Hobbys im Homeoffice
Was ist Freizeit?

Im Homeoffice verschwimmen die Welten: Privat- und Berufsleben verkommen zunehmend zu einer homogenen Masse. Ein Leidensbericht aus dem Corona-Lockdown.

“Was sind eigentlich deine Hobbys?” – “Hobbys?”, frage ich. Meine Kollegin guckt erstaunt mit großen Augen in ihre Kamera. “Ich weiß nicht”, antworte ich, “ich bin doch nicht getrennt vom Leben. Ich meine, der Begriff Hobby klingt für mich so, als wäre man vom Leben abgetrennt. Hobbys, das ist, als bräuchte man etwas, um sich zu beschäftigen, sich vom Leben abzulenken.”

Jeden Tag sitze ich acht Stunden oder länger vor dem Laptop. Seit März 2020, seit dem ersten Lockdown befinde ich mich im Homeoffice. In der Mittagspause gelingt es mir mal mehr, mal weniger gut, mich aufzuraffen und spazieren zu gehen. In der Regel beschränke ich mich mittags auf das Lüften, das während der Heimarbeit nämlich viel zu kurz kommt. Kaum ist man in einer Aufgabe versunken, ist die Welt vergessen und die Zeit zerrinnt. Anfangs habe ich mir für das Zähneputzen einen Termin bei Outlook eingestellt, weil der wohl kürzeste Arbeitsweg meines Lebens, eineinhalb Meter vom Bett zum Schreibtisch, nicht wie früher gewohnt am Badezimmer vorbei führt. Inzwischen habe ich umgelernt.

Am Abend und an den Wochenenden treibt es mich nach draußen in die Natur. Ob Meer oder Wald, vermeintlich unberührte Pfade oder bekannte Wanderrouten: Menschen sind dieser Tage fast überall anzutreffen. Und sie sind sehr freundlich, nicken und grüßen, sprechen einen an. Es ist zu spüren, wie sehr sich der Homo sapiens nach Kontakten und Zugehörigkeit sehnt. Die vielzitierten kleinen Dinge des Lebens sind wieder wichtiger geworden. Einmal bedankte sich eine Alte ganz herzlich, als ich im Begriff war, die Straßenseite zu wechseln, des gebotenen Abstands wegen. “Was sind die Menschen doch rücksichtsvoll geworden”, erhob sie lächelnd den Finger!

So dachte ich auch, wäre es doch eine gute Idee, mittags einmal eine Kollegin aus einer anderen Abteilung zum virtuellen Lunch zu treffen. Das war es auch, bis mich die Frage nach den Hobbys nachdenklich stimmte. Was sind Hobbys? “Du kannst auch Interessen sagen”, meint sie. Interessen. Interessen sind aber keine Hobbys. Angeln, Rudern, Joggen, Yoga, Basteln, Spielen, Backen – das könnten wohl Beispiele für Hobbys sein, wenn man sich darauf einigt, dass mit Hobbys solche Freizeitaktivitäten gemeint sind.

Interessen dagegen sind für mich keine Aktivitäten, und damit auch keine Hobbys. Unter Interessen verstehe ich eher Absichten, Wünsche oder Ziele, die jemand verfolgt, zum Beispiel gesund zu sein oder zu bleiben, in Wohlstand zu leben oder Anerkennung zu erfahren. Im weiteren Sinne kann jemand natürlich Interesse an einer Sache haben. Oder an einer Person oder an einem Fachgebiet. Zum Beispiel kann sich jemand für Motorräder interessieren. Damit ist aber noch nichts über das Hobby gesagt. Er kann Motorräder interessant finden. Das Motorradfahren als Freizeitaktivität wäre ein Hobby, das derjenige, der sich für Motorräder interessiert, aber nicht zwangsläufig ausüben müsste. Er könnte genauso gut darüber lesen. Dann wäre das Lesen von Fachbüchern über Motorräder sein Hobby. Aber ob das demjenigen als Antwort genügt, der nach dem Hobby fragt? Gewiss folgt dann: Und du bist noch nie mit einem gefahren? Warum nicht? – Mögliche Antwort: Weil es nicht meinem Interesse entspricht, mit einem Motorrad zu fahren, sondern nur darüber zu lesen. Das Lesen ist mein Hobby.

Wie dem auch sei... Ja, nach einigem Nachdenken habe ich auch einige Hobbys, nicht wenige sogar, würde ich aber niemals so sagen. Es sind schließlich Aktivitäten, die zum Leben dazugehören, es lebenswert machen. Für Erholung sorgen. So wichtig. Das Hobby aber bleibt ein seltsamer Begriff, er klingt für mich noch immer so, als wäre es etwas, das man nur macht, um sich ein bisschen zu beschäftigen. Die Intention sollte doch vielmehr eine andere sein – zum Beispiel Genuss, Glück, Wohlbefinden. Ich würde nicht auf die Idee kommen, das, was ich mit Vorliebe und deshalb sehr gerne und selbstverständlich häufiger und immer wieder tue, als ein bloßes Hobby abzutun. Und ich rate, gerade in diesen Tagen, auch allen davon ab.

Denn ein Hobby sollte etwas Besonderes sein. Etwas Persönliches noch dazu. Etwas, bei dem einem niemand reinreden kann.

Die Uhr tickt, die Zeiger schreiten voran. Wieder den Vormittag mit Schreiben verbracht. Wieder zu Hause gewesen. Diesmal nicht für den Beruf. Diesmal einfach so. Es war mir ein persönliches Interesse, ein Anliegen, ein Vergnügen, es zu tun, sonntags um halb zehn Uhr morgens. Schriftsteller haben keine Hobbys. Schriftsteller schreiben aus Leidenschaft, und sie bleiben immer Schriftsteller, auch wenn sie nichts zu schreiben haben. Und jetzt Fenster auf, Lüften.

Christoph Krelle
Christoph Krelle
Nicht in Lübeck geboren, aber in Lübeck zum Schreiben gefunden - auch dank "unser Lübeck", für das er seit 2014 in unregelmäßigen Abständen schreibt. Ansonsten Journalist, Autor und Dozent für kreatives Schreiben.

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