Foto: Martin Helmchen, (c) Nikolaj Lund

Das fünfte Saisonkonzert der Elbphilharmoniker in Lübeck
Beide Klavierkonzerte von Brahms an einem Abend

Statt der Elbphilharmoniker die Radiophilharmoniker aus Hannover zu hören, das ist zunächst etwas ungewöhnlich in einer Konzertreihe, die unter dem Namen der Elbphilharmoniker angepriesen ist. Im Planungsbüro hat man sich wohl darauf verlassen, dass das gemeinsame Etikett NDR das schon richtet.

Außerdem sind zumindest in Lübeck Hannovers Radiophilharmoniker sehr gut in Erinnerung. Sie bestritten im letzten Jahr das Finale beim SHMF - unter dem gleichen Dirigenten und mit gleicher Konzertidee. Das Festival hatte 2022 zum letzten Mal als Schwerpunkt einen Komponisten. Johannes Brahms war dafür gewählt worden, so ist die Idee, alle seine vier Sinfonien an zwei Abenden zu bieten, puristisch, aber annehmbar. In die Konzeption der Konzerte dieses Jahres scheint das hineingewirkt zu haben, wenn jetzt die beiden Klavierkonzert-Preziosen an einem Abend geboten wurden, interpretiert von dem gleichen Solisten.

Doch ist das kein Einfall einer neuartigen Programmgestaltung. Bereits Januar 1895 in Leipzig und ein Jahr später in Berlin spielte der Pianist und Komponist Eugen d’Albert beide Werke an einem Abend. Dirigent war dabei kein geringerer als Johannes Brahms! Oft hatte er seine Kompositionen als Solist und als Dirigent selbst interpretiert, da ist es wenig verwunderlich, dass er auch seine beiden Konzerte uraufführte. Bekanntlich war er ein großartiger Pianist und damit guter Anwalt für seine Werke. Dennoch konnte er nicht verhindern, dass im Januar 1859 das erste, das d-Moll-Konzert op. 15, sich durchzusetzen Schwierigkeiten hatte. Als zu neuartig wurde es empfunden. Anders war das bei der Uraufführung seines op. 83, des B-Dur-Konzertes. Nach mehr als 20 Jahren, im November 1881, erfolgte in Budapest dessen erfolgreiche Uraufführung. Inzwischen hatten Brahms stilistische Besonderheiten sich durchgesetzt.

Foto: Andrew Manze, (c) Giorgia BertazziFoto: Andrew Manze, (c) Giorgia Bertazzi

Zuerst aufgeführt wurde das d-Moll Konzert an jenem Ort, aus dem jetzt das Orchester stammt. Damals war es das Orchester des königlichen Hoftheaters. Fühlte sich das Orchester deshalb diesem Werk besonders verpflichtet? Auf jeden Fall hatte der Dirigent Andrew Manzke sein Orchester, das er am Ende dieser Spielzeit verlässt, sehr eindringlich vorbereitet. Und auch für den 40-jährigen Pianisten Martin Helmchen ist Hannover ein wichtiger Ort geworden. Nach dem Beginn seiner Ausbildung an der Berliner Musikhochschule „Hanns Eisler“ schloss Helmchen sie in Hannover ab, an der dortigen Hochschule für Musik, Theater und Medien. Inzwischen hat er sich einen weithin beachteten Erfolg erspielt. Auftritte mit vielen Orchestern und mit vielen berühmten Solisten können das belegen.

Gerade die Fähigkeit, kammermusikalisch zu interpretieren, zeichnete seinen Auftritt in Lübeck (4. März 2023) aus. In beiden Konzerten hat Brahms das Klavier stark in das sinfonische Geschehen eingebunden, wie in intimer Auseinandersetzung mit dem Orchester. Das vor allem war der damaligen Musikwelt zu neu. Man war gewohnt, dass allein der Solist sein Können herauszustellen hatte. Brahms aber macht ihn zum eindringlichen Partner, gar zum Teil des Orchesters. Das spannungsreiche Anfangsthema, das in Paukenwirbel eingebettet ist, kontrastiert gewichtig mit den weiteren Nebenthemen. Das ist mit den vielen Trillern eine gespannte Ausdruckswelt, deren Dramatik auch heute noch mitreißt. Lange dauert es, bis der Solist sich einmischen darf. Wie muss das vor über einhundertsechzig Jahren gewirkt haben, einer Zeit, die einen Expressionismus mit seinen erregenden Stilmitteln noch nicht kannte!

Helmchen hatte zu dem Orchester einen herausnehmend guten Kontakt, der durch Andrew Manzke, dem langzeitigen Chef des Orchesters sehr sensibel vermittelt wurde. Wunderbar gingen die Streicher mit, wie auch die Holzbläser und die Blechbläser, bei denen die Hörner zunächst leichte Ansatzschwierigkeiten hatten. Anfangs noch ein wenig zu heftig ließ Manzke die Pauke sich hervordrängen. Bald aber erreichte er eine schöne Ausgeglichenheit im Klang, bis dann das Soloinstrument sich einfügte und das Orchester erstaunlich gut zu seiner Rolle als Partner des Solisten fand. Ausgesprochen feinsinnig folgte nach dem gewichtigen Kopfsatz das einfühlsame Adagio, in dem der Komponist nach eigener Aussage ein Porträt von Clara Schumann gestalten wollte. Der Satz entstand zudem unter dem Eindruck des Todes von Robert Schumann, seines großen Förderers. Wie befreit von der Schwermut ist dann das „Rondo, Allegro non troppo“, mit dem Brahms doch zeigt, dass er auch Herausragendes in gewohnter Konzertform leisten konnte.

Foto: NDR Radiophilharmonie, (c) Nikolaj LundFoto: NDR Radiophilharmonie, (c) Nikolaj Lund

Die Interpretation des B-Dur-Konzerts ließ spüren, wie sehr Brahms‘ Schaffen noch von der Tonartencharakteristik geprägt war. Hell, zugleich majestätisch, teilweise sanft, dennoch ernst wird das B-Dur beschrieben. Zugleich aber wird dies durch die Fähigkeit von Brahms überwunden, indem er wunderbar einleuchtend die Instrumentenfarben einsetzt. Der Anfangsdialog mit den Hörnern und der folgende kraftvolle Dialog mit dem Orchester reißen die Zuhörer immer wieder hin. So wunderbar harmonisch wie selbstverständlich fanden sich die Partner zusammen, mehr noch als im dramatischen ersten Konzert. Manzke wählte zudem in allem sehr ruhige Tempi, die das sensible Miteinander förderten, das selbst dem zweiten Satz, dem Allegro appassionato, bei aller Leidenschaft jede Hektik nahm. Wunderbar führte der Satz zu dem schwelgenden Andante, dessen musikalische Schönheit durch den sonoren Gesang des Cellos zum inneren Mittelpunkt wird. Hier hat das Piano eher begleitende Funktion, bevor der konzertante Gestus des vierten Satzes nach Rondoart das zweite Konzert beschließt.

Es war große Kost, die an diesem Abend geboten wurde. Jedes der beiden Konzerte besitzt einen eigenen Gestus und eine eigene Ausdruckswelt, zumal im ersten Brahms noch ein Suchender war, während das zweite ein Werk großer Meisterschaft ist. Dass daher die Wirkung sich unterscheidet, ist natürlich, weshalb sich ein Vergleich verbietet. Das ist neben dem Orchester vor allem Martin Helmchen zu danken, der Bewundernswertes leistete. Er schien auch im zweiten Teil kaum angestrengt, so dass er dem Publikum nach den herausfordernden zwei Konzerten noch das A-Dur-Intermezzo op. 118,2 als Zugabe schenkte.

Arndt Voß
Aufgewachsen in Neumünster, in Lübeck seit 1959. Studium in Kiel und Hamburg (Musik- und Literaturwissenschaft). Ständige Mitarbeit an den Lübeckischen Blättern von 1974 bis 2014, Berichte und Kritiken darüber hinaus in einigen anderen Organen. Schwerpunktthemen: Musiktheater, Schauspiel, Konzerte.

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