George Bernard Shaw war Dramatiker, Sozialist, Satiriker, Musikkritiker, Pazifist. Und glühender Amateurfotograf. Doch dass sich in seinem Nachlass die gewaltige Anzahl von 20.000 Aufnahmen findet, ist kaum bekannt und auch von Shaw-Experten nahezu unerforscht.
Zum ersten Mal in Deutschland zeigt jetzt das Lübecker Günter Grass-Haus die unbekannte Seite des Literaturnobelpreisträgers und Oscar-Gewinners: „In Szene gesetzt. George Bernard Shaw und die Fotografie“. „Ich würde bereitwillig jedes Gemälde von Christus hergeben für einen einzigen Schnappschuss von ihm.“ Groß steht das Shaw-Zitat an der Wand. Nahebei heißt es: „Ein Fotograf ist wie ein Dorsch, der eine Million Eier legt, auf das eines reifen und heranwachsen möge.“
Im Gegensatz zu vielen Zeitgenossen hat George Bernard Shaw, 1856 in Dublin geboren, 1950 in der englischen Grafschaft Hertfordshire gestorben, die noch junge Fotografie als Ausdrucksmittel der Kunst ernst genommen. Er entdeckt sie 1898, da ist er 42 Jahre alt und auf dem Weg zu Weltruhm. Der begründet sich vor allem auf die mehr als 50 Dramen, die er schreiben wird. Den Literaturnobelpreis bekommt er 1925 „für seine sowohl von Idealismus als auch von Humanität getragene Verfasserschaft, deren frische Satire sich oft mit einer eigenartigen poetischen Schönheit vereint“, den Oscar für das Drehbuch der englischen Verfilmung von „Pygmalion“ 1938. An der Kamera ist Shaw ein neugieriger und experimentierfreudiger Autodidakt. Und er ist überzeugt von der gesellschaftsverändernden Kraft des frischen Mediums, in dem er, anders als in der Malerei, die Chance der unvoreingenommenen Wiedergabe der Wirklichkeit sieht.
Mit rund 50 Fotografien komponierte Kurator Philipp Bürger die Sonderausstellung, die sich auf die frühen Jahre des Fotografen Shaw (bis 1910) konzentriert. Die Themenbereiche Stadt, Natur, Porträts und Selbstporträts zeugen nicht nur vom Können eines Mehrfachtalents, sondern zeigen auch weniger augenfällige Seiten eines scharfzüngigen Sprach- und Sprechkünstlers: Da gibt es romantische Adern zu entdecken, da ist das fotografische Spiel mit den zeitgenössischen Richtungen der Malerei, da sind die augenzwinkernden Arrangements, die die Schwäche der vermeintlich unvoreingenommenen Wiedergabe bloßzustellen scheinen. Und da ist vor allem die Lust an der Selbstinszenierung. Shaw steht als Autor, Journalist, Politiker in der Öffentlichkeit, er ist selbst einer der am meisten fotografierten Männer seiner Zeit. „Shaw nutzt die Fotografie, um sich mit dem Kürzel G.B.S. als eine erfolgreiche globale Marke zu etablieren“, sagt Bürger.
Und apropos Inszenierung: Zur Schau gehört eine Selfie-Station: Als der Bildhauer Auguste Rodin 1906 an einem Porträt Shaws arbeitet, lässt dieser sich in der Pose der Rodin-Skulptur „Der Denker“ fotografieren. Besucher sind eingeladen, sich an dieser Pose zu versuchen – und vielleicht eine Parallele zu Selbstdarstellungen auf Instagram & Co. zu schlagen.
Infos: In Szene gesetzt. George Bernard Shaw und die Fotografie
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