Tontalente
Musik & Vielfalt

„MuV – Musik und Vielfalt“ heißt eines der vielen Projekte des gemeinnützigen Vereins Tontalente („verbindet Menschen“); es endet nach drei Jahren in diesem Sommer. Mit einer Misch-Veranstaltung aus Information und viel Musik im Börsensaal des Lübecker Rathauses wurde am Samstag (22.02.) Bilanz gezogen. Bunt, interessant, aufschlussreich.

Wie bei anderen Projekten des Vereins geht es auch bei MuV darum, Verstehen und Verständnis zu schaffen, Grenzen zwischen vermeintlich Unvereinbarem abzubauen, Diskriminierung und sozialer Brutalität etwas entgegenzusetzen: Musik als kommunikative Brücke zwischen Menschen ohne gemeinsames Vokabular. Damit Neuankömmlinge aus anderen Kulturkreisen, die nach musikalischen Kontakten suchen, diese Brücke nutzen können, hat der Verein eine Liste von Musikgruppen installiert und bietet Vermittlung an. Für musikalische Früherziehung finden unter dem Namen „Mama macht Musik“ regelmäßig Treffen in Familienzentren statt, in unterschiedlichen Gruppierungen – Kinder mit und ohne Migrationsgeschichte, Mütter und Kinder zusammen oder separat u. a..

Grenzüberschreitend

Die übergreifende Zertifikatsfortbildung „Interkulturelle Musikpraxis“ vermittelt den Teilnehmenden in 80 Stunden Themen wie Musikethnologie, Rhythmik, Phonetik, elementare Musikpädagogik, Projektmanagement, Gruppenleitung, Ensemblespiel u. a.. Ausgelobt und verliehen wird das Zertifikat von Tontalente und den Kooperationspartnern Musikhochschule Lübeck und Landesmusikrat Schleswig-Holstein. Vorstandsmitglied Jörg Geschke, zuständig für u. a. Popularmusik und Nachwuchsförderung beim LMR, spricht den Zertifizierten – wie auch dem Tontalente e. V. – bei der Verleihung mit Vergnügen seine Anerkennung aus.



Mit zwei arabischen Lauten, Gitarre, Keyboard, Trompete und Klarinette, markantem Männergesang und einem energetischen Rapper (beides auf Arabisch) skizzieren die Musiker*innen eine grenzüberschreitende Zusammenführung von musikalischen Spielarten zwischen HipHop, arabischer Tradition und US-Songwriting. Musikalische Professionalität ist innerhalb der Vereinsarbeit eher sekundär. Das Verbindende der musikalischen Vielfalt, der omnipräsente Spirit der Veranstaltung vielmehr ist: Akzeptanz, Teilhabe, und findet Ausdruck vor allem in der Diversität all dessen, das an diesem Nachmittag gespielt und zu hören sein wird.

Zugang

Zuerst das Stadtteilorchester Eichholz, das diesen Spirit laut und lustig mit einer Samba-Nummer vermittelt. Die 6 Kinder und 3 Erwachsenen mit Trommeln und Trillerpfeifen auf dem Weg zur Bühne haben den gut gefüllten Saal schnell auf ihrer Seite. Die Stimmung ist oben.

Ann-Kristin Kröger, Vorstandsvorsitzende des Tontalente e. V., begrüßt das Publikum und erläutert mit Isabel Kuczewski das MuV-Projekt, das beide Pädagoginnen zusammen mit ihrer Kollegin Salma Alareqi leiten. Anke Seeberger von der Stabsstelle Integration in Lübeck, Förderin seit Vereinsgründung 2012, nennt Dialog, politische Bildung und kulturelle Teilhabe für Kinder und Jugendliche als gemeinsames Zielgebiet. Auch sie betont die inspirierte Arbeit und Resultate des Tontalente-Teams.

Anke SeebergerAnke SeebergerMit Tuba, Posaune, Trompete, 4 Saxofonen plus Trommel folgen Die Hornissen, das erste von zwei solidarischen Gast-Ensembles des Tages. Die Brassband spielt ein Stück der bulgarischen Roma, eine Musik, die platzt vor anarchischer Lebensfreude, mit einem fragil-schwermütigen Moment im Subtext.

Zweite Gastcombo ist der Gewerkschaftschor Brot und Rosen. Benannt nach einem Streiklied der Textilarbeiterinnen 1912 in den USA, „Bread And Roses“, singt der Chor auf Bühnen, Straßen, Kundgebungen und bezeichnet seine Arbeit als „Engagierte Laienkultur“. Um Lieder mit Aussage im weiten Feld zwischen Politik und Lebensfreude soll es gehen: „Bei uns gibt es Platz für Leute mit verschiedenstem politischem Denken und Handeln – außer für Rassist*innen, Faschist*innen, Nationalist*innen.“

Beim Frauenmusiktreff lernen einheimische Frauen geflüchtete Neudeutsche kennen, die im Lübecker Alltag Fuß fassen, aktiv leben wollen. Mit Liedern und Gesprächen auf Deutsch entsteht Zugang zur deutschen Sprache, kultureller Austausch durch die Musik der Zugewanderten. Als 10-köpfiger national gemischter Chor mit Gitarren, Cajon und F-Blockflöte singen die Frauen „Prayer Of The Mothers“ von der israelisch-kanadischen Sängerin Yael Deckelbaum, auf Hebräisch, Arabisch, Englisch und Deutsch. Ein Lied über Krieg und die Hoffnung auf Frieden. Klar und bewegend.

Handschlag

Um Musik, neue Sounds und Auftreten geht es beim Musikcafé International. Gespräche bei Tee und Keksen, Anfängerunterricht für Geige, Bağlama (türk. Laute), Klavier oder Gitarre, gemeinsames Singen. Ein offener Kreis. Für den Auftritt haben sich Leute vom Musikcafé und Frauenmusiktreff zu einem Chor von ca. 20 Stimmen plus Cajon und Gitarre zusammengetan, der das Publikum mit einem (ersten) arabischen Satz, „Habibi ya nour el ein“ (dt.: mein Schatz, mein Augenlicht), ausstattet und zum Background-Chor umfunktioniert. Synkopisch schwingende, ehemals exotische Musik, deren melodisch-harmonische und rhythmische Charakteristika als Teil von Jazz und Pop heute auch der sogenannten westlichen Welt vertraut sind. Exzellent: João Pedro Martinho Tomés Gitarrenarbeit – präsent, differenziert, immer songdienlich, ein bisschen funky.

Seit 2015 betreiben die LebensKÜNSTler der Gotthard-Kühl-Schule Sprachförderung in Form von Musik-AGs an Lübecker Schulen. Betreut von deutsch- und fremdsprachigen Musikern/Musikpädagog*innen probieren die Kinder Instrumente aus, singen zusammen, schreiben Texte, kommen ins Gespräch. Die Annäherung an die Zweitsprache Deutsch passiert einfach, per Interaktion. Mit einer stilistischen Crossover-Suite aus Elektronik, Bassgitarre, arabisch anmutender Melodik, Pop-Versatzstücken, Körper-Percussion, vier Sängerinnen und einem russischen Text (dt. etwa: „Die Bienen lieben den Honig“) stellt das Projekt sich vor. Witzig: Die schrägen, selbstproduzierten Kapuzen-Videos vom Schulhof, die synchron projiziert werden.

Die Move forward!-Showband schließlich besteht aus 15 Jugendlichen im Alter von 12 bis 18 Jahren, die über Mindestkompetenzen in Musik und Tanz verfügen, sich weiterentwickeln und mit anderen zusammenarbeiten wollen. Ziel ist es zum Einen, in einem halben Jahr zu einer funktionablen Showband zu werden. Zum Anderen geht es um Empathie, um Rücksicht, Mutmachen, den Ton in einer Gruppe setzen und den Umgang mit Vielfalt. Zum Sound von 6 Percussionisten, Gitarre und Keyboard führt das Ensemble eine teilimprovisierte, kriegsbemalte Tanz-Peformance von zwei Männern bzw. Frauen auf, die sich gnadenlos zu Boden kämpfen, um erst in der Kapitulation zum Handschlag zu greifen in der Einsicht, dass die Lösung zwischenmenschlicher Konflikte keine Gegnerschaft verträgt.

Die substanziellen Werte und Ziele, die sich darin spiegeln und bei diesem Fest unausgesetzt präsent waren, die Idee von sozialpolitischer Integration in Form von Begegnung und Akzeptanz – statt lediglich Toleranz – bilden die konkrete, fruchtbare Arbeitsgrundlage bei Tontalente. Um sie fortsetzen und ausbauen zu können, wirbt der Verein um neue Fördermitglieder, um durch die Beiträge den für die Beantragung von Fördergeldern notwendigen Eigenfinanzierungsanteil zu bewältigen.

Weitere Infos unter www.tontalente.de

Fotos: Rolf Jäger

Rolf Jäger
Rolf Jäger
Geb. 1958, freischaffender Teilzeit-Journalist im Großraum Kultur - Musik, Film, bildende Künste, Literatur. Professioneller Musikjournalist 1996-2006 (Intro, Jazzthetik, Rolling Stone, LN, Badische Zeitung u. noch paar a.m.), Kulturschaffender bei www.wolkenkuckucksheim.tv, Gitarrist seit kurz nach Konfirmation.

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