Lars Wellings (Räuber Hotzenplotz), Dilek Tasdavar (Pilz), Marco Beck (Pilz)

Die Geschichte vom Lotzenpotz oder Plotzenhotz oder Potzenlotz oder wie auch immer – jedenfalls am Theater Lübeck

10 Uhr, morgens, ist das zu früh fürs Theater? Möglich, aber nicht für den Räuber Hotzenplotz.

Der muss zeitig aufstehen, auch wenn die Oma sich mit dem Kaffeekochen Zeit lassen könnte. Aber um 10 Uhr will sie doch hören, wie schön ihre Kaffeemühle wieder „Stille Nacht“ spielt. Die hatte sie, eine stille Nacht. Nun ist die jäh zu Ende. Denn da steht einer mit einem struppigen schwarzen Bart, 55 Jahre alt, dennoch nicht ergraut, und schreit: „Her damit!“ Oma will es gar nicht glauben, dass er der Räuber Hotzenplotz ist und ihr das gemeinsame Geburtstagsgeschenk von Kasperl und Seppel entreißen will. „Hilfe!“, schreit sie und fällt in Ohnmacht.

Tom Semmler (Seppel), Stephanie Schadeweg (Großmutter), Jörn Kolpe (Kasperl)Tom Semmler (Seppel), Stephanie Schadeweg (Großmutter), Jörn Kolpe (Kasperl)

Und nun beginnt sie, die allbekannte, immer noch begeisternde Geschichte vom „Räuber Hotzenplotz“, die Otfried Preußler erdachte. In ihr lässt er der Oma etliche zu Hilfe kommen, ihren Enkel Kasperl natürlich, dessen Freund Seppel, den Wachtmeister Dimpfelmoser von Amts wegen, und eigentlich auch die Fee Amaryllis. Kasperl gelang es nämlich, sie aus ihrer Unkengestalt zu befreien. In solch ein hässliches Krötentier hatte der böse Zauberer Petrosilius Zwackelmann sie verwandelt, weil sie zu viel Gutes tat und immer noch tut, auch das mit dem Zauberring für Kasperl, der alles zum Happy End wendet.

Hotzenplotz wie sein alter „Freund“, der Zauberer, sind die Gegenmächte, die es mit viel List auszuschalten galt. Um den Schluss dramatisch hinauszuzögern, musste das herrlich verworren sein. Reizvoll wurde das und zum Staunen schön durch die Kostüme von Theresa Klement. Und nicht nur die virtuosen Wortspiele von Kasperl und Seppel kamen an, die mit den vielen Verdrehungen wie oben in der Überschrift oder die zu Zeprodilius Wackelzahn beim Zauberer. Sie sollten beide wütend und unbedacht machen, wie es dann auch kam. Insgesamt war wirklich löbliches Theater daraus geworden, eng am ersten Band der „Hotzenplotz“-Trilogie entlang.

Jörn Kolpe (Kasperl), Stephanie Schadeweg (Kartoffelsack) Marcus Hering (Petrosilius Zwackelmann)Jörn Kolpe (Kasperl), Stephanie Schadeweg (Kartoffelsack) Marcus Hering (Petrosilius Zwackelmann)

Stefan Heinrichs ließ die Bühnenmaschinerie alles hergeben. Vergleichsweise einfach war Großmutters gute Stube mit Kanonenofen, Sofa, Sessel, Tisch samt schonbedürftigem Teppich und der köstlichen Bildtapete in die schneekalte Waldszenerie des Anfangs gesetzt. Des Räubers Höhle dagegen fuhr aus dem Untergrund herauf. Wurzelwerk umrahmte das Erdloch, eingerichtet aber wie Omas gute Stube, zusätzlich mit Kristalllüster und Regalen mit allerlei Diebesgut. Spitze war allerdings des Zauberers hohe und schräge Turmwelt, auf die er besenreitend herabschwebte. Die Umbauten klappten zügig, häufig bei Songs von Michael Ruchter und Thomas Zerck, denn auch die gab es für jede Figur. Sie waren als die beiden Kobolde Knolle und Bolle mit im Spiel, machten nicht nur Späßchen, auch mit Gitarre und Schlagzeug trefflich Musik und Geräusche.

Lars Wellings (Räuber Hotzenplotz)Lars Wellings (Räuber Hotzenplotz)Am Theater hatte man zwar ein „Weihnachtsstück“ angekündigt, aber zum Weihnachtsmann eignet sich der Räuber nun gar nicht, auch wenn sich manchmal Kollegen von ihm rot bemantelt tarnen und gar Böses veranstalten. Aber dafür spielte Großmutters Kaffeemühle „Stille Nacht“, weil „Alles neu macht der Mai“ ja nun wirklich nicht passt, und Asche rieselte aus der Goldkiste, weil der originale Sand zwar rutschfester, aber in der Schneelandschaft nicht zu verfolgen gewesen wäre.

Die Inszenierung von Jan Jochymski wurde vor allem durch Jörn Kolpe (Kasperl) und Tom Semmler (Seppel) wunderbar agil, ein tolles Freundespaar. Lars Wellings gab dem Räuber mit seinen sieben Messern und als vogelfreier Gimpel immer eine straffe Figur. Zur flotten Oma wurde Stephanie Schadeweg, die auch als Kartoffelsack munter herumhüpfte. Marcus Hering war Wachtmeister und Zauberer, hatte bloß Pech mit dem Mikrofon, das seine Falsettstimme nicht mochte. Lena Vix schließlich war erst Unke und wurde dann die zauberhaft lächelnde Fee. Das junge Publikum im Theater Lübeck half aus mit Rat, wenn die Agierenden einmal nicht weiterwussten. Für sie waren die eineinviertel Stunden voller Spannung, so dass sie zum Schluss lautstark ihre Zugabe einforderten.

Arndt Voß
Aufgewachsen in Neumünster, in Lübeck seit 1959. Studium in Kiel und Hamburg (Musik- und Literaturwissenschaft). Ständige Mitarbeit an den Lübeckischen Blättern von 1974 bis 2014, Berichte und Kritiken darüber hinaus in einigen anderen Organen. Schwerpunktthemen: Musiktheater, Schauspiel, Konzerte.

Sie haben keine Berechtigung hier einen Kommentar zu schreiben.