Robert Brandt (Fjodor Karamasow), Andreas Hutzel (Iwan Karamasow)

Ein höllisch fein austarierter Strudel aus Schuld, Strafe und Vergeltung
Die Brüder Karamasow

Und wieder ein Roman als Bühnenstück: Schauspielchef Pit Holzwarth hat mit seinen bewährten Mitstreitern Werner Brenner (Ausstattung) und Willy Daum (Musikalische Leitung) Dostojewskis großen letzten Roman „Die Brüder Karamasow“ auf die Bühne des Großen Hauses gebracht – eine gelungene, gleichwohl erschöpfende Inszenierung.

Als Vater, überhaupt als soziales Wesen ist der alte Karamasow ein Totalausfall. Seine Söhne hat er im Kindesalter vernachlässigt, die jungen Männer instrumentalisiert, verhöhnt und verachtet er. Die Söhne haben allen Grund, den Vater zu hassen. Aber dürfen sie das auch vor Gott und ihrem Gewissen? Dostojewskis 1880 fertiggestellter Roman „Die Brüder Karamasow“ ist eine kolossale Auseinandersetzung mit dem sittlichen Sollen, Wollen und Handeln. Fast 1.300 Seiten hat der Roman in der deutschen Übersetzung.

Henning Sembritzki (Dmitrij Karamasow), Susanne Höhne (Katerina Iwanowa)Henning Sembritzki (Dmitrij Karamasow), Susanne Höhne (Katerina Iwanowa)In Lübeck hat Schauspielchef Pit Holzwarth dies zu einem drei Stunden und 45 Minuten währenden, höllisch fein austarierten Strudel aus Schuld, Strafe und Vergeltung umgearbeitet. Wenn Holzwarth, sein Ausstatter Werner Brenner und Willy Daum als musikalischer Leiter an der Beckergrube arbeiten, dann ist ein volles Haus so gut wie garantiert. Die Stücke über Leonard Cohen und die Comedian Harmonists sind Publikumsmagneten. So mühelos wie zuletzt in der „Bar zum Krokodil“ wird die Eroberung mit Dostojewski aber wohl nicht stattfinden, kein Wunder, allein das aus Familiensaga, Krimi und Gesellschaftsdrama verwobene Konstrukt kann auf der Bühne nicht sinnschmeichelnder werden. Es sei denn, man schleift es. Davor hüten sich Holzwarth, Brenner und Daum, dem Zuschauer wird somit einiges abverlangt.

Zu betrachten sind die Brüder Dmitri (Henning Sembritzki), Iwan (Andreas Hutzel), Aljoscha (Johann David Talinski) sowie der uneheliche, zum Lakaien degradierte Smerdjakow (Mathias Hermann), die sich, je nach Charakter, in Auseinandersetzung mit den Vater befinden. Robert Brand bringt diesen Fjodor Karamasow mit geradezu erschütternder Dichte auf die Bühne, allein das lohnte den Besuch der Inszenierung. Auch die Söhne sind klar gezeichnet: der haltlose Lebemann Dmitri, der zweifelnde Intellektuelle Iwan, der religiöse Philanthrop Aljoscha und Smerdjakow, der die Abgründe und Sehnsüchte aller anderen Karamasows in sich vereint. Den legitimen Söhnen zur Seite stehen mit Susanne Höhne als Katerina, Agnes Mann als Gruschenka und Sophie Pfennigsdorf als Lise drei Frauen, die ganz im Dostojewskiʼschen Sinne das Hoffen und Begehren der Männer spiegeln.

Susanne Höhne (Katerina Iwanowa), Johann David Talinski (Aljoscha), Matthias Hermann, Andreas Hutzel (Iwan Karamasow)Susanne Höhne (Katerina Iwanowa), Johann David Talinski (Aljoscha), Matthias Hermann, Andreas Hutzel (Iwan Karamasow)

„Die Brüder Karamasow“ in bewegten Bildern zu zeigen, ist uralt. Der Verfilmung von 1915 folgte u. a. 1958 der Hollywoodstreifen mit Yul Brynner, Maria Schell und William Shatner und vor Pit Holzwarth brachte zum Beispiel Frank Castorf 2015 den Stoff in epischen fast sieben Stunden auf die Volksbühne Berlin. Das Besondere an der Lübecker Fassung und Inszenierung ist das schon legendäre Zusammenspiel des Regieteams. Brenners Bühne vollzieht das nicht enden wollende Ringen um einen Lebenssinn mit einem Rundlauf nach, der an einen Kreuzgang gemahnt. Innere und äußere Auseinandersetzungen finden in Zellen statt, die, drei an der Zahl, in umgekehrter Pyramide bühnenmittig gestapelt sind, und ganz Böses steigt aus dem Drehbühnenkeller nach oben.

Aus einer Loge am rechten Rand kommentieren und interpretieren Willy Daum und zwei Mitstreiter das Geschehen musikalisch, dies oft in Filmmusikmanier zurückhaltend, gelegentlich auch als Liedbegleiter, denn gesungen wird natürlich auch: „Zauberland ist abgebrannt …“ Die Inszenierung ist eine von den großen in Lübeck. Dass der Premierenapplaus nur begeistert und nicht frenetisch ausfällt, mag daran liegen, dass 225 Minuten für diesen Dostojewski zwar wenig sind, aber dennoch erschöpfend, denn unterbrochen wird er nur von einer 20-minütigen Pause – viel zu wenig, um den Flüssigkeitshaushalt der Besucher angemessen ins Gleichgewicht zu bringen.

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