Jörn Kolpe (Celestin), Emma McNairy (Madeleine), Foto: Olaf Malzahn

Paul Abrahams Operette zur Saisoneröffnung des Theater Lübeck
Verrücktes Liebesspiel beim „Ball im Savoy“

Auch bei den Musicals sind schon etliche in die Jahre gekommen. Warum sollte man da nicht eine vergessene Operette wiederbeleben, Paul Abrahams „Ball im Savoy“ etwa? Das Theater Lübeck tat es zur Saisoneröffnung (Premiere: 1. September 2018) mit Bravour und ein paar Versatzstücken, das verrückte Ballvergnügen zu problematisieren.

Abrahams „Viktoria und ihr Husar“ (UA 1930) und die „Blume von Hawai“ (UA 1931) blieben einigermaßen im Gedächtnis. Der „Ball im Savoy“, 1932 ebenso erfolgreich, wurde dagegen trotz Verfilmung weitgehend vergessen. So hat eine Inszenierung dieser Operette den Reiz einer Wiederentdeckung. Neben altgedient Sentimentalem wie „Ich hab einen Mann, der mich liebt“ sind es spritzige Anleihen beim Jazz und muntere Tänze wie mit „Känguruh“, freche Couplets mit Nonsens-Attitüde, „Wenn wir Türken küssen“, bis hin zu gekonnten Ensembles mit Revuecharakter. Alles das nahm seinerzeit voraus, was das Image des Musicals werden sollte.

In Lübeck kümmerte sich darum einer, der sehr vertraut mit dem Haus ist, der Schauspieler, Regisseur und Romancier Michael Wallner. Einiges hat er dort auf die Bühne gebracht, im Projekt „Wagner-trifft-Mann" oder im Musiktheater von „Armide“ bis zum „Sunset Boulevard“, zumeist vielschichtig und theatralisch findig. Was Wallner jetzt wollte, sei erlaubt, an den Absichten eines Regiekollegen zu spiegeln. Die sind im Programmheft zitiert und stammen von Barrie Kosky, dem Intendanten und Chefregisseur der Komischen Oper Berlin. Vor wenigen Jahren brachte er dort bereits den „Ball im Savoy“ heraus: „Ja, man amüsiert sich drei Stunden in der Operette, und auf den Straßen wird geschossen. Der Druck ist da, aber davon hört man nichts im Stück. … es ist wunderbar, dass er [Abraham] den Schatten der heraufziehenden Nazizeit völlig ausblendet, das Stück ist als purer, verrückter Spaß geschrieben.“ (S. 13).

Emma McNairy (Madeleine),  Philippe Hall (Aristide),  Ensemble, Foto: Olaf MalzahnEmma McNairy (Madeleine), Philippe Hall (Aristide), Ensemble, Foto: Olaf Malzahn

Dem folgt Wallner in vielem, verkürzt aber erst einmal vor allem den dritten Akt und kommt damit auf gerade zweieinhalb Stunden. Genüsslich baut er dennoch die Episoden zusammen, gibt viel Anlass zum Lachen, übernahm selbst als Kammerdiener Archibald und Oberkellner Pomerol gleich zwei zwerchfellreizende Rollen. Ein großartiges Ensemble hilft ihm, gemischt aus zwei Gästen, einigen Mitgliedern des Opern- und früheren des Schauspielensembles, dem Chor und einer extra engagierten Truppe mit sechs Tänzern. Für sie schuf Andrea Danae Kingston die Choreografien, in die sie zugleich ansehnlich die Protagonisten und Choristen einbezog. Das verdeckt wieder einmal, dass Lübeck eine Tanztruppe fehlt.

Unter den hauseigenen Sängern hat Steffen Kubach als Türkeirepräsentant Mustapha Bei einen tollen Abend, füllt mit Körper und Stimme die Szene. Er ist einfach großartig! Ein weiterer Glanzpunkt ist Lübecks koloraturenmächtige Sopranistin Emma McNairy. Sie ist als junge und schlanke, dazu sich wunderbar bewegende Eifersuchtsfurie Madeleine ideal besetzt. Daneben überrascht Sara Wortmann, noch vor vier Spielzeiten Mitglied im Lübecker Schauspielensemble. Als agile Komponistin Daisy Darlington ist sie auch in männlicher Verkleidung nicht nur gut anzusehen, sie kann tanzen und respektabel singen, dazu geschickt und mit Witz sich den Mustapha als Ehefrau Nr. 7 gewinnen.

Angelika Milster (Tangolita),  Tanzcompany, Foto: Olaf MalzahnAngelika Milster (Tangolita), Tanzcompany, Foto: Olaf MalzahnDie dritte, kleinere Frauenrolle, die der argentinischen Tänzerin Tangolita, war mit Angelika Milster besetzt. Sie genoss ihren Auftritt und hat als Musicalstar genügend Erfahrung und Bühnenpräsenz, zudem eine große Stimme, um ein paar Schwächen im Tanzen zu überdecken. Der andere Gast, Philippe Hall als Marquis Aristide de Faublas, ist ein eleganter Tänzer und beweglicher Akteur, kann sich seiner jüngst angetrauten Madeleine gegenüber gesanglich nicht ganz behaupten. Der Schauspieler Jörn Kolpe schließlich, ehemals im Schauspiel fest engagiert, durfte in zwei Rollen mächtig chargieren, vor allem als Rechtsanwalt Celestin, der zufällig Madeleines Verführungsopfer wurde.

Leider verwechselte Adrian Pavlov, 2. Kapellmeister am Theater, Spaß mit Lautstärke. Er nutzte wenige Gelegenheiten, die Kompositionskunst Abrahams zu belegen, die der bereits in der Ouvertüre bewies, und suchte klangvoll die Nähe zum Musical. Den Chor hatte Jan-Michael Krüger sehr sicher einstudiert, so dass er wunderbar leicht mitspielen, auch mittanzen konnte.

Soweit konnte die Inszenierung durchaus überzeugen. Doch wollte Michael Wallner mehr, wollte in seiner Interpretation das Zeitbedingte dieser Operette verdeutlichen. Er wollte zeigen, dass nicht nur die verzwickt frivole und gewitzte Story um Eifersucht und Emanzipation die Gemüter der biederen braunen Machthaber erregte, dass sie nicht nur die übermütige Gesellschaft der Zeit abglich, in der Frauen sich ihr Lebens- und Liebesrecht nahmen. Er wollte all dies in Spannung setzen zu dem, was sich politisch regte. Nichts davon thematisiert die Musik oder das Libretto.

Ensemble, Foto: Olaf MalzahnEnsemble, Foto: Olaf Malzahn

Erst nach ihrem Erfolg wurde dem Komponisten und den beiden Librettisten übel zugesetzt. Den Text hatten hier und auch bei Abrahams beiden anderen Werken der in Böhmen geborene Fritz Löhner-Beda und der Österreicher Alfred Grünwald gemeinsam verfasst. Alle hatten sie jüdische Wurzeln und wurden deshalb verfolgt. Abraham und Grünwald konnten in die USA fliehen, aber dort nicht an frühere Erfolge anknüpfen. Der Komponist, psychisch und physisch labil, wurde 1956 von Freunden nach Deutschland zurückgeholt und verstarb 1960 in Eppendorf. Schon 1953 hatte der Tod Grünwald im New Yorker Stadtbezirk Forest Hills ereilt. Löhner-Breda erging es noch schlimmer. Im KZ Buchenwald hatte er noch den Text zu dem „Buchenwaldlied“ verfasst, bevor er 1942 in Auschwitz erschlagen wurde.

Steffen Kubach (Mustapha Bei),  Sara  Wortmann (Daisy), Foto: Olaf MalzahnSteffen Kubach (Mustapha Bei), Sara Wortmann (Daisy), Foto: Olaf MalzahnDiesen tragischen Hintergrund kann man im Kopf haben. Wallner aber wollte ihn realisieren. Das überließ er vor allem dem Bühnenbild, das, wie häufig schon in Lübeck, Heinz Hauser entwarf. Anfangs verweisen Blumen in stumpfen Farben auf Erich Nolde und dessen braune Gesinnung. Später verfärben sie sich dann wunderbar leuchtend. Für den ersten Akt zitiert Hauser dann eines von David Hockneys Swimmingpool-Bildern. Im zweiten Akt, der im Ballsaal spielt, ist dieses Arrangement, einem Gemälde von Georg Baselitz gleich, auf den Kopf gestellt. Der Himmel wird zum Tanzboden, der Pool zur Saaldecke. Das grenzt an Surrealität und entzieht der Handlung den Boden. Da sind dann plötzlich die Ballbesucher Gäste eines Mummenschanzes, bei dem Zeit und Geografie entgleiten. Da werden die Verflossenen sechs Frauen Mustafas zu geifernden Nattern.

Tanja Liebermann und Yvonne Forster haben das in ihren Kostümen aufwändig und zugleich charakteristisch eingefangen, nur nicht für die beiden allzu abgeschmackten Bediensteten in den Séparées. Sie müssen noch die modische Genderthematik bedienen. Aus den Fugen gerät dann der Schluss, wenn die Bühnenmaschinerie sich windet und die schwarzen Rückfronten der Kulisse zu einer nach vorn geneigten schwarzen Fläche sich strecken. Auf ihr kontrastiv und in Si(e)grunenform verläuft ein Band in Rot, Signum und Farbe der SS. Damit nicht genug, schreitet ein Mädchen in einem knallroten Mantel herab und mischt sich in die Sängerschar zum finalen Auftritt. Das alles zu deuten versagt sich der Rezensent.

Steffen Kubach (Mustapha Bei),  Sara  Wortmann (Daisy), Ensemble, Foto: Olaf MalzahnSteffen Kubach (Mustapha Bei), Sara Wortmann (Daisy), Ensemble, Foto: Olaf Malzahn

Abrahams lockere Musik und die leicht verworrene Handlung, das nicht ganz homogene Niveau des Gesangs, auch die staunenswerte Bühnentechnik, die sogar das Orchester aus dem Graben hochfahren ließ, kamen in dieser agilen Inszenierung gut an. Der Applaus bewies das.

Arndt Voß
Aufgewachsen in Neumünster, in Lübeck seit 1959. Studium in Kiel und Hamburg (Musik- und Literaturwissenschaft). Ständige Mitarbeit an den Lübeckischen Blättern von 1974 bis 2014, Berichte und Kritiken darüber hinaus in einigen anderen Organen. Schwerpunktthemen: Musiktheater, Schauspiel, Konzerte.

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