Matthias Hermann (Caligula)

Albert Camus „Caligula“ im Kleinen Haus
Irrwitz und Macht

Von 37 bis 41 nach Christi, also gerade einmal vier Jahre hat Caligula Rom tyrannisiert, der Urenkel von Kaiser Augustus. Eine kurze Zeit, eigentlich, dennoch wurde er zum Sinnbild dessen, der seine Macht hemmungslos auslebt. Er ist kein Sonderfall, er hat viele Brüder im Geiste und unterscheidet sich von denen nur in Nuancen.

Zum Zeitpunkt seines Todes nannte man ihn schlicht „Gaius Caesar Augustus Germanicus, Pontifex maximus, Tribunicia potestate IV, Consul IV, Imperator, Pater patriae“. Der Name, unter dem man ihn heute kennt, ist eigentlich ein harmloser, eher ehrenvoller Spitzname, denn Caligula bezieht sich auf sein Schuhwerk, auf die „caligae“. Das waren Stiefel für Roms Legionäre. Nägel hatten sie daran. Sie halfen, nach Norden und über die Alpen zu stapfen und Roms Macht zu erweitern, – und Caligula mischte mit, wie ein Teil seines offiziellen Namens verrät.

Viel wurde über ihn kolportiert. Was davon wahr ist, haben nicht einmal Historiker herausgefunden, weil es auch zu seiner Zeit das Un- oder Halbwahre gab, das um eine historische Figur wucherte oder das sie selbst streute, die Fake News, wie man heute sagt. Aber viel Hemmungsloses in jeder Spielart, vor allem in der zweiten Hälfte seiner autokratischen Herrschaft, führte dazu, dass sein Tun als Lehrstück für irrationalen Machtmissbrauch steht. „Es ist nicht möglich, alles zu vernichten, ohne sich selbst mit zu zerstören“, warnt Camus in seinen Gedanken zum Stück.

Holger Bülow (Helicon), Robert Brandt (Patricius), Sven Simon (Lepidus), Sophie Pfennigstorf (Scipio), Jan Byl (Cherea), Matthias Hermann (Caligula), Agnes Mann (Caesonia)Holger Bülow (Helicon), Robert Brandt (Patricius), Sven Simon (Lepidus), Sophie Pfennigstorf (Scipio), Jan Byl (Cherea), Matthias Hermann (Caligula), Agnes Mann (Caesonia)

Dieses Drama war sein erstes. Es entstand 1938, mit 25 Jahren, wurde aber erst nach dem Krieg aufgeführt. Hatte es inzwischen seine Basis verloren? Wohl nicht, die Umstände ändern sich nie. So manche Parallele zu Camus‘ besessenem Titelhelden fällt einem ein, im Gestern und Heute, Parallelen zu anderen Potentaten, die alles und jeden in ihrer Welt als ein Experimentierfeld sehen. „... ich war sogar noch nie so vernünftig. Nur habe ich plötzlich ein Bedürfnis nach Unmöglichem verspürt“, lässt er Caligula sagen. Der eben mal beschließt: „Morgen ist Hungersnot!“

Die Macht erlaubt es ihm, das zu erproben, aber nur, weil die Umwelt mitspielt. Exzessiv befehligt er, erniedrigt, verhöhnt oder tötet. Kein Mittel ist für ihn pervers genug, nichts beruhigt ihn oder hält ihn von anderem ab. So ist das, was auf der Bühne zu sehen ist, eine absurde Kette von Handlungen, der jeder Sinn fehlt, bis auf den, das Sinnlose von Caligulas Handeln vor Augen zu führen und die Erstarrung seiner Umwelt. Der Mond, den Caligula besitzen will, wird das Symbol für diesen Irrsinn, für den andere alles opfern müssen, Selbstachtung, Familie, Vermögen, das Leben. Werden sie dadurch zu Opfern, zu Leidenden, wenn Caligula mit perfider Fantasie immer weiter geht, um zu prüfen, was sie erdulden können? Diese Frage stellt das Stück. Und da sind auch starke Momente, wenn Helicon verspricht: „Ich hole dir den Mond!“, und Caligula in einem lichten Moment mit ihm über Ehrlichkeit spricht, von ihm verlangt, offen miteinander zu reden.

Holger Bülow (Helicon)Holger Bülow (Helicon)Mirja Biels Inszenierung von „Caligula“ versucht, diesem Abstrusen mit einer grotesken Fülle von Theatermitteln beizukommen. Schon ihr Bühnenbild, auch das hat sie gestaltet, zeigt eine leere Bühne mit Folie auf dem Boden, die keinen Halt gibt. Ohne Zusammenhang sind die weiteren Elemente. Links liegt ein Gipspferd, das mit verdrehtem Hals an Caligulas abwegigen Versuch erinnert, eines dieser Reittiere zum Senator zu machen. Später wird es aufgerichtet, so dass der Imperator darauf sitzen kann wie ein Triumphator. Die Köpfe von Büsten rechts und der Rest einer Säule evozieren Antike, bleiben aber Dekor. Anders ein Ball als Weltkugel, der Chaplins Hitler-Parodie von 1940 zitiert, mit dem sogar gespielt wird. Im Hintergrund erheben sich drei Stufen einer Tribüne, in deren Mitte eine Art Marterpfahl aufragt und vor der die Miniatur eines Hauszeltes steht, in das sich Caligula immer mal wieder zurückzieht.

Das Unzusammenhängende hat Methode. Das beginnt damit, dass der Anfang des Stückes keiner ist. Mehrmals geht der Vorhang auf. Dann kommt ein Spieler, der das verkündet, was man im lebendigen Theater stets befürchtet, die Hauptfigur sei nicht da. Wer das Stück kennt, weiß, dass Camus‘ erste Szene auch damit beginnt, es dort aber Caligulas Realitätsverlust motiviert, den er durch den Tod seiner geliebten Schwester Drusilla erlitten hat. Mirja Biel macht daraus ein schauspielerisches Kabinettstück, indem sie Holger Bülow in Rollenvielfalt den „Hof“staat spielen lässt, der sucht und Vermutungen äußert. Virtuos gestaltet ist das, obwohl Bülow dann später allein dem Helicon, dem Intimus des Cäsaren, Gestalt geben muss und die Personen dieser Szene dann doch auftreten. Jan Byl spielt den Cherea, einen der Senatoren. Er kann aber in seiner Erscheinung das Gesunde nicht verbergen, ebenso wenig wie Robert Brandt als Oberhofmeister Patricius Betroffenheit oder Leid in seinem Gesicht. Diese Figuren, wie auch der hölzern steife Patrizier Lepidus, gestaltet von Sven Simon, sind nicht willfähriges Personal für Caligulas Monstrosität, sind eher Marionetten ihrer selbst und bilden keinen Gegenpol.

Matthias Hermann (Caligula)Matthias Hermann (Caligula)

Mit einer Überfülle von drastischen Einfällen bewegt Mirja Biel die Spieler, teils so exzessiv, dass man um ihre Gesundheit fürchtet, auch um die eigene in einer knalligen Marschszene. Vor allem Matthias Hermann als Caligula wird arg gefordert. Was man ihm glaubt, ist, dass Caligulas Methode der Wahnsinn ist, womit er ein psychiatrischer Fall wird. Das aber macht den Irrwitz der Macht pathologisch, entschuldigt ihn, nimmt dem Missbrauch von Macht das abgründig Böse. In dieser Konstellation hat es auch Sophie Pfennigstorf in einer Hosenrolle schwer. Sie muss dem Scipio Blut verleihen, der allein versucht, dem starren Irrwitz des Titelhelden etwas entgegenzuhalten. Leichter hat es Agnes Mann als Caesonia, obwohl die Rolle sehr indifferent ist. Man sieht nicht recht, ob sie Caligula hofiert, ihm zugetan ist oder nur als Krankenschwester fungiert. Aber sie kann singen, hat als Frau an Caligulas Seite zumindest die Hosen an, während Helicon, der männliche Vertraute, in ein Paillettenkleid schlüpfen muss, so schon äußerlich zum Hampelmann wird.

Sehr viel geschieht, manches Mal aber bleibt die Handlung trotzdem stehen, wird zäh bis zur Langeweile. Schade!

Arndt Voß
Aufgewachsen in Neumünster, in Lübeck seit 1959. Studium in Kiel und Hamburg (Musik- und Literaturwissenschaft). Ständige Mitarbeit an den Lübeckischen Blättern von 1974 bis 2014, Berichte und Kritiken darüber hinaus in einigen anderen Organen. Schwerpunktthemen: Musiktheater, Schauspiel, Konzerte.

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