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Kabarett mit Martin Zingsheim
Ein Finale der anderen Art von „Jugend kulturell“

„Jugend kulturell“, ein Markenzeichen für frische, oft ungewöhnliche Auftritte von jungen Künstlern aus den Bereichen Musik und Darstellende Kunst, hat sich in 35 Jahren sehr gewandelt.

1981 von der Vereins- und Westbank als Förderprogramm für junge Talente im Norddeutschen Raum gegründet, hatten die attraktiven Abende sich z. B. in Lübeck im Kulturleben fest etabliert, boten unter anderem Institutionen wie Musik- und Tanzschulen mit Hochbegabten oder der Musikhochschule mit außergewöhnlich Talentierten ein gern angenommenes Forum. Das Image wandelte sich, als die Bank 2005 mit der Hypo-Vereinsbank verschmolz, die wiederum bereits 2000 von der italienischen UniCredit übernommen worden war. Mit der Fusion wurde das beispielhafte Kulturprogramm auf ganz Deutschland ausgeweitet.

Auch das Profil änderte sich, vor allem durch die jedes Jahr für die Sparten A cappella, Musical, Kabarett & Co. und Popmusik im Wechsel ausgeschriebenen Wettbewerbe. Aufwändig wurden in der ganzen Republik Vorentscheidungen ausgetragen, die dann in einem großen Finale in Hamburg endeten. Einige der bisherigen Teilnehmer und Preisträger des Wettbewerbs sind die Kabarettisten Bodo Wartke oder Matthias Brodowy, die Musiker Alice Merton oder Johanna Zeul und die Bands Phrasenmäher und Luxuslärm, die Musical-Darstellerinnen Katja Berg oder Roberta Valentini sowie die A-cappella-Ensembles LaLeLu oder HörBänd.

Wie zu lesen ist, traten seit Beginn der Förderreihe ca. 9.500 Künstler bei über 2.200 Veranstaltungen mit rund 360.000 Besuchern auf (Stand März 2017). Das ist insgesamt ehrenwert, auch wenn Auftritte im Norden Rarität wurden. Sie fanden z. B. an der Trave allenfalls ein- bis zweimal im Jahr statt und wenn, dann mit überregionalen jungen Künstlern. In der Presse ist nun von immensen Abschöpfungen finanzieller Mittel durch den Mutterkonzern UniCredit zu lesen. Das wird auch für „Jugend kulturell“ empfindliche Einschnitte bedeuten. So fehlt bereits in diesem Jahr die Ausschreibung für den Wettbewerb. Der bislang letzte war damit der Förderpreis 2016 in der Sparte "Acoustic Pop" für Alice Merton, Listen to Leena (2. Preis) und ANTIHELD (Publikumspreis) mit finanzieller Förderung im Gesamtwert von 12.000 Euro.

Foto: Melanie Grande/ (c) HVBFoto: Melanie Grande/ (c) HVBLübecker Freunde von „Jugend kulturell“ dürfen also froh sein, dass sie in einer Veranstaltung im Kolosseum am 14. Juni 2017 noch einmal den Kabarettisten Martin Zingsheim erleben konnten. Er war 2014 der Erste Preisträger in der Sparte „Kabarett & Co“ und wartete nun mit seinem Programm „kopfkino“ im Kolosseum auf. Mit 33 Jahren ist der in Köln Geborene kein Newcomer mehr, aber sicher ein Ausnahmekabarettist, der zurzeit auf Tournee durch den deutschsprachigen Raum ist und nun in Lübeck im Rahmen von „Jugend kulturell“ seine rasante Ein-Mann-Show präsentierte.

Auftritte im Rundfunk und im Fernsehen und viele weitere Preise, darunter 2015 der international renommierte Radio-Kabarettpreis der "Salzburger Stier" und 2016 der "Deutsche Kleinkunstpreis" (Mainz) haben ihn bekannt gemacht. Die Begründung der Mainzer Jury fasst sein Können treffend zusammen. Sie will einen Musikkabarettisten auszeichnen, „der mit Ironie und Spott auf Gott und die Welt … geradezu harmlos [wirkt], um im nächsten Moment mit ausgesuchten Pointen zu überraschen. Mit grandiosem Klavierspiel illustriert er seine raffinierten Texte: mal heiter bis böse, mal lyrisch bis nachdenklich.”

In einem absurden Gedankenstrom geht es um Nahrhaftes im Internet bei den Cookies oder Soziales bei der Frau, die durch den Ruf „Mann über Bord“ glücklich wird, oder um juristisch Ungerechtes beim Wildpinkler, der empfindlich bestraft wird, während Hunde das umsonst dürfen. Musik-, Theater-, Film- und Fernsehwissenschaft sowie Philosophie hat er studiert und promovierte mit einer Arbeit über Karlheinz Stockhausens "Intuitive Musik". Der Abend besticht durch ein rasantes Hin und Her und durch spielerischen Wortwitz, bei dem er vom radikalen Konstruktivismus auf sprachliche Inklusion bei All-inklusiv-Reisen kommt, wenn etwa der Stuttgarter bittet: „Kud ju plies rück ä Stückle“ oder der Veganer bekennt: „Ich bin inzwischen tierisch vegan drauf.“

Wild geht das nur scheinbar durcheinander, finden sich doch rote Fäden oder Schwerpunkte genug. Kindererziehung gehört dazu, bei einem Vater mit inzwischen vier „Leibeigenen“ durchaus verständlich und bei einem, der bekennt, dass „keine Erziehung ohne Gewalt auskommt“. Vertieft hat er das in seinem Buch „Eltern haften an ihren Kindern”, wo er über das „Überleben mit Nachwuchs“ sinniert. Ein andres Thema ist die Politik. Der Name Trump fällt nicht, aber er stellt die Frage: „Wie habt Ihr es 89 hingekriegt, die Regierung abzusetzen, ohne jemanden zu erschießen?“ Auch die Kirche wird nicht geschont. Als bekennender, aber nicht missionierender Atheist ist sein Standpunkt: „Gott kann sein, muss aber nicht.“

Das alles ist wunderbar kurzweilig, abwechslungsreich auch dadurch, dass er Songs einstreut, sich selbst virtuos am Flügel begleitet, wenn er dem nachgeht, was Liebe eigentlich heißt. Parodien von Hermann van Veen, Klaus Kinski und Reinhard Mey sitzen in Tonlage und Inhalt passgenau, auch das ein großes Vergnügen. Lange applaudierte das Publikum, bekam natürlich seine Zugaben. Und wir? Wir wünschen uns, dass auch „Jugend kulturell“ nicht mit Zugaben geizt!

Arndt Voß
Aufgewachsen in Neumünster, in Lübeck seit 1959. Studium in Kiel und Hamburg (Musik- und Literaturwissenschaft). Ständige Mitarbeit an den Lübeckischen Blättern von 1974 bis 2014, Berichte und Kritiken darüber hinaus in einigen anderen Organen. Schwerpunktthemen: Musiktheater, Schauspiel, Konzerte.

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