Gefühle und Corona
Kann das wirklich Liebe sein?

Maske auf, Abstand halten, zu Hause bleiben - das ist alles nicht normal. Corona führt zu Einsamkeit und Entfremdung. Warum es echte Gefühle jetzt schwer haben.

Beim Spazierengehen ein Lächeln schenken - warum tun wir das jetzt öfter und leichtfertiger als vor der Corona-Pandemie? Haben wir gelernt, das Leben mehr wertzuschätzen? Haben wir gelernt, die anderen zu respektieren? Sind wir etwa freundlicher, warmherziger, mitfühlender geworden? Nein, ich behaupte, wir sind einfach nur lange auf Entzug gewesen. Allein oder auf die Familie beschränkt zuhause geblieben. Das Homeoffice, der Lockdown, die Quarantäne, das Kontaktverbot, die Ausgangssperre. Wir sind wie Hunde an der Leine, die bei Fuß geblieben sind. Der Radius, in dem wir frei leben dürfen, wurde immer kleiner, persönliche Neigungen oder Bedürfnisse blieben ungestillt. Pläne mussten verschoben werden, vom ersten zum zweiten Lockdown – und kein Ende in Sicht.

Da geht ein Mensch auf der anderen Straßenseite? Wirklich? Leibhaftig? Und schon schießen einem die Hormone ins Gesicht und man grinst bis über beide Ohren. Wie ein kläffender Hund am Gartenzaun, der noch dazu mit dem Schwanz wedelt, in der Hoffnung, man würde endlich mit ihm spielen. Das hat nicht wirklich mit einem selbst oder dem anderen zu tun, dem man da begegnet. Es ist etwas anderes, was da zum Ausdruck kommt: Friede, Freude, Eierkuchen. Ein Stückchen zurückgewonnene Freiheit, das Glück über endlich in greifbarer Nähe befindliches Leben. Wie kurz nach dem Mauerfall, nur weniger dramatisch. Ein kollektives Ding. Der Eindruck, es geschafft zu haben, die Corona-Krise überlebt zu haben.

Doch zu Hause dämmert einem dann, spätestens wenn in den Nachrichten wieder von steigenden Inzidenzen und R-Werten berichtet wird, dass noch gar nichts vorbei ist. Nichts überstanden. Nichts zurückgewonnen. Gar nichts. Die Leine ist noch dran. Und damit ist dann antrainiert, was beim nächsten Mal um einen geschieht, wenn da draußen wieder jemand an einem vorbeispaziert, so ganz präsent und ganz leibhaftig: Geschafft? Nur bedingt. Sympathie? Völlig ungewiss. Die Hormone schießen durch, gerade jetzt im Frühjahr. Liebe ist das nicht.

Aber notfalls hilft ein bekanntes Schiller-Zitat, unter den drängenden Trieben und Gefühlsregungen ein bisschen Halt zu finden:

“Drum prüfe, wer sich ewig bindet,
Ob sich das Herz zum Herzen findet.
Der Wahn ist kurz, die Reu’ ist lang.”

 

Christoph Krelle
Christoph Krelle
Nicht in Lübeck geboren, aber in Lübeck zum Schreiben gefunden - auch dank "unser Lübeck", für das er seit 2014 in unregelmäßigen Abständen schreibt. Ansonsten Journalist, Autor und Dozent für kreatives Schreiben.

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