Clara Schumann ist sicher eine der faszinierendsten Frauen des 19. Jahrhunderts. Vor 200 Jahren wurde sie in Leipzig geboren und starb mit 76 Jahren in Frankfurt am Main, knapp ein Jahr vor Johannes Brahms, mit dem sie eine innige Freundschaft verband.
Sie ist eine der wenigen Frauen, die bekannt geblieben sind und eine große Nachwirkung hatten, nicht nur in der Musik. Jahrelang wurde sie von den Deutschen auf Händen getragen, wenn sie einen 100-DM-Schein besaßen. Ihr Konterfei darauf ist allerdings blasser als ihr Leben. In dem spielten vor allem drei Männer eine große Rolle, ihr Vater Friedrich Wieck, ihr Ehemann Robert Schumann und ihr sie verehrender Freund Johannes Brahms. Der Vater, eigentlich Theologe, war Pianist geworden, gründete u.a. eine Klavierfabrik und unterrichtete.
Unter den Schülern war seine Tochter Clara, die aber mehr wollte, als ein pianistisches Wunderkind werden, die vor allem komponieren wollte - und es tat. Ihr Vorbild war Robert Schumann, neun Jahre älter, auch ein Schüler des Vaters. Aber er konnte wegen einer Handverletzung bald nicht mehr konzertieren, blieb Komponist und Musikschriftsteller mit eigener Zeitschrift und Dirigent. Die Leidenschaft Claras zu Robert führte sie gegen den Willen des Vaters zusammen und schenkte ihnen immerhin acht Kinder. In ihrem Haus lernten sie viele Musikgenies der Zeit kennen, keinen so genau wie Johannes Brahms, dessen außergewöhnliche Begabung beide schätzten, so wie Brahms sie schätzte.
Für Jutta Ebnother, Direktorin des Balletts am Mecklenburgischen Staatstheater, war Clara „Virtuosin ihres eigenen Lebens“, eine ungewöhnliche Frau, deren Wesen sie in einem mehrmonatigen Arbeitsprozess nachspürte. Die Ballettschöpfung, die entstand, hatte am 23. März 2019 Premiere, zeigte in 18 Bildern in biografischer Folge das freud- und leidvolle Leben dieser Frau nach. Ihrer ungeheuren Leistung als Pianistin und Komponistin, als Ehefrau und Mutter, als Organisatorin eines vielseitigen Haushaltes und weiter Reisen wollte sie nachgehen, dabei einerseits ihr inneres, fühlendes Wesen erfassen, andererseits ihr beherrschtes Auftreten darstellen, mit dem sie ihre Um- und Nachwelt, ihr Publikum erstaunte.
So sind auf der Bühne zwei Tänzerinnen vorgesehen, die beherrschte Clara, getanzt von Naomi Uji, und die fühlende, der Gisela de Paz Solvas Gestalt gab. Für den Zuschauer waren sie leicht zu unterscheiden. Adriana Mortelliti hatte ihnen unterschiedliche Kleider schneidern lassen, für die eine ein helles, besonders das zarte Wesen Claras betonend, und für die Reifere ein dunkelrotes. Die Farben deuteten zudem auf die Männer hin, denen Clara zugewandt war, auf den Vater (Richard Jones) in einem gedeckteren und den agilen Robert (Alyosa Forlini) in einem aktiveren Rot. Auch er hatte einen Schatten, getanzt von Fem Rosa Has. Brahms (Vasco Ventura) bekam einen Anzug aus hellem Stoff, womit er sich der fühlenden Seite Claras verwandt zeigte.
Das optisch Beeindruckende war durch die namenlose Gesellschaft verstärkt, die in streng stilisierten Kostümen des Biedermeiers auftrat, teilweise wie Figuren aus Scherenschnitten, dem beliebten Darstellungsmittel der Zeit. Wunderbar ausgeleuchtet und mit drehbaren Seitenkulissen verengte sich oder erweiterte sich der Raum (Bühne: Flurin Borg Madsen) für das dramatische Geschehen, das im ersten Teil sich vor allem auf das Zerwürfnis mit dem Vater bezog, im zweiten Teil dann das bedrückenden Ende Roberts in Szene setzte.
Als musikalische Grundlage dienten Jutta Ebnother zur Hälfte Kompositionen von Clara selbst, Klavierstücke zumeist, aber auch alle drei Sätze aus ihrem mit 15 Jahren verfassten Klavierkonzert und zwei aus dem knapp 10 Jahre später entstandenen Klaviertrio. Anderes wird zu Klavier- und Sinfoniesätzen von Robert Schumann getanzt, einer Szene ist ein Walzer von Johannes Brahms unterlegt und einer anderen Aribert Reimanns „Adagio zum Gedenken an Robert Schumann“. Sie begleitet den eindringlichsten Moment des Abends, wenn der wohl durch Syphilis zerstörte Robert, auch das wurde tänzerisch vorher tänzerisch eindringlich exponiert, im Irrenhaus bei Bonn sein Ende findet.
Der Abend zieht in einen besonderen Bann, zumal die stimmig in Bewegungssprache übersetzten Musikstücke nicht vom Band, sondern direkt gespielt wurden. Der Pianist Lev Vinocour hatte den größten Part, dazu die Mecklenburgische Staatskapelle unter Michael Ellis Ingram. Das Publikum der zweiten Aufführung am 7. April ließ sich gefangen nehmen und applaudierte begeistert.