Foto: Silke Winkler

Was gibt es für Chancen, wenn nichts übrig bleibt?
Davis T. Littles Kammeroper „Dog Days“ im Schweriner E-Werk

Vor erst zwei Wochen war David. T. Littles Kammeroper Dog Days in Bielefeld erstmals in Europa zu sehen. Jetzt spielte das Mecklenburgische Staatstheater in Schwerin sie im E-Werk am Pfaffenteich nach (Premiere: 13. März 2016). Begeistert aufgenommen wurde sie dort. Die Musik ist kraftvoll und eingängig, spricht auf eine intelligente Art eine breite Hörerschar an, weil sie aus moderner Klassik über Minimal Music bis zum Rock sehr unterschiedliche Genres mischt, ohne eklektisch zu sein. Mit ihr zusammen entwickelt die Handlung einen bezwingenden Sog, weil sie sich eng dem Geschehen auf der Bühne anfügt. Das lässt den Zuschauer nicht los, zumal die Darsteller nicht nur hervorragend singen, sondern auch ihre Personen markant verkörpern.

Davis T. Little ist 1978 in New Jersey geboren. Sein abendfüllendes Bühnenwerk schuf er 2012. Für die Handlung wählte er eine Shortstory der 1973 geborenen Judy Budnitz. Die Geschichte formte dann der in Film und Fernsehen geübte Royce Vavrek zu dem Libretto um. Das ist nahe dran an der Erzählung, bringt aber eine neue Nebenfigur hinein, einen Soldaten, der die Söhne rekrutieren will. Er schafft aber für alle drei Akte markante Bezüge, weil sich bestimmte Tagesriten wiederholen wie das familiäre Essen. Es ist mit seinem Choral Symbol für eine leer gewordene Familienstruktur.

Die Geschichte mit ihrem apokalyptischen Touch spielt in Amerika, irgendwo auf dem Lande. Doch das Land der unbegrenzten Möglichkeiten steht am Abgrund. Ein undefinierter Krieg herrscht. Er vertreibt die Menschen, lässt sie hungern, versorgt die, die noch ausharren, nur gelegentlich aus der Luft, bis auch das endet. Howard allein harrt mit seiner Familie aus. Seine Frau versucht, die zwei gerade erwachsenen Söhne Elliot und Pat und die 13- oder 14-jährige Lisa zu ernähren, mit Konserven, solange sie reichen, später mit Löwenzahnsalat. Die Jagd, auf die der Vater jeden Tag geht, bringt nichts. Selbst die Tiere scheinen sich verzogen zu haben.

Erzählt wird auch von einem merkwürdigen Besucher. Es ist ein Mann, der wie ein Hund lebt. Jeden Tag kommt er, um nach Essensresten zu suchen. Lisa allein baut eine Art von innerer Beziehung zu ihm auf, sucht Wärme, die ihr die Familie nicht gibt. Die Mutter kümmert sich allein um den äußeren Erhalt der Familie, der Vater regiert verzweifelt und despotisch die Familie. Und auch die Brüder leben ein stumpfes, in Ausbrüchen brutales Leben. Sie schlafen, wenn sie nicht gerade kiffen oder in Sex-Magazinen blättern. Not und Aggression verstärken sich. In einer starken Schlussszene implodiert die Menschlichkeit, wenn die drei männlichen Figuren den Hund, von dem sie wissen, dass es ein Mensch ist, in kannibalischer Absicht töten.

Schwerins Fassung wirkt in Cristiano Fioravantis Inszenierung milder als die Vorlage oder das Libretto. Schon das Bühnenbild von Alexandre Corazzola ästhetisiert. Klar sind die Formen, zwar unwirtlich, aber sauber. Auch der in der Vorlage mehr als schmuddelige Hund hat hier ein adrettes Outfit, trägt sogar Krawatte. Und er wird von einer Frau gespielt. Das Haus zerfällt zusehends, bis sogar die Rückfront umkippt. Dennoch wird der Müll immer säuberlich in Säcken verpackt. Dazu passt, dass auch der Schluss Hoffnung auf eine Wende bringt. Die drei Männer verwandeln sich zwar in aasfressende Vögel, aber Liza bleibt. Und ein kleiner Junge erscheint, lebendig gewordene Hoffnung auf eine Wende.

Die Inszenierung lebt von den Darstellern. Vor allem Katrin Hübner hat als Lisa eine wunderbare Ausstrahlung. Zart ist sie, dennoch reicht ihre innere Stärke, aus der Katastrophe etwas Normales zu gewinnen. Sie berührt, weil sie auch in ihrer Stimme den schlanken Ton bewahrt. Besonders dabei die Szene, in der sie zu sich selbst findet: „Ich bin schön!“ Itziar Lesaka als Mutter hat einen klangvollen, zugleich kräftigen Mezzo, mit dem sie sich dem vitalen, stimmlich schneidenden Bariton von Markus Vollberg entgegenstellen kann, der einen patriarchalisch abweisenden Howard gibt. Die beiden Söhne singen Alexander Tremmel (Pat) und Raphael Pauß (Elliot). Der Gast Pauß dominiert. Ihn hatten die Lübecker Theatergänger bereits in der West Side Story als Tony erlebt. Allein durch seine muskuläre Körperlichkeit hat er es dennoch schwer, den dumpfen Sohn glaubwürdig werden zu lassen. Es bleibt Sophia Maeno, die nuanciert den Dog darstellt, auch beim Anlegen des Kostüms ihre Weiblichkeit präsentieren darf, womit dieser Rolle eine andere Dimension gegeben wird. Zumindest macht das die Szene auf der Galerie glaubwürdig, in der die Söhne sich an dem Dog vergehen. In einer zweiten Rolle bekommt sie auch Stimme. Als schwangere Soldatin hat sie einen markanten Auftritt.

Martin Schelhaus dirigiert die kleine Musikerschar mit vier Streichern, einer Klarinette, Klavier und vielfältigem Schlagwerk mit Spannung. Insgesamt ist das ein anregender Abend, der dazu in dieser Form überzeugte, Anlass zur Suche nach einer Antwort auf die Frage: Was gibt es für Chancen, wenn nichts übrig bleibt? 

Weitere Termine im E-Werk: 20. März um 18 Uhr; 8. April und 16. April jeweils 19.30 Uhr

 Fotos: Silke Winkler

Arndt Voß
Aufgewachsen in Neumünster, in Lübeck seit 1959. Studium in Kiel und Hamburg (Musik- und Literaturwissenschaft). Ständige Mitarbeit an den Lübeckischen Blättern von 1974 bis 2014, Berichte und Kritiken darüber hinaus in einigen anderen Organen. Schwerpunktthemen: Musiktheater, Schauspiel, Konzerte.

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