Stefan Vladar, Foto: (c) Olaf Malzahn

Philharmonisches Orchester der Hansestadt Lübeck
Lübecks sinfonischer Auftakt in die neue Saison mit Ballettmusik

Man muss sich vor dem verneigen, was das Lübecker Philharmonische Orchester und sein Leiter GMD Stefan Vladar in den letzten Wochen geleistet haben. Erst war die große „Lohengrin“-Aufführung zu bewältigen, immerhin viereinhalb Stunden Verharren und Arbeit im Orchestergraben, dann folgten unmittelbar darauf die Proben für das erste Sinfoniekonzert der Saison (11. und 12. September 2022) mit drei sehr anspruchsvollen Werken, die zudem nicht gerade zum Repertoire gehören.

Es waren, in der Reihenfolge des Programms genannt, Claude Debussys „Jeux“, dann „La Tragédie de Salomé“ des weniger bekannten Florent Schmitt und im zweiten Teil Igor Strawinskys ausladende Komposition „Le Sacre du Printemps“. Die drei Ballettmusiken, komponiert von zwei Franzosen und einem Russen, für den Paris Wahlheimat und Zufluchtsort wurde, wurden alle im Jahr 1913 uraufgeführt, im Abstand von nur wenigen Wochen. Dass sie heute in der Regel als eigenständige Kompositionen aufgeführt werden, beweist ihre musikalische Dichte und große Ausdruckskraft.

Das Programmheft, das zu diesem Saisonauftakt ausgesprochen informativ und gut aufgemacht sich präsentierte, weist noch auf einen anderen roten Faden hin. Alle Werke stehen in Bezug zu dem russischen Ballettimpresario Sergej Diaghilev (1872 – 1929), durch dessen „Ballets Russes“ Paris zum Zentrum der Tanzentwicklung wurde. All diese drei Ballette wurden für dieses Ensemble geschaffen und von ihm uraufgeführt. Diaghilev, dessen Geburtstag 150 Jahre zurückliegt, war selbst kein herausragender Künstler. Sein Einfluss als Anreger ist dagegen von nicht zu unterschätzender Bedeutung, indem er einige Komponisten zu stilbildenden Werken inspirierte, darunter auch die drei hier aufgeführten. Debussy (1862 – 1918) und Schmitt (1870 – 1958) waren mit ihrem Impressionismus Vorläufer für die weitere Entwicklung, die Strawinskys „Sacre“ repräsentiert. Dessen Musik wurde gar zu einer der bedeutendsten Musikschöpfungen für das zwanzigste Jahrhundert.

Debussys „Jeux“ aus dem Jahre 1912 überrascht auch heute noch mit seinen eigenwilligen, sehr aparten Klangwirkungen. Auch wenn keine Handlung zu erleben ist, genügt ein wenig Wissen um das Libretto, sich das Geschehen vorzustellen. Es schildert das eifersüchtige Geplänkel zweier junger Frauen um die Aufmerksamkeit eines Spielers bei einem Tennismatch. Zwei Klangebenen sind zu erkennen, die deskriptive des Spiels mit dem Hin und Her und Aufschlagen des Balles und eine zweite, die psychische Emotionen erfasst, das Flirten und das Streiten. Aus dem Zusammenwirken dieser Bereiche ergibt sich ein sehr effektvolles Netz von mitreißenden Assoziationen.

Stefan Vladar, Foto: (c) Olaf MalzahnStefan Vladar, Foto: (c) Olaf Malzahn

Das zweite Ballett um Salomes grausame Enthauptung Johannes des Täufers führte klanglich in den Orient. Florent Schmitt hatte dort einige Eindrücke gehabt, mit denen er seine erotische Salome-Handlung würzte. Sehr dunkel und geheimnisvoll beginnt er, schwelgt in den satten Farben der Holzbläser und vor allem der Hörner und erschafft in breiten Strichen ein farbig gesättigtes Gemälde, das sich zeitweise auch eingängiger Melodik bedient und im zweiten, sehr bewegten Teil ein Angst schürendes wildes Meer malt.

Der Farbenreichtum der Klangbilder forderte für das Orchester zahlreiche Aushilfen und Verstärkungen in allen Instrumentengruppen. Höhepunkt dafür wurde Igor Strawinskys archaischer Opfertanz für den Frühling. Die Streicher spielten oft geteilt, mussten deshalb ebenso verstärkt werden wie die Holzbläser oder die Hörner, bei denen Strawinsky allein acht Spieler vorschrieb. Ein Ensemble von nahezu 100 Mitwirkenden hatte Vladar so zu äußerster Präzision zu vereinen und gleichzeitig zu expressiver Wucht zu führen. Das gelang ganz wunderbar, schon bei dem einer litauischen Volksweise nachempfundenen Fagott-Solo zu Beginn, das gleich aufmerken ließ. Gewaltige Steigerungen waren zu bewältigen, die das Orchester, es war der Eindruck von dem Konzert am Montag, mit großer Disziplin und ebensolcher Begeisterung bewältigte. Der letzte Ton nach dem rhythmisch mitreißenden Ritual, mit dem ein junges Mädchen dem Frühling geopfert wurde, war noch nicht verklungen, als ein „Bravo“ aus einem Zuhörer herausbrach. Das Stück, das bei der Uraufführung heftigen Widerstreit und den wohl größten Theaterskandal aller Zeiten auslöste, wird heute, so qualitätvoll gespielt, einhellig bejubelt.

Fotos: (c) Olaf Malzahn

Arndt Voß
Aufgewachsen in Neumünster, in Lübeck seit 1959. Studium in Kiel und Hamburg (Musik- und Literaturwissenschaft). Ständige Mitarbeit an den Lübeckischen Blättern von 1974 bis 2014, Berichte und Kritiken darüber hinaus in einigen anderen Organen. Schwerpunktthemen: Musiktheater, Schauspiel, Konzerte.

Sie haben keine Berechtigung hier einen Kommentar zu schreiben.