Brecht und Weill im Großen Haus
Für zwei Groschen Klamauk, für drei Groschen Oper, für vier Groschen Vergnügen

Landauf, landab sind Mackie Messer und seine Moritat wieder präsent, vom Leierkasten gedudelt am Strand der Ostsee wie anderswo. An der Kieler Förde war er bereits im Oktober zu hören, neuerdings nun an der Lübecker Bucht (Premiere: 9. Februar 2019).

Dort, Trave aufwärts, feierten ein paar andere Kunstfiguren bereits erfolgreiches Auferstehen, Nosferatu z. B., Franz Biberkopf oder Elisabeth, die aus Not ihren Körper verkaufte. Ihre Schöpfer, Friedrich Wilhelm Murnau, Alfred Döblin oder Ödön von Horváth und eben jetzt das Gespann Bertolt Brecht und Kurt Weill, gehören zu den Großen der Zeit vor rundum 100 Jahren. Sie brachte(n) einen Umbruch, an den zu erinnern „in“ ist. Denn vieles begann zu laufen, die Bilder, die Heerscharen von Armen durch die Straßen und die Rührungstränen, die die Davongekommenen ob des sozialen Elends der anderen vergossen.

Mit seiner „Dreigroschenoper“ ging auch Brecht den Phänomenen seiner Zeit nach, lässig und frech, was heut noch wirkt, aus einer Sicht allerdings, die nur Sozialromantiker noch berührt. Dennoch verspricht das Programmheft, dass die Lübecker Zuschauer „… die Handlung und die dargestellten gesellschaftlichen Verhältnisse bewusst-distanziert hinterfragen“ sollen. Wie das, bei der Inszenierung, die andere Akzente setzt, die auch gut daran tat? Mehr als in Kiel peppte man die markanten Szenen musikalisch auf und setzte auf den anderen Vater des Welterfolgs, auf Kurt Weill. „… die Verhältnisse, sie sind nicht so“, sang Familie Peachum im ersten Finale. Heute sind sie auch nicht so, allenfalls weit komplizierter. Mit theatralischen Mitteln ist dem kaum beizukommen.



Folgerichtig stellte Malte C. Lachmann, Regisseur dieser Bühnenversion, ganz auf die geniale Musik ab, bat den Zuschauer in ein Varieté, weil Weill dem Stück das gab, was es so ungemein genießbar macht: eine Musik, der man sich hingeben kann, die auch im betagten Alter von über 90 noch vital daherkommt. Eine eher schäbige Glühbirnenkette als lässiger Bühnenrahmen versprach Glanz. Ein fahler Mann kam herein, in einem farblich wunderbar auf den Schmuckvorhang abgestimmten Mantel (Kostüme: Tanja Liebermann). Es ist der geisterhafte Herr Direktor, der die „Oper für Bettler“ ankündigt, den Vorhang hinaufschweben lässt, sein Theater mit den Kostümen und Logen präsentiert und das Orchester rauf in den Vordergrund hebt oder wieder versenkt, sogar mit Trompete und Bandoneon aushilft. Auf sein Zeichen beginnt Willy Daum die „Ouvertüre“ mit dem Biss und der Härte, die Weills kunstvolle Persiflage einer barocken Opernouvertüre benötigt. Das ließ Großes erwarten – und enttäuschte den ganzen Abend nicht.

Und dann kam das, was nicht immer gelingt, selbst 1928 bei der Uraufführung in Berlin nicht, die „Moritat vom Mackie Messer“, die dennoch das wohl bekannteste Stück geworden ist. Dabei ist es mit ihr wie mit einem Treppenwitz der Musikgeschichte, weil sie ja eigentlich gar nicht vorgesehen war, als das Werk noch „Luden-Oper“ im Untertitel hieß. (Es lohnt sich, Hans-Georg Schedes Artikel über „Die turbulente Entstehungsgeschichte“ im Programmheft nachzulesen.) Aber wie Andreas Hutzel daraus ein faszinierendes Kabinettstück gestaltete und dabei als ein neues Phantom der Oper Mackies Existenz heraufbeschwor, war umwerfend. Es war der Beginn seines Abends, denn er war nicht nur Barde und Varietédirektor, damit nahezu ständig auf der Bühne, er war auch Tiger Brown, der bemitleidenswerte, leicht vertrottelte Polizeichef und Busenfreund von Macheath, den er schließlich als reitender Bote alias Ritter von der Kokosnuss vor dem Galgen retten durfte. Das war eine gelungene Eigenparodie des Theaters, das auch damit für sich Reklame machte, dass es den Song als Ohrwurmzugabe dem Publikum mit auf den Weg nach Hause gab.

Michael Fuchs (Macheath)Michael Fuchs (Macheath)

Daneben hatte es Michael Fuchs, neu im Ensemble, mit dem Killer aus Soho schwer. Er sollte einmal nicht der so oft gezeigte kalte Gentleman sein, stattdessen ein ausreichend schmieriger Unterweltganove, auch wenn die Gefahr bestand, dass er dadurch harmlos wirkte. Dennoch war exzellent, wie er im Duett mit Mackie in Kriegserinnerungen schwelgte und den „Kanonen-Song“ hinlegte. Dazu passte auch sein hilfloses Geschick im Umgang mit den Frauen, die allesamt voll auffahren konnten. Stark war dabei Susanne Höhne als berührende Jenny, eine Halbweltlady mit großen Gefühlen im „Salomonsong“. Grandios und drastisch aber wurde die Gefängnisepisode mit dem „Eifersuchtsduett“ seiner beiden Frauen, bei dem sie ihn bis zum Schwindel in seiner Zelle herumwirbelten. Eine große Szene war das, an der Sybille Lambrich als Polly und Rachel Behringer als Lucy sichtbar Vergnügen hatten. Beide gaben sich darstellerisch wenig, nuancierten trefflich, Lucy keifiger und etwas vom Leben mitgenommener, Polly schriller. Sie hatte dafür ein Organ, dessen Phonstärke reziprok zu Alter und schmächtiger Figur stand, eine Kindfrau von spielerischer Urgewalt.

Eine weitere Szene bleibt im Gedächtnis, es ist das Terzett von Familie Peachum, von Jonathan Jeremiah, dem Bettler-Chef, zusammen mit seiner schrillen Frau Celia gegen Polly, mit der die Eltern mehr vorhatten. Ein treffender Gag in dieser Szene und köstlich ausgespielt war, Macheath durch ein Register à la Leporello zum Don Giovanni zu stempeln. Astrid Färber gab der besorgten Mama wunderbar schräge Farben. Der fast noch zu junge Papa Peachum von Henning Sembritzki war dennoch fester Widerpart, auch in anderen Szenen der Hauptfigur gegenüber.

Astrid Färber (Celia Peachum),  Sybille Lambrich (Polly),  Henning Sembritzki (Jonathan Jeremiah Peachum)Astrid Färber (Celia Peachum), Sybille Lambrich (Polly), Henning Sembritzki (Jonathan Jeremiah Peachum)

Was dazwischen geschah, war nicht immer stimmig, schwang hin und her zwischen einer Schauspielversion vor einer trostlosen Betonkulisse (Bühne: Ramona Rauchbach) und den Varieté-Momenten, auf die sich die Regie zwar immer wieder besann, sich aber nicht traute, sie durchzuziehen. Auch Klamaukiges wäre damit noch besser zu integrieren gewesen wie das der Mackie-Bande oder die Tanzeinlagen der beiden Gefängniswärter. Optisch fade wurde vor allem die Hochzeitsszene so ganz ohne Talmi-Glanz. Etwas Kitsch hätte nicht schaden können, wie er andererseits vorhanden war mit dem rosa Kuschelbären von Polly, der Discokugel oder dem Goldlametta-Vorhang, der immer mal wieder einen Teil der Betoneinöde verdeckte. Auch das knallrote Bordell stach ab sowie die vom Himmel herabschwebenden illuminierten Elemente mit den Inschriften.

Gesungen wurde prächtig, im Ensemble wie im Solo, bei Einzelnen der Oper sehr nah und mit prallen, gut inszenierten Tableaus. Das und das vehemente Spiel machte großes Vergnügen, auch in vielen Einzelheiten. Weniger gefiel die permanent überzogene Lautstärke, die erst nach der Pause ein wenig erträglicher wurde, weil die gesprochenen Partien zunahmen.

Arndt Voß
Aufgewachsen in Neumünster, in Lübeck seit 1959. Studium in Kiel und Hamburg (Musik- und Literaturwissenschaft). Ständige Mitarbeit an den Lübeckischen Blättern von 1974 bis 2014, Berichte und Kritiken darüber hinaus in einigen anderen Organen. Schwerpunktthemen: Musiktheater, Schauspiel, Konzerte.

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