Theater Lübeck
Ein wirrer Traum oder Die wundersame Magie der „Zauberflöte“

Da ist sie wieder einmal, die „Zauberflöte“, beliebt und bekannt, wie kein anderes Opernwerk, und in Lübeck so alle 10 Jahre auf dem Spielplan, zuletzt 2008.

Evmorfia Metaxaki (Pamina), Foto: Olaf MalzahnEvmorfia Metaxaki (Pamina), Foto: Olaf MalzahnDie Genietat Mozarts und seines Librettisten Emanuel Schikaneder, der zugleich 1791 bei der Uraufführung der erste Papageno war, ist nicht nur beim Publikum, auch bei den Regisseuren geschätzt – und das offensichtlich wegen ihrer Vieldeutigkeit. Von Märchennarreteien bis hin zu Philosophischem der Freimauerwelt steckt in diesem Singspiel an Ansätzen so ziemlich alles. Dies und das kann betont werden, und so haben die unterschiedlichsten Deutungen kaum einmal einer Inszenierung geschadet. Wenn dann noch die musikalische Leistung einigermaßen stimmt, bleibt der Theatererfolg nicht aus. Er wird es auch nicht bei der neuesten, optisch ansprechenden Inszenierung an der Beckergrube (Premiere: 20. April 2018), die diesmal Tom Ryser vorlegte. Er hatte mit Bernsteins „Mass“ ein sehr folgerichtiges und geschlossenes Regiekonzept geboten, konnte jetzt allerdings nicht gleichermaßen überzeugen.

Das lag an vielem. Zunächst einmal waren sehr schräge, verstörende Klänge aus dem Orchestergraben zu vernehmen, nicht klassischer Art. Will man sie deuten, ist an ein laut anschwellendes Einstimmen der Musiker zu denken. Da es jedoch in einen harmonischen Akkord mündet, könnte man meinen, die Sarastro-Welt sollte heraufbeschworen werden. Oder wollte es nur oberflächlich Aufmerksamkeit provozieren, als „Ersatz“ quasi, weil Mozarts Einleitung einmal wieder zweckentfremdet wurde? Glaubt auch Tom Ryser nicht, dass der Opernbesucher zuhören kann, er daher die Ouvertüre bebildern muss?

Evmorfia Metaxaki (Pamina), Juraj Hollý (Tamino), Foto: Olaf MalzahnEvmorfia Metaxaki (Pamina), Juraj Hollý (Tamino), Foto: Olaf Malzahn

In diesem Fall macht er es mit einer Hochzeitsfeier, bei der der Bräutigam, man darf an Papageno denken, sich nur missmutig dem Zeremoniell stellt und zudem das beliebte Brautraub-Spiel erdulden muss. Irgendwann schläft er ein, sodass das Folgende nun als Traumgeschehen zu werten ist. Das führte, wenn auch zur falschen Zeit, tatsächlich zu dem zurück, was im Libretto steht. Bekanntlich fällt Prinz Tamino wegen einer bösen Schlange in Ohnmacht. Wieder aufgewacht stellt er die Frage: „Wo bin ich? Ist’s Fantasie, dass ich noch lebe?“ Damit kann ein Regisseur sich auf Schikaneder oder Mozart, der gern einmal ins Textbuch eingriff, oder gar auf beide berufen, wenn alles, was auf der Bühne folgt, vorgibt, trügerisches Träumen zu sein. Tom Ryser ist entlastet, so wie nebenbei auch Anthony Pilavachi vor zehn Jahren, der dem gleichen Ansatz folgte, nur mit anderen, weniger vagen Konsequenzen.

Caroline Nkwe (1. Dame der Königin), Michaela Lucas (3. Dame der Königin), Iuliia Tarasova (2. Dame der Königin), Juraj Hollý (Tamino), Foto: Olaf MalzahnCaroline Nkwe (1. Dame der Königin), Michaela Lucas (3. Dame der Königin), Iuliia Tarasova (2. Dame der Königin), Juraj Hollý (Tamino), Foto: Olaf Malzahn

Tom Ryser bleibt zunächst beim Thema. Sein Lindwurm wird eine Schlange der Gäste, die mit ganz großen Schritten loszieht und eine Polonaise tanzt. Sie wird von den drei Damen der Königin der Nacht jäh in Einzelglieder zerlegt, sodass Chordamen und -herren in letzten Zuckungen auf dem Bühnenboden sich winden. Es folgt der drei Damen immer wieder köstliche Streit um die Betreuung von Prinz Tamino, bevor er mit den oben zitierten Worten aufwacht. Nun endlich kann das bekannte Geschehen beginnen, bei dem alle Akteure Überbleibsel der Feier sind, alle dementsprechend festlich gewandet (Ausstattung: Stefan Rieckhoff). Tamino trägt weiterhin seinen edlen Gesellschaftsanzug mit krönendem Kopfputz, die drei Damen ihre hübschen blauen Kleider, die sich nur dadurch von denen der anderen weiblichen Gäste unterscheiden, weil sie kürzer und tiefer ausgeschnitten sind, während ihre Chefin, die Königin der Nacht, sich mit langem Rock und feinem Darüber deutlich heraushebt.

Johan Hyunbong Choi (Papageno), Evmorfia Metaxaki (Pamina), Foto: Olaf MalzahnJohan Hyunbong Choi (Papageno), Evmorfia Metaxaki (Pamina), Foto: Olaf MalzahnBunt ist Papageno, auch er schon in der pantomimischen Vorszene als Entertainer dabei. Zu seiner rot-changierenden Hose mit Kamarband, dem persischen Hüftgürtel oder heutigen Kummerbund, trägt er eine flauschige Weste, gelb wie seine Schuhe, und auf dem Hinterkopf eine Vogelmaske. Als seine Handlanger fungieren dort schon die drei Knaben, niedlich in Frack und Zylinder, bevor sie als Führer ihre edlen Parolen verkünden. Pamina hat natürlich ein feines und weißes Kleid, und der edle Sarastro ist sehr distinguiert gekleidet, mit besonderer Krawatte und Weste im Gobelinstil.

Zu ihm gehören aber noch ein paar weitere Akteure, und da hat der Traumgeist ganz gehörig Verwirrung in die Hirnströme der Inszenatoren gebracht. Sehr bizarr wirkt daher Sarastros Gefolge. Nicht nur, dass sie im Unterhemd und mit Hosenträgern zur schwarzen Hose per se kurios aussehen, müssen sie dazu noch Stehlampen tragen, werden auf diese Weise eine Truppe von Armleuchtern, mit Sarastro im Zentrum. Aber wir sind ja in einer Traumwelt, und da, glaubt die Regie, ist alles möglich, darf auch die Garde von Monostatos weiblich, Papagena eine Gouvernante im Hosenanzug sein und die Geharnischten als Oberkellner in merkwürdigem Schritt exerzieren.

Denis Velev (Sarastro), Herren des Chores des Theater Lübeck, Foto: Olaf MalzahDenis Velev (Sarastro), Herren des Chores des Theater Lübeck, Foto: Olaf Malzah

Aber der Ansatz mahnt, alles nicht so ernst zu nehmen, schließlich diente der „Zauberflöte“ eines der Feen- und Geistermärchen aus „Dschinnistan“, der Sammlung des Aufklärers Wieland. So darf man es als entsprechend verwandte Geistesblitze hinnehmen, dass die magische Zauberflöte zu einem glitzernden Stab mutiert und Papageno als Glockenspiel zwei entsprechende Kugeln in Händen hält. Zudem gibt es wirklich Überzeugendes, wenn die leichte und luftige Bühnendekoration und die Licht- und Klangregie mit Donner und Blitz sich dem Geschehen stimmungsvoll anpasst. Auch in der Personenregie gelingt vieles, wenn etwa Sarastro die widerstrebende Pamina an seine Brust drückt, die drei sehr jungen Knaben anrührend den „Morgen … verkünden“ oder im Schlussbild Sarastro mit seiner nächtlichen Widersacherin Arm in Arm die „Schönheit und Weisheit mit ewiger Kron‘“ belohnen.

Denis Velev (Sarastro), Evmorfia Metaxaki (Pamina), Foto: Olaf MalzahnDenis Velev (Sarastro), Evmorfia Metaxaki (Pamina), Foto: Olaf Malzahn

Der gesprochene Text (auch manche musikalische Nummer) ist so gekürzt, dass keine Länge entsteht. Zudem macht Tom Ryser aus der Tatsache, dass die Sängerschar international zusammengewürfelt ist, eine Tugend. Besonders gelungen ist das bei Papageno, den grandios der Koreaner Johan Hyunbong Choi verkörpert. Er darf urkomisch in seiner Landessprache plappern und kann zudem kraftvoll und gewandt singen. Eine große Partie liefert die Griechin Evmorfia Metaxaki als Pamina. Ihr Gesang ist wunderbar zart und nuanciert und auch im Sprechen überzeugend. Anders ist das bei dem Slowaken Juraj Hollý, der mit seinem kraftvollen Tenor das Lyrische von Tamino nicht wirklich trifft. Als Gast in einer Aufführung, die nahezu voll durch Hauskräfte getragen ist, gestaltet der Bulgare Denis Velev den Sarastro. Sein Akzent passt zur Rolle, sein Gesang ist jugendlich geschmeidig, nur in der Tiefe nicht fundiert genug.

Erica Eloff (Die Königin der Nacht), Foto: Olaf MalzahnErica Eloff (Die Königin der Nacht), Foto: Olaf MalzahnDie Rolle seines Widerparts, die Königin der Nacht, hat merkwürdige Ecken. Mit ihr ist ein zweiter Gast betraut, die Südafrikanerin Erica Eloff. So sehr sie als Fiordiligi und als Tosca in Lübeck begeisterte, gelingt ihr das in dieser Partie nicht ganz. Das liegt wohl auch an dem szenischen Widerspruch. Er entsteht dadurch, dass zu ihrer Klage „Zum Leiden bin ich auserkoren“ ihre Damen im Hintergrund sich tänzerisch amüsieren dürfen. Ihre Bravour-Arie „Der Hölle Rache kocht in meinem Herzen“ muss sie gar neckisch auf einem Tisch von sich geben, Tabledance der anderen Art. Mit den vielen weiteren Rollen und dem Chor (Einstudierung: Jan-Michael Krüger) kann das Theater Lübeck imponieren, von den jungen Sängern aus der Lübecker Knabenkantorei bis hin zu Solisten aus dem Ensemble und dem Theaterchor. Die Musiker im Orchestergraben und die Sänger auf der Bühne zusammenzuhalten oblag Andreas Wolf. Dabei stimmten nicht immer die Tempi.

Aber das sind Kleinigkeiten. Der lange Beifall bei der Premiere deutet an, dass auch diese „Zauberflöte“ mit ihrer wundersamen Magie ankommt.

Arndt Voß
Aufgewachsen in Neumünster, in Lübeck seit 1959. Studium in Kiel und Hamburg (Musik- und Literaturwissenschaft). Ständige Mitarbeit an den Lübeckischen Blättern von 1974 bis 2014, Berichte und Kritiken darüber hinaus in einigen anderen Organen. Schwerpunktthemen: Musiktheater, Schauspiel, Konzerte.

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