Christian Schad: Selbstbildnis, Foto: (c) Christian Schad Stiftung Aschaffenburg

Die Kunsthalle St. Annen zeigt Kunst nach 1945 und Künstlerporträts aus Eigenbeständen
"Ich und mein Selfie" und "Highlights der Sammlung"

Die Kunsthalle St. Annen? Für die meisten Besucher ist das ein von Natur aus leerer Bau, der auswärtigen Kunstwerken vorübergehend Quartier bietet. Dass zum Haus mit z. B. rund 800 Werken zur Kunst nach 1945 bis in die Gegenwart eine beachtliche Sammlung zählt, ist kaum verankert im öffentlichen Bewusstsein.

Vielleicht brauchte es den frischen Blick von außen, um zu würdigen, was zumeist im Depot schlummerte. Jedenfalls hat Antje Britt Mählmann, im vergangenen August als Leitende Kuratorin der Kunsthalle mit der Ankündigung angetreten, einen Fokus auf den hauseigenen Schatz zu richten, jetzt im Obergeschoss „Highlights der Sammlung“ komponiert. Und in den drei Ebenen darunter sind unter dem überraschenden Titel „Ich und mein Selfie“ prominent und liebevoll wie nie zuvor Künstlerporträts aus der ebenfalls mit dem Haus verbundenen Sammlung der Leonie Freifrau von Rüxleben zu sehen. Allesamt Pretiosen aus eigenen Beständen. Das Ergebnis ist beglückend.

„Von der Abstraktion zur Figuration und wieder zurück“ geht es im Obergeschoss. Was hier hängt, war lange nicht oder noch nie zu sehen: Werke von Karel Appel, Willi Baumeister, K.O. Götz, Candida Höfer, Ernst Wilhelm Nay, Sigmar Polke, Thomas Ruff, alle aus dem Depot, alles städtische Kleinodien. Am bekanntesten ist hier noch Andy Warhols Holstentor, das leuchtend Pink auch seine größte Strahlkraft hat und das außerdem ein Lieblingsexponat der Kuratorin ist. Ein Warhol in Lübeck und über Lübeck – es klingt immer noch ein bisschen, als müsse sie sich kneifen angesichts dieser Entdeckung und dem „Sahnehäubchen“, dass man eben auch vor Ort die Entstehungsgeschichte dieses Siebdruckes recherchieren könne, der 1980 zusammen mit 150 anderen Warhol-Arbeiten (darunter Bilder der Serien Flowers, Marilyn Monroe und Joseph Beuys) im Geschäft des Möbelhändlers Heiner Reese zu sehen, ja, sogar im gleichen Jahr extra für diese Schau angefertigt worden war.

Antje Britt Mählmann neben Andy Warhols Holstentor, Foto: Karin LubowskiAntje Britt Mählmann neben Andy Warhols Holstentor, Foto: Karin Lubowski

Kuratorin Mählmann zeigt auch zwei Werke von K.H.R. Sonderburg und eines von Bernhard Schulze, drei Arbeiten, die Lübeck kürzlich vom ehemaligen Ministerpräsidenten Björn Engholm geschenkt bekam und nun zum ersten Mal zugänglich sind. Wie innig mit diesen Sammlungs-„Highlights“ verbunden, wirkt auf den Ebenen darunter die Auswahl aus der Rüxleben-Sammlung, die im Untertitel das mächtige Versprechen gibt, einen Blick auf die Kunst des Selbstporträts „von Liebermann bis Immendorf“ zu zeigen − das aber trotzdem klein ist, gemessen an der gesamten Schenkung der 2005 im Alter von 85 Jahren verstorbenen Freifrau.

Mehr als 1.400 Werke umfasst die Sammlung der ehemaligen Getreidemaklerin. 2004, ein Jahr vor ihrem Tod also, kam sie als Schenkung an die Trave. Eine Gabe mit Folgen. Da gab es Auseinandersetzungen mit dem Bevollmächtigten der Freifrau, der bei den Lübeckern die Schenkungs-Bedingungen – u. a. eine Ausstellung binnen Jahresfrist – anmahnte; sogar vom Entzug der Sammlung war damals die Rede. Kommunikation ist gelegentlich schwierig, jedenfalls fühlte man sich auf Lübecker Seite wiederum missverstanden angesichts der Mühe, die sowohl die Aufarbeitung eines solchen Geschenkes als auch die Vorbereitung einer Ausstellung macht.

Elvira Bach: Selbst mit Pflanze, Foto: (c) VG Bild-KunstElvira Bach: Selbst mit Pflanze, Foto: (c) VG Bild-KunstDann kam es doch bald zu turnusmäßigen nach Künstlern durchalphabetisierten Teil-Ausstellungen dieser Kunst des Selbstporträts. Stolz zur Schau gestellt durfte sich die Gabe allerdings selten fühlen, eher als Kellerkind. Bis jetzt. Werke u. a. von Max Liebermann, Renée Sintenis, Otto Dix, George Grosz, Max Pechstein, Max Beckmann, Käthe Kollwitz, René Magritte, Salvador Dali, Bernhard Heisig, Werner Tübke, Ernst Fuchs, Dieter Roth, Günther Uecker, Paul Wunderlich, Horst Janssen, Johannes Grützke und Jörg Immendorff, auch von Armin Mueller-Stahl, Amanda Lear und Udo Lindenberg nehmen drei Etagen ein.

Dass es eine „gebrauchte“ Schau ist, die, konzipiert vom Hamburger Ausstellungsbüro Fromm und Beege, bis vor kurzem im Kunsthaus Apolda zu sehen war, fällt nirgendwo auf. Die zu Schwerpunkten wie Klassische Moderne und Atelierbilder komponierten Exponate fügen sich vielmehr in den lichten Bau, als sei der für sie gemacht. Zu sehen ist Humorvolles, Nachdenkliches, Erschreckendes, zu entdecken sind Künstler-Selbstreflexionen im Wandel der Zeit, eben bis zur Selfie-Foto-Flut der Gegenwart. Der Besucher kann nicht anders, als darüber zu grübeln, ob und was die mit der Kunst des Selbstporträts zu schaffen hat. Zur Ermunterung steht eine Selfie-Box im Erdgeschoss bereit. Und dort hängt auch endlich mal ein Foto der Sammlerin, denn wie die quirlige Kunstliebhaberin Rüxleben aussah, wissen nur wenige in dieser Stadt.

Die Ausstellungen sind noch zu sehen bis Sonntag, 17.03.2019.

Ich und mein Selfie – Künstlerselbstporträts von Liebermann bis Immendorff

Highlights der Sammlung

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