Die Lübecker Sommeroperette, Foto: privat

25 Jahre „Lübecker Sommeroperette“
Die Operette lebt!

Ist die Operette noch zu retten? „… im Gegensatz zu Britney Spears hat die Operette nie behauptet, ihre Scheinwelt hätte einen Anspruch auf Realität.

Die Operette wurde in ihren Anfängen sehr viel klarer als das gesehen, was sie war: Ein satirischer Blick auf die Unmöglichkeiten des Daseins, ohne jedes Glücksversprechen oder kitschige Himmelfahrtskommandos, ein Angebot zu lachen, über die eigene Gesellschaft, über die eigenen Sehnsüchte und damit über sich selbst.“

Peter Konwitschny, der gerade in Lübeck beim „Boris Godunow“ Regie geführt hat, hat auch gerne Operette inszeniert: „Eine schwierige Kunst, oft schwieriger als Oper.“ Die Operette sei nur oft missbraucht worden, werde häufig reduziert auf unbeschwertes Trallala. An vielen Theatern ist die Operette faktisch nicht mehr existent.

Immerhin gibt es z. B. die Staatsoperette in Dresden, die Operettenrenaissance an der Komischen Oper Berlin und den „Ball im Savoy“ am Theater Lübeck. Und vor allem: Es gibt seit 25 Jahren die „Lübecker Sommeroperette“, es gibt den Förderverein „Operette in Lübeck“ (gegründet 2001) und es gibt den unermüdlich findungsreichen Organisator und Regisseur Michael P. Schulz.

Im Rahmen der Dienstagsvorträge im Großen Saal der Gemeinnützigen hielt er am 15. Januar 2019 einen Vortrag unter dem Titel „100 Jahre Operette – 25 Jahre Lübecker Sommeroperette.“ Am Sonntag darauf folgte im Theater Geisler das 100. Konzert der Reihe „Operette am Klavier“. Ein Anlass zurückzublicken.

In Schulz’ einleitenden Ausführungen zur Geschichte der Operette kam die politische Dimension nicht zu kurz. Es stimmt also: Eine Reduzierung auf wunschkonzerttaugliche Walzerseligkeit und Trallala greift wirklich zu kurz. Unter dem Eindruck des Deutsch-Französischen Krieges, so führte Schulz aus, „verschob sich der Akzent der Operette weg vom Frivol-Grotesken hin zum Sentimentalen und Rührseligen. Außerdem diente der Unterschied zwischen Moralischem und Amoralischem einem ‚national‘ gestimmten Publikum als Gegensatz zwischen Deutschem und Französischem.“

Wem ist schon bewusst, dass die Unterscheidung zwischen Goldener und Silberner Operette auf die Kulturpolitik der Nazis zurückzuführen ist? Die Operetten der 20er Jahre wurden jazziger. „Nach dem Anschluss Österreichs 1938 verschwanden die nunmehr als ‚entartet‘ abgestempelten JazzWerke von den Spielplänen der Wiener Theater.“ Man spielte „arische“ Operetten und unterschlug die Nennung der jüdischen Textdichter. Keine Zeit für Trallala.

Sommeroperette in Lübeck: In den letzten 24 Jahren sind Werke unterschiedlicher Stile, szenisch oder konzertant, aufgeführt worden. Beachtliche Zahlen können aufgewiesen werden: 120.000 Besucher, 400 Orchestermusiker, rund 200 Nachwuchssängerinnen und -sänger – und alles, wie Schulz mit Stolz betonen konnte, „ohne Subventionen von Stadt oder Land, nur durch den Verkauf von Eintrittskarten und Spenden finanziert.“

Idealismus lässt sich dabei nicht mit Zahlen bemessen! Viele Nachwuchssänger haben später Karriere im In- und Ausland gemacht. Nur wenige Beispiele: Der Tenor Stephan Rügamer ist seit 1999 Ensemblemitglied der Staatsoper Unter den Linden in Berlin und tritt u. a. in Dresden, Paris und an der Scala in Mailand auf. Als Graf Tassilo erlebten die Zuschauer in der „Gräfin Mariza“ einen jungen Sänger, der heute für viele der „Lohengrin“ schlechthin ist: Klaus Florian Vogt.

Rasmus Borkowski, der gebürtige Lübecker, stand erst kürzlich in der männlichen Hauptrolle von Webbers Musical „Sunset Boulevard“ wieder auf der Bühne unseres Großen Hauses. Schauspiellegenden des Lübecker Theaters waren zu erleben: Horst Vincon (alternierend mit dem früheren Tagesschausprecher Wilhelm Wieben) als Kaiser Franz Joseph im „Weißen Rössel“; Marianne Schubart-Vibach war in ihrer letzten Bühnenrolle noch einmal in der „Zirkusprinzessin“ zu erleben.

Eine Würdigung erfuhr Prof. Ernst R. Barthel (Dozent an der Musikhochschule), der zusammen mit Schulz bereits 1994 im Börsensaal des Rathauses eine bislang unaufgeführte Operette des Lübecker Komponisten Carl Grammann zur Aufführung brachte: „Die Schatzgräber“ wurden erfolgreich ausgegraben. Barthel stand letztmalig 2004 am Dirigentenpult der Sommeroperette.

Schulz führte durch 25 Jahre Sommeroperette, machte Halt an den unterschiedlichsten Spielorten (Freilichtbühne, Marienkirche, wo 2001-2003 das Mysterienspiel „Jedermann“ gespielt wurde, Scharbausaal der Stadtbibliothek, Freilichtbühne Johanneum, Domhof, die Jugendstilaula des Johanneums, Volkstheater Geisler, Gewölbe unter dem Heiligen-Geist-Hospital), verwies auf Operettengalas („Durch die Welt der Operette“ – auch Länderschwerpunkte des SHMF wie Russland oder Spanien wurden aufgegriffen).

Im Geibel-Jahr 2015 wurde die Oper „Meister Andrea“ von Felix Weingartner auf einen Text von Emanuel Geibel aufgeführt. Klassische Operetten, Opernparodien, Musicals („Phantom der Oper“) und Musical-Galas („Best of Broadway“), Erweiterung auf Boulevardkomödien („Mein Freund Harvey“) und Lustspiele („Pension Schöller“ 2018), „Lübecker Musical-Akademie“, die Produktion „Operettenfluss“, die historische Spielorte an der Trave einbezog (2000) – das Spektrum erweiterte sich. Man brauchte Choreographen und Tänzer (u. a. gastierten Mitglieder des Rumänischen Staatsballetts) – es kann gar nicht alles aufgezählt werden.

Stücke wurden dem Vergessen entrissen wie z. B. „Der König mit dem Regenschirm“ von Ralph Benatzky, „Niemand kannte das Stück, denn es lag über 60 Jahre im Verlagsarchiv“, so Schulz. Kleines Aperçu am Rande: Auch lebende Schweine gehörten zu den Mitwirkenden. Für eine Wiederentdeckung der „Perlen der Cleopatra“ sorgte eine „Sommernacht der Operette“ im Jahre 2006, zehn Jahre bevor die Komische Oper Berlin das Stück wiederentdeckte.

Zum Jubiläum plant die Sommeroperette etwas ganz Besonders. Deshalb sei Michael P. Schulz auch hier das Schlusswort überlassen: „Wir haben einen Kompositionsauftrag an einen hiesigen Komponisten vergeben. Michael Töpel komponiert für die Lübecker Sommeroperette 2019 gerade ein neues Werk. Eine ‚Komödie mit Musik‘ nach der Prosakomödie „Der Diener zweier Herren“ von Carlo Goldoni. Ein Schauspiel, das Mozart für die Musiktheaterbühne vertonen wollte, aber es leider nicht tat. Die Sommeroperette holt das nun nach.“ Man sieht: Die Operette lebt. Das Angebot zu lachen bleibt bestehen.

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