Der satanarchäolügenialkohöllischen Wunschpunsch, Foto: Olaf Struck

Weihnachtsaufführungen in Kiel und Lübeck
Kinder, was für ein Theater

Was in den Theatern von Kiel und Lübeck zurzeit für Kinder zur Schau gestellt wird, nennt sich Weihnachtsmärchen dort und Weihnachtsstück hier. Um es gleich vorwegzunehmen, mit Weihnachten haben beide nichts zu tun.

In Lübeck taucht immerhin verschämt ein kleiner Tannenbaum auf, wenn mit Räubertochter Ronja viele Jahreszeiten vorbeiziehen. In Kiel dagegen sind weihnachtliche Accessoires schon deshalb nicht vonnöten, weil das Stück in den letzten Stunden eines Jahres spielt. Es ist der Silvesterabend, an dem der „Wunschpunsch“ gebraut wird, eine Woche also nach Weihnachten. Da sind eh bereits alle Nadeln abgefallen und die Kerzen heruntergebrannt.

Die Vorlagen für das Bühnengeschehen haben viel gemeinsam, sie sind nämlich beide die letzten Kinderbücher von Autoren, deren Fantasiefiguren es in Kopf und Herz von Kindern in aller Welt geschafft haben. Um ungewöhnliche Freundschaften geht es in beiden, auch um zunächst nicht zu meisternde Hindernisse, um innere Skrupel, bis diese Beziehungen fest werden. Auch Märchenhaftes mischt sich ein, verbindet die Menschen- mit der Tier- oder Geisterwelt. In Kiel darf Michael Endes (1929 – 1995) Prof. Dr. Beelzebub Irrwitzer seinen satanarchäolügenialkohöllischen Wunschpunsch mixen, in Lübeck bezaubert Astrid Lindgren (1907 – 2002) mit ihrer Ronja Räubertochter. Deren Lebensmut versöhnt sogar zwei verfeindete Bandenclans, wie einst es Julia mit den Capulets und den Montagues versuchte, nur nicht so erfolgreich, wie wir wissen. Sie und ihr Romeo mussten sterben, Ronja kommt mit Birk davon.

Ronja Räubertochter, Foto: Falk von TraubenbergRonja Räubertochter, Foto: Falk von Traubenberg

Aufwand treiben beide Häuser, besetzen beide die großen Bühnen, wo sonst Wagner wabert. In Kiel treibt man es bunt mit physikalischen Tricks, mit viel Tempo, auch mit gekonnten Musikeinlagen. Lübeck fährt auf seine Bühnentechnik ab, lässt die Drehbühne wirbeln und Geisterwesen in die dritte Dimension entschweben. Sieben Schauspieler sind in doppelt so vielen Rollen eingesetzt, dazu zwei Musiker. Kiel benötigt diesmal nur fünf Mimen für sechs Rollen, die auf kleiner Bühnenfläche sich austoben können, auch klettern müssen. Denn:

Dieser Wunschpunsch ist satanisch

Michael Ende beschwört mit seinem Kinderroman, 1989 erschienen, brisante Welten mit Katastrophen, Krankheiten und anderen Krisen. Herbeigeführt sind sie durch Umweltzerstörung einerseits und andererseits durch die gewissenlose Finanzwelt und ihr Ausbeutungssystem. Ernste Probleme sind das, auch für Kinder, aber locker verpackt. Spielort ist die Villa Albtraum, darin ein mit Apparaturen vollgestopftes Labor, das rechte Szenarium, alles Böse zu brauen und zu sieden. Die grausamen Mächte haben Körper gefunden in dem spindeldürren Geheimen Zauberrat Prof. Dr. Irrwitzer (Felix Zimmer) und in seiner Tante, der so selbstbewussten wie dicken Geldhexe Tyrannja Vamperl (Yvonne Ruprecht). Neben der Familienzugehörigkeit vereint diese beiden, dass sie vertraglich von der Hölle abhängen. Jedoch, da faul, haben beide ihr jährliches Soll an Untaten nicht erfüllt. Seine Höllische Exzellenz und Gerichtsvollzieher Maledictus Made (Claudia Macht) erscheint daher fünf Stunden vor Jahresschluss, drängt auf Erfüllung und droht mit Pfändung. Zu ihrem Pech kettet die Verwandten aneinander, dass sie jeder nur die Hälfte des Rezepts besitzen, mit dem sie jenen vermaledeiten Wunschpunsch brauen könnten. Sie beide würde das Gebräu retten, dafür die Welt noch vor Jahreswechsel verderben.

Der satanarchäolügenialkohöllischen Wunschpunsch, Foto: Olaf StruckDer satanarchäolügenialkohöllischen Wunschpunsch, Foto: Olaf Struck

Das zu verhindern gibt es Gegenspieler, beides Gesandte des Rates der Tiere. Dort ahnt man, woher das Böse kommt. Um Gewissheit zu erlangen, wurde Kater Maurizio di Mauro (Marius Borgoff) als Spion beim Zauberer eingeschleust und Rabe Jakob Krakel (Jennifer Böhm) bei der Geldhexe. Kein leichtes Unterfangen ist das für die Schnüffler, zumal dem vor allem eines entgegensteht, dass Katze und Vogel kooperieren müssen und sich doch eigentlich nicht leiden können. Wie sich nun doch trotz der vielen Widrigkeiten die wunderbare tierische Freundschaft und das glückliche Ende anbahnen, ist in Kiel in zwei Stunden, mit halbstündiger Pause inklusiv, zu erleben. Lisa Gappel hat sehr geschickt mit Mülltonne und rollenden Stühlen, mit Zaubertricks und Turmbesteigung für ein munteres Treiben gesorgt und Jeremy Curnier die Couplets tänzerisch arrangiert. Markus Syperek gewann seine Dialoge, der Vorlage sehr nah, aus dem Buch. Ergänzt hat er zusammen mit Jan Radermacher einige flotte Songs, andere Texte erfreuen schon im Roman, da war nur noch eine Melodie vonnöten. Das gelang so gut, dass der Zusammenschnitt auf einer CD einen heiteren Abriss der Handlung gibt.

Kein Räuberschwur: „Nichts kann uns trennen!“

Astrid Lindgrens Ronja Räubertochter ist ein wenig älter, aber nicht gesetzter. 1981 kam sie heraus. Sie steht für Lebensmut und Selbstbestimmung und ist wie die kreative Pippi und ein paar Schwestern von ihr eine Repräsentantin einer neuartigen Generation von Buchheldinnen. Knapp zehn Jahre nach Woodstock und dessen Folgen machte sie Furore, muss sich dennoch auch heute noch gegen so manche rosa Prinzessin behaupten. Als Räuberkind geboren lernte sie schnell, eigenverantwortlich zu handeln und zu leben, sich wenig zu fürchten, weil „das am sichersten ist“, aber auch die Freundschaft zu schätzen.

Ronja Räubertochter, Foto: Falk von TraubenbergRonja Räubertochter, Foto: Falk von Traubenberg

„Gewitternachtkind“ nennt Mutter Lovis sie. Sie war als solches geboren. Das gibt in Lübeck Anlass für einen starken Auftakt zum Bühnenspektakel mit Donner und Blitz, der eine Burg zum Bersten bringt (Inszenierung: Anna Werner). Der Kenner weiß, das ist geboten, weil fortan zwei Teile nötig sind, zwei Banden in der Ruine zu beherbergen. Die Nähe ist offenbar nicht förderlich, auch hier nicht, wo noch weitere unheimliche Genossen hausen, Rumpelwichte, Graugnome und Wilddruden. All das schürt das Unheimliche, das auf der Drehbühne üppig und detailverliebt aufgebaut ist (Margrit Flagner). Die kleinen Zuschauer kriegen immer rundere Augen, wenn sich die Burg spaltet, sie sich dreht, um von hinten eine Waldszenerie zu offenbaren. Die Baumkronen schweben herab, den Jahreszeiten entsprechend kahl oder belaubt. Manchmal bleibt die Drehbühne stehen.

Ein Blick in die Höhle der Rumpelwichte ist den kleinen Zuschauern dann gegönnt. Viel wird ihnen geboten, in Szene gesetzt oder in Barbara Hass‘ Bearbeitung erzählt. Denn der alte Glatzen-Per (Sven Simon) muss immer wieder aus seiner Rolle fallen und episch werden und Begebenheiten oder Vergangenes gestrafft passieren lassen. Das und ein paar sehr lyrische Szenen lassen Unruhe aufkommen, die aber schnell wieder verschwindet, wenn Action da ist. Die muss sein, wenn man sein Publikum ab sieben Jahren fangen will. Dann applaudiert es gern, wenn geprügelt und gestritten, auch wenn gesungen und getanzt wird.

Ronja Räubertochter, Foto: Falk von TraubenbergRonja Räubertochter, Foto: Falk von Traubenberg

Nadine Boske ist eine quicklebendige Ronja, der man ihr beherztes Wesen glaubt. Ulrike Knospe ihre Mutter, die respektierlich und manierlich sich gegen ihren Mann Mattis behaupten kann. Den gibt Peter Grünig, stimmlich übertreibend mit seinem Krächzen als Hauptmann. Im Laufe der eineinhalb Stunden wird er allerdings zahmer und verständlicher. Die Gegenbande besteht aus dem lebendigen und selbstsicheren Birk (Maximilian Hildebrandt), der sich ebenso wie Ronja von der Räuberei abnabelt, aus Borka, Birks Vater (Jochen Weichenthal), der nach dem Hahnenkampf mit Mattis sich unterwirft, und Undis, der Mutter Birks. Rébecca Marie spielt sie und den Räuber Klein-Klipp und die Rumpelwicht-Frau und einen Graugnom, hat daher viel zu tun. Die Szenen füllen noch zwei Musikanten, Multiinstrumentalisten mit diversen Zupf-, Streich- und Blasinstrumenten. Es sind Jonathan Wolters und Peter Imig, der die musikalische Leitung hat. Sie werden auch schon mal in die Handlung einbezogen, wie auch die Bandenmitglieder, die rhythmisch alles Geeignete attackieren.

Es bleibt nicht aus, dass man vergleicht. Also: Musikalisch geht es an beiden Orten mitreißend zu, in Kiel etwas poppiger, in Lübeck bunter. Die Spiellust schwappte ziemlich gleich durch Förde wie Bucht. Ob Lübeck sich damit einen Gefallen getan hat, keine Pause zu machen, ist bei Kindern für eine Spieldauer von eineinhalb Stunden fraglich. Kiel fing die Aufmerksamkeit nach der Pause sehr schnell wieder ein. Das Wichtigste aber war wieder gleich: der Schlussapplaus, lautstark und Zugabe fordernd.

Ronja Räubertochter

Der satanarchäolügenialkohöllischen Wunschpunsch

Arndt Voß
Aufgewachsen in Neumünster, in Lübeck seit 1959. Studium in Kiel und Hamburg (Musik- und Literaturwissenschaft). Ständige Mitarbeit an den Lübeckischen Blättern von 1974 bis 2014, Berichte und Kritiken darüber hinaus in einigen anderen Organen. Schwerpunktthemen: Musiktheater, Schauspiel, Konzerte.

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