Ein sehr erlesenes sollte das siebte Konzert der Elbphilharmoniker werden, eines, das „Musikalische Facetten des Sterbens“ (so im Programmheft) versprach. Aber: der fein kalkulierte Aufbau im Programmablauf fiel dem Umstand zum Opfer, dass krankheitsbedingt der Dirigent kurzfristig absagen musste.
Einen Ersatz schnell zu finden, gelingt nur bei viel gespielten, bekannten Werken. Die hatte der vielseitige Finne Mikko Franck (Jahrgang 1979), der seine besondere Begabung nun nicht Demonstrieren konnte, aber nicht geplant, sondern eine Abfolge von sehr aparter Art. Dennoch war dem NDR möglich, wenigstens das Programm im ersten Teil zu „retten“ und damit das Engagement des Ausnahme-Sängers Matthias Goerne und der für ihn vorgesehenen zwei Beiträge. Beim Programmpunkt nach der Pause blieb man wenigstens bei dem Komponisten Richard Strauss, nur wählte man ein vom Ausdruck her dem geplanten sehr konträres Stück.
Eingesprungen war Stanislav Kochanovsky, 1981 in St. Petersburg geboren. Dass er die erste Hälfte mit den zwei Kompositionen, die selten oder nie in normalen Konzertprogrammen auftauchen, zu übernehmen bereit war, lag möglicherweise an seiner Ausbildung. Er hatte in Petersburg Chorleitung, Orgel und Dirigieren studiert. Da lag ihm ein Werk wie das erste des Abends, John Adams „The Wound-Dresser“, zumindest thematisch nicht fern, wie auch das zweite, Johann Sebastian Bachs Kantate „Ich habe genug“, seinerzeit zum Fest Mariae Reinigung komponiert.
John Adams (*1947) hatte sich mit „The Wound-Dresser“ einen sehr bedrängenden Text von Walt Whitman gewählt. In ihm hatte der amerikanische Dichter 1865 seine drückenden Erfahrungen während des amerikanischen Sezessionskrieges verarbeitet. Verwundete und Sterbende zu erleben, hatte er als Freiwilliger durchgestanden und dann in dem Text ohne Beschönigung und mit aller Direktheit geschildert. 1988-89, also mehr als 120 Jahre später, befasste sich John Adams damit, Auszüge des Poems zu vertonen. Eine 20-minütige Komposition für Bariton und Kammerorchester entstand von ebenso beklemmender Dichte. Ihre Tonsprache fordert den Sänger in allen Lagen, oft mit skandierenden oder sich wiederholenden Phrasen, forderte auch den ganzen Umfang und dynamischen Raum seiner Stimme. Der englischsprachige Text, der mit deutscher Übersetzung im Programmheft zum Mitlesen zur Verfügung stand, war dennoch bei erstem Hören schwer zu verfolgen, möglicherweise für manche Besucher auch schwer zu ertragen. Denn auch die teils scharf disharmonischen Partien, erzeugt durch reibend sich windende, eng geführte Instrumente, oder der expressiv genutzte Klangraum, der von ungewohnter Tiefe bis zu schrillster Höhe genutzt wurde, forderten die Hörer heraus.
Johann Sebastian Bachs frühe Kantate BWV 82 „Ich habe genug“ mochte zu beruhigen eingesetzt sein. Wie aus Pausengesprächen zu entnehmen, tat sie es musikalisch. Nur ist vielen das barocke Vanitas-Gefühl nicht mehr zugänglich, so erreicht Christoph Birkmanns Trost, beim Sterben in eine bessere Welt einzugehen, heute die Menschen nicht mehr. Zudem fühlte auch Matthias Goerne sich genötigt, die Freude darüber zu seinem sehr lebendigen Gesang noch durch starke Mimik auszudrücken. Wer darüber hinwegsehen konnte, erlebte bei den drei Arien und den rezitativischen Zwischenspielen eine sehr konzentrierte Wiedergabe. Das kleine Ensemble setzte sich dabei in allen Momenten lebendig für den Part ein, vor allem die beiden Oboistinnen, die in sehr feiner Art mit dem Solisten musikalisch kommunizierten.
Nach der Pause trumpfte das Orchester und der Dirigent bei der Suite aus dem „Rosenkavalier“ mit virtuoser Spielfreude auf. Sie stand wahrlich in großem Kontrast zu dem Ernst bei „Tod und Verklärung“, einem Orchesterstück, mit dem zunächst die musikalische Abfolge schließen sollte und in der Richard Strauss sich bereits im Alter von 25 Jahren mit dem Sterben auseinandergesetzt hatte. Stattdessen beschloss nun ein sehr diesseitiges, auch zufälliges Werk den Abend, denn es ist bei ihm nicht bekannt ist, wer es 1944 für die New Yorker Philharmoniker als Suite zusammengestellt hatte. Von Verlegenheit war auch an diesem Abend anfangs etwas zu spüren. Es wirkte, als müsse sich Stanislav Kochanovsky erst in die Raumakustik einhören, obwohl (oder weil?) er das Orchester kannte. Die Klangbalance zu finden, gelang immer besser, so dass Dirigent und Orchester Strauss‘ Klangschwelgerei zu einem opulenten Ereignis machten.
Fotos: Hildegard Przybyla