Es war ein musikalisch wunderbarer Aufbruch in ein wiedergewonnenes Konzertleben.
Die lange Corona-Pause und die bestehenden Einschränkungen auf und vor der Bühne waren zwar noch spürbar. Aber schnell vergessen war, dass sie, die Zuhörer im Saal, auf allen Rängen, sogar auf dem hinter dem Orchester in Rössl-Sprung-Anordnung saßen, fein distanziert und in gehörigem Abstand. Ähnlich gesetzt waren die Akteure auf der Bühne, soweit sie kein Instrument betätigten, das Luft in Schwingung versetzte. Sie, die Bläser, hatten links und rechts dafür durchsichtige Stellwände. All das bewirkte, dass selbst für die Besetzungsgröße einer Beethoven-Sinfonie der Platz auf dem riesig wirkenden Podium gerade auszureichen schien.
Mit Beethovens Sechster begann das Programm, damit mit einem nachgeholten Baustein in dem Plan, alle Sinfonien des Jubilars im Jahre 2020 zu seinem 250. Geburtsjahr aufzuführen. Gerade dieses Werk reißt zudem immer wieder emotional das Publikum mit, was schließlich so vom Meister beabsichtigt war. 1809 hatte er an seinen Verleger geschrieben, als er Verbesserungen eingearbeitet haben wollte: „ … Der Titel der Sinfonie in F ist: Pastoral-Sinfonie oder Erinnerung an das Landleben, mehr Ausdruck der Empfindung als Malerei.“ Beethoven war Naturliebhaber, wie alle Biografen bezeugen, und viele unserer Zeitgenossen sind es umständehalber wieder geworden.
Gespannt war man deshalb darauf, wie die weite Sitzordnung den Klang beeinflusst, wie die erwartbaren Emotionen sich entwickeln würden. Sie taten es, überraschend positiv. Die lockere Anordnung der Musiker machte den Klang leichter, durchsichtiger, verhinderte, dass die Instrumentenfarben sich mischten. Das aber gab jedem Instrument größere Präsenz. Denn Beethovens Satz ist bereits kunstvoll darauf bedacht, die erstrebten „heiteren Gefühle bei der Ankunft auf dem Lande“ sich entwickeln zu lassen.
Die sanften dynamischen Wellen, die sich steigernde Dichte des Satzes mit den Streichern zu Beginn, den nacheinander hinzugenommenen Bläsern sind wunderbar kalkuliert. Auffällig feinsinnig ging GMD Stefan Vladar damit um, hörte zudem genau auf die Balance der Farben. Waren zunächst die vorn sitzenden Streicher noch dominierend, so glich er das schnell aus. Das Ohr des Hörers gewöhnte sich um, stellte sich langsam auf die anderen Klangverhältnisse ein, wie zudem die anfänglich sehr ruhigen Tempi und die ausgesprochen sensible Gestaltung von Dynamik und Agogik das musikalische Erlebnis zu vertiefen halfen.
Mit Bedacht formte Vladar das kompositorische Gewebe, und man erlebte ein Orchester, das aufmerksam seinen Vorgaben folgte. So wurde der erste Satz eine feinsinnige Grundlage für den zweiten, der „Szene am Bach“ mit ihrem Vogelstimmentrio am Schluss. Sehr sinnvoll steigerte sich das zum „Lustigen Zusammensein der Landleute“, das jäh durch heranziehendes „Gewitter“ und „Sturm“ beendet wurde.
Grandios dabei die dynamische Differenzierung, die das Orchester diesem Naturgeschehen angedeihen ließ, ohne dabei in bloße Klangnachahmung zu verfallen. Immer war der musikalische Sinn zu erkennen. „Frohe, dankbare Gefühle nach dem Sturm“ stimmten dann die Klarinetten und Hörner, gefolgt von den Violinen an und steigerten sich zu einem beschwingten Abschluss. Es war eine emotional bewegende Wiedergabe, mit der Vladar gleichzeitig deutlich machte, dass Beethovens Sinfonie aus ihrer musikalischen Sinnhaftigkeit sich entwickelt.
Von anderer Art ist Antonín Dvořáks 8. Sinfonie. „Englische“ heißt sie, aber nur wegen des Zufalls, dass sie in London zuerst im Druck erschien, wie man weiß, wegen eines Honorarstreits mit seinem deutschen Verleger Fritz Simrock, bei dem auch Brahms, Bruch oder Johann Strauß unter Vertrag standen. In dieser Sinfonie setzt sich ebenso wie bei Beethoven das Heitere, die gelöste und unbeschwerte Lebensfreude durch. Sie fand Dvořák in der Volksmusik seiner böhmischen Heimat. So ist vieles bei ihm auf das ansprechend Melodische ausgerichtet, das vor allem durch den mitreißenden tänzerischen Rhythmus gewürzt ist. Seine Sinfonie wirkt dadurch ebenfalls naturhaft und war damit mit ihrem Vollklang eine romantische Ergänzung zu Beethovens Werk.
Stefan Vladar und die Lübecker Symphoniker, Foto: (c) Olaf Malzahn
Vladar, der wieder auswendig dirigierte, führte auch hier sein Orchester zu einer in jedem Moment gültigen Wiedergabe. Mit den Klangfarben der eindrucksvollen Melodik, sie geben wieder den Themen ihre Charakteristik, erreichte er einen sehr geschlossenen Eindruck. Dabei halfen die Celli, Klarinetten und Fagotte mit ihrer sonoren Kraft den ersten Satz zu charakterisieren, im zweiten wieder die Celli den melancholischen Gestus. Dann brach sich die Lebensfreude mit dem beschwingten dritten Satz Bahn, die der vierte mit seinem triumphalen Beginn noch übertrumpfte.
Zu Recht wurden das Orchester und sein Dirigent mit langem Applaus gefeiert. Sie hatten mit Bravour über die Corona-Beschränkungen gesiegt.