Vincenz Türpe (Ein Schupo (Alfons Klostermeyer)), Foto: Marlène Meyer-Dunker

Ödön von Horváths „Glaube Liebe Hoffnung“ zum Saisonbeginn im Theater Lübeck
Ein Zeitstück aus der Zeit gefallen

Wohl nur zufällig zeigen beide Sparten am Theater Lübeck zum Saisonauftakt Produktionen, die auf das Jahr 1932 verweisen und zugleich Werke sind, deren Schöpfer vor der braunen Diktatur aus Deutschland fliehen mussten.

Paul Abrahams „Ball im Savoy“, in Berlin gerade einen Monat und eine Woche vor Hitlers Machtübernahme uraufgeführt und schnell wieder abgesetzt, ist zwar frei von der politischen Bedrohung, dennoch macht sie das spektakuläre Bühnenbild nachdrücklich sichtbar.

Anders ist das im Sprechtheater. Dort wurde Ödön von Horváths „Glaube Liebe Hoffnung“ ausgewählt, ein Drama mit starkem Zeitbezug. Für 1933 war die Uraufführung vorgesehen, auch sie in Berlin, zu der es wieder auf Betreiben der Nationalsozialisten ebenfalls nicht mehr kam.

Unter einem leicht veränderten Titel erfolgte sie Ende 1936 in Wien, wohin der dem Regime „unerwünschte“ Autor zunächst floh. Eine weitere Aufführung erlebte das Stück im Dezember 1938, als in Paris eine Gedenkveranstaltung für Horváth veranstaltet wurde. Am 28. Mai war er zu Gesprächen wegen einer Verfilmung eines seiner Romane an die Seine gekommen, wo er wenige Tage später, am 1. Juni, auf der Straße umkam. Ein bei einem Gewitter herabstürzender Ast erschlug ihn.

Die Handlung seines Stückes fußt auf einem realen juristischen Urteil, das gegen „Gramm Klara, geb. 18.11.1900 in Memmingen“ gesprochen wurde (nachzulesen in st 2372, S. 136 ff). Der Gerichtsreporter Lukas Kristl hatte Horváth 1932 darauf aufmerksam gemacht, empört, weil sich durch die „bürokratisch-verantwortungslose Anwendung kleiner Paragraphen“ (a. a. O. S. 11) ein kleines Vergehen wie ein Schwerverbrechen auswirkt, wie Horváth in seiner „Randbemerkung“ zu seinem Stück schreibt.

Maximilian Hildebrandt (Baron mit dem Trauerflor), Jan Byl (Oberpräparator), Matthias Hermann (Präparator), Johann David Talinski (Vizepräparator), Foto: Marlène Meyer-DunkerMaximilian Hildebrandt (Baron mit dem Trauerflor), Jan Byl (Oberpräparator), Matthias Hermann (Präparator), Johann David Talinski (Vizepräparator), Foto: Marlène Meyer-Dunker

Der Fall beschäftigte beide, Horváth dramatisch, Kristl beratend. Zwar wird Klara in Elisabeth umbenannt, doch die wesentlichen Züge beider Schicksale bleiben. Auch Elisabeth scheitert an den Institutionen, an der Rechts- und Verwaltungsordnung. Was Horváth zuspitzt, ist ihr Scheitern an der Gesellschaft. Wie Klara will sie sich als „Korsettreisende“ selbständig machen. Dafür braucht sie einen Wandergewerbeschein. Er ist so teuer, dass sie sich ihn in ihrer Not auf Umwegen beschaffen will. Das wird ihr als Betrug ausgelegt, trotz eines Planes, alles zu begleichen und redlich Geld zu verdienen.

In dem „Kleinen Totentanz“, so Horváths Stück im Untertitel, treten 19 Personen auf, vom Arbeiter über Angestellte des Anatomischen Instituts und einen Amtsgerichtsrat nebst Ehefrau bis zu einem Baron. Doch erst die Toten geben dem Stück Hintergründigkeit und rechtfertigen den Untertitel. Darunter ist die Mutter Elisabeths. Deren teures Begräbnis verhindert familiäre Unterstützung, die wiederum Elisabeths Eigeninitiative begründet. Sie will sogar ihren Körper zu anatomischen Forschungszwecken verkaufen.

Barsch weist sie der Oberpräparator ab, der den „Baron mit dem Trauerflor“ dagegen devot beruhigt, er könne die „Haltlosigkeit der … etwaigen Beschuldigungen“ beweisen, dass der Baron schuld an einem von ihm herbeigeführten Verkehrsunfall sei, bei der dessen Frau starb. Einem anderen Präparator ist sein Rehpinscher „verreckt“, wie er selbst sagt, und er weckt damit Elisabeths Mitleid.

Rachel Behringer (Elisabeth), Matthias Hermann (Präparator), Foto: Marlène Meyer-DunkerRachel Behringer (Elisabeth), Matthias Hermann (Präparator), Foto: Marlène Meyer-Dunker

Auch für den zweiten Mann, mit dem sie sich einlässt und der sie ebenfalls fallen lässt, nachdem er von ihrem Schicksal erfährt, wird Elisabeth zur Trösterin. Es ist der Schupo Klostermeyer, der in ihr seine „liebe Tote“, seine verstorbene Braut, erblickt. Über ihn erfährt man von einem zwischenzeitlichen Polizeieinsatz, bei dem im „latenten Bürgerkrieg“ „ein Unbeteiligter erschossen“ wird. Von dem Bühnenpersonal ereilt zwei der Tod. Zuerst infiziert sich der Oberpräparator an einer Leiche und muss seinen Posten unfreiwillig hergeben. Schließlich ist es Elisabeth, die ins Wasser geht, gerettet wird und dann doch an mangelnder Hilfe stirbt.

Der Zeitbezug, der bei der Musiktheaterproduktion hinzugefügt wurde, wird bei Lilja Rupprechts Regie im Schauspiel eher entfernt. Sie versucht nicht nur eine überzeitliche Verankerung, auch eine im Überall, beides sehr abstrakt. Horváth dagegen präzisiert. Er unterscheidet die Rollen allein dadurch, dass die wichtigsten Protagonisten Namen bekommen. Neben Elisabeth sind es der Schupo Klostermeyer, auch Elisabeths Auftraggeberin Irene Prantl, ihres Zeichens Großhändlerin für Damenwäsche und Korsagen, dann Maria, ein Fräulein, das sich mit dem Baron einließ, und schließlich der „tollkühne Lebensretter“ Joachim. Die Regie aber will es im Bühnenbild wie in der Mode anders. Statt zu verankern verweist beides auf unterschiedliche Regionen oder Zeiten.

Rachel Behringer (Elisabeth), Foto: Marlène Meyer-DunkerRachel Behringer (Elisabeth), Foto: Marlène Meyer-DunkerSo soll laut Programmheft Elisabeths extrem farbiges Kleid (Kostüme wie Bühne von Paula Wellmann) den „farbenfrohen mexikanischen Totenkult“ zitieren (S. 10). Der Schupo und seine Kollegen, darunter eine als „Kameradin“ bezeichnete Frau, erinnern eher an unselige Gestapozeiten. Auffälligstes Merkmal dieser Entpersönlichung aber sind die Masken, die alle Personen tragen. Ihre Botoxglätte verbietet jede Mimik, verfärbt sogar den Stimmklang ins Hohle. Zudem sind die Bewegungen der Spieler oft abgezirkelt oder übertrieben, besonders problematisch bei Elisabeth, die ständig wie eine verschämte Minderjährige an ihrem Rock zupfen muss, während sie im Bühnentext optimistische Züge trägt, außerdem tatkräftig ihre Ziele verfolgt.

Ein anderes Problem ist die Gestaltung der Szenen. Bei Horváth sind sie pointiert kurz, auch im Dialog verkürzt, floskelhaft oder leer, oft mehrdeutig. Zudem verstummen seine Personen immer wieder. „Stille“ ist die sehr häufig benutzte Regieanweisung dafür. Solche Mittel können zu parodistischer Darstellung führen, die Horváth aber ausdrücklich ablehnt: „… wer also ehrlich Menschen zu gestalten versucht, wird wohl immer nur Spiegelbilder gestalten können, und hier möchte ich mir erlauben, rasch folgendes zu betonen: ich habe und werde niemals Juxspiegelbilder gestalten, denn ich lehne alles Parodistische ab.“ (Randbemerkung S. 12; leicht verändert auch im Programmheft des Theaters S. 13).

Auf den Rezensenten wirkte das wie ständig gegen Horváth inszeniert. Die Entstehungszeit des Textes, auch die Aktualität der Problematik seinerzeit, die durchaus auf unsere zu übertragen wäre, vermittelte sich nicht, weil diesen Personen nicht empathisch zu begegnen war. Zudem mussten sechs der acht Schauspieler, die der Regie zur Verfügung standen, bis zu vier Charaktere bedienen.

Rachel Behringer (Elisabeth), Vincenz Türpe (Schupo Alfons Klostermeyer), Foto: Marlène Meyer-DunkerRachel Behringer (Elisabeth), Vincenz Türpe (Schupo Alfons Klostermeyer), Foto: Marlène Meyer-Dunker

Nur Rachel Behringer und Vinzenz Türpe hatten als Elisabeth und Klostermeyer eine durchgehende Rolle, nutzten das elegant, trotz des Maskenmankos. Weiterhin fiel Astrid Färbers gekonnte Gestik auf (Frau Amtsgerichtsrat und Kameradin), auch die Magdalena Helmigs als Maria Prantl, Maria und Buchhalterin. Die weiteren Rollen gingen in der unspezifischen Gestaltung unter, so dass nur noch die Namen der Beteiligten genannt seien, Matthias Herrmann, Jan Byl, Johann David Talinski und Maximilian Hildebrandt.

Viel wurde geschrien, manches unverständlich leise geflüstert, beides merkwürdigerweise von Figuren, die eher Marionetten oder emotionslosen Untoten glichen. Aber auch die Bühnenmusik Friederike Bernhardts attackierte, martialisch laut zu Beginn und später zu den Ortswechseln. Dazwischen gab es leise, akkordisch schwankende Gebilde, stilistisch nicht greifbar, möglicherweise als Erinnerung an Chopin gedacht.

Horváth hat wie in all seinen Stücken die Musik sehr bewusst empfohlen. Chopins Trauermarsch mit seinen pendelnden Akkordklängen stellte er sich als akustisches Signum vor, zunächst für den ersten Schauplatz „Vor dem Anatomischen Institut“, wo Elisabeth ihren Körper verkaufen will, dann als musikalische Farbe leitmotivisch wiederholt. Später sind es vor allem Märsche, der „Radetzkymarsch“ und „Alte Kameraden“, die er anregte. Etwas Adäquates fehlte.

Arndt Voß
Aufgewachsen in Neumünster, in Lübeck seit 1959. Studium in Kiel und Hamburg (Musik- und Literaturwissenschaft). Ständige Mitarbeit an den Lübeckischen Blättern von 1974 bis 2014, Berichte und Kritiken darüber hinaus in einigen anderen Organen. Schwerpunktthemen: Musiktheater, Schauspiel, Konzerte.

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