Schon so manches Programm auserlesener Art haben die Lübecker Philharmoniker serviert, im zweiten ihrer Sinfoniekonzerte dieser Saison (22. und 23. Oktober 2023) aber eines der ganz besonderen Finesse.
Im ersten Teil war es eine sehr gut bekannte und gern gehörte Komposition, die Sinfonie C-Dur von Georges Bizet. Sie ist ein Werk von erstaunlicher Leichtigkeit, voller sprudelnder Lebendigkeit und eleganter Konstruktion. Man sagt ihr gerade bei dem letzten nach, dass alles zu schulmäßig sei, vor allem das, wie er die Sonatensatzformen im ersten und im Finalsatz anwandte. Dass es aber das Werk eines 17 Jahre alten Schülers des Pariser Konservatoriums ist, gibt ihm alles Recht dazu. Es reiht ihn ein in die Reihe der Frühbegabten wie Haydn, Mozart oder Mendelssohn Bartholdy, in denen er seine Vorbilder fand.
Ein anderes Thema ist, wie das Werk musiziert wird, und auch da fand es an diesem Montagabend eine mitreißende, zugleich klare Wiedergabe. Takahiro Nagasaki, der 1. Kapellmeister, ist zwar ein intensiver und dynamischer Dirigent, der aber doch die Gabe besitzt, das Orchester sich entfalten zu lassen. Der Dynamik der Ecksätze steht die feinsinnige Gestaltung der mittleren gegenüber. Zunächst ist es das episodenreich gestaltete langsame Adagio mit seinem erlesen sich entwickelnden Oboengesang, der mit den Streicherpizzicati wie ein Ständchen wirkt. Dem folgt das stürmisch aufschwingende Scherzo mit seinem schmeichelnden zweiten Thema und dem bordunträchtigen Trio. Wenige Winke genügen, hier und da eine Tempo- oder dynamische Veränderung des Tuttis oder einzelner Instrumente und alles wirkte wunderbar selbstverständlich, ein sensibles Zusammenwirken der Orchestermusiker mit ihrem sorgsam agierenden Leiter!
All dies machte auch den zweiten Teil zu einem wahren Vergnügen, der Richard Strauss‘ Orchestersuite „Der Bürger als Edelmann“ zu einem genießerischen Ohrenschmaus werden ließ. Im vorherigen Konzert war das gewichtige und wuchtige „Heldenleben“ zu hören, hier nun sein kammermusikalisch filigran gezeichneter Antiheld, der affektierte Möchtegern Monsieur Jourdain. Moliere hatte ihn in einem Lustspiel lebendig werden lassen und der Barockmeister Jean-Baptiste Lully ihn in seinen Zwischenspielen für ein Ballett in Tönen gezeichnet. Richard Strauss allerdings ging noch weiter, indem er nicht nur den vermeintlichen Edelmann konterfeite, auch die barocke Gestik in die Idiomatik des beginnenden 20. Jahrhunderts verwandelte.
Ein geistvolles musikalisches Puzzle wurde daraus, das in Lübeck noch durch eine Nacherzählung von Molieres Komödie eine weitere Dimension erhielt. Peter Ustinov, der so vielseitig Talentierte, hatte sie verfasst und sorgte so dafür, dass jeder im Saal einen Bezug zu den Musiksätzen herstellen konnte, auf die barocke Attitüde des neureichen „Helden“, auf die immer durchhörbaren Anspielungen auf Lullys Musik und, noch köstlicher, auf eigene Werke von Strauss. Solche Selbstzitate hatten schon das „Heldenleben“ ironisiert, manche davon tauchten auch hier auf.
Andreas Hutzel, der wie andernorts üblich, längst zum Kammerschauspieler hätte geadelt werden müssen, las ihn mit großem Vergnügen und ironisch verdeutlichenden Gebärden. So entspann sich ein apartes Netz zwischen ihm und dem Orchester, das mit spürbarem Vergnügen sich für den Schalk in Strauss‘ Musik einsetzte.
Kein Wunder, dass das Publikum, diesmal erfreulich groß und aufgeschlossen, alle Mitwirkenden mit langem Applaus bedachte.