychisch erledigte: „Sie sind ein Bürger auf Abwegen, Tonio Kröger – ein verirrter Bürger.“

Will Workman (Tonio Kröger), Jan Byl (Hans Hansen)Will Workman (Tonio Kröger), Jan Byl (Hans Hansen)

Thomas Manns Ironie wandelte sich zeitweise in Drastik. Das schadete selten, auch nicht bei der Darstellung von Wind und Wetter und bewegtem Meer im zweiten Teil. Allein die Münchner Zeit mit ihren psychodelischen Ausschweifungen und körperlichen Exzessen enthielt davon zu viel. Weniger wäre auch in der Atelierszene mit Lisaweta besser gewesen, weil dort dem Wortsinn nach „Schmieren“-Theater aufgeführt wurde. Denn bei aller Lust an der Parodie musste auch der Text herüberkommen, der lange, eigentlich innere Monolog, der Lisawetas Urteil vorbereitete. Da wurde mit Ernst auf den Schlussbrief im Kapitel 9 vorbereitet, dem der Autor selbst die Stimme gab.

Eine große Leistung auch in Artikulation und Gedächtnis war zu erleben, hautnah und mitreißend in dem Wechsel von Ruhe und Tumult. Das Publikum zeigte sich amüsiert bis begeistert und vergaß die unbequemen Stühle und die unbelüftbare Abgeschlossenheit des kleinen Raumes.

Arndt Voß
Aufgewachsen in Neumünster, in Lübeck seit 1959. Studium in Kiel und Hamburg (Musik- und Literaturwissenschaft). Ständige Mitarbeit an den Lübeckischen Blättern von 1974 bis 2014, Berichte und Kritiken darüber hinaus in einigen anderen Organen. Schwerpunktthemen: Musiktheater, Schauspiel, Konzerte.

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