Stefan Vladar, Foto: (c) Olaf Malzahn

MuK
Begeisterungssturm beim 2. Sinfoniekonzert der Lübecker Philharmoniker

Auch mit dem zweiten Sinfoniekonzert hatte Stefan Vladar, der neue Chef der Lübecker Philharmoniker, einen großen, geradezu bejubelten Erfolg.

Die Qualität des Abends deutete sich schon beim ersten Programmpunkt an, einem frühen Instrumentalstück Gustav Mahlers mit dem Titel „Blumine“. Er bezog sich auf Jean Pauls Sammlung von „Herbst-Blumine oder gesammelte Werkchen aus Zeitschriften“. Es ist eine sehr schön klingende Komposition, die Verbindungen zu einem Werk aus einer wenige Jahre vorher ausgeführten Bühnenmusik zu Joseph Victor von Scheffels „Der Trompeter von Säkkingen“ besitzt. Das melodiöse Trompetensolo erinnert daran. Selten wird es aufgeführt, gehört eigentlich zu Mahlers Erster Sinfonie, die er zunächst zweiteilig konzipiert hatte und sollte zum zweiten Satz werden, als Mittelstück im ersten Teil. Später hat Mahler diesen Satz herausgenommen, der heute allenfalls einzeln aufgeführt wird. Constantin Floros, der Musikwissenschaftler und Mahler-Kenner, vermutete: „Maßgeblich für die Entfernung des Stückes dürften vielfältige Anklänge an Salonmusik gewesen sein.“ Sei’s drum. Das Stück schmeichelte dem Ohr, wurde sehr sensibel musiziert und mit viel Beifall aufgenommen.

Angelika Kirchschläger, Foto: (c) Nikolaus KarlinskyAngelika Kirchschläger, Foto: (c) Nikolaus KarlinskyDem folgte ein zweites Werk von Mahler, eine weit dichtere Komposition. Es sind die „Kindertotenlieder“, Klagen um den Verlust, getragen vom Ausdruck des Seelenschmerzes. Die fünf Texte, die Mahler zu einem Zyklus zusammenband, stammen von dem Dichter Friedrich Rückert, der sie nach dem Sterben eigener Kinder verfasste. Stefan Vladar gestaltete sie in großer Ruhe, folgte der Wiener Mezzosopranistin Angelika Kirchschläger, der er alle Zeit und Freiheit gab, die Subtilität dieser Komposition zu zeichnen. Kammermusikalisch ist der Orchestersatz bei Mahler, in vielen Farbtönen der Holzbläser, auch der Blechbläser und der Harfe. Gleich der Anfang von Oboe und Horn nimmt gefangen, bevor die Singstimme mit einer absteigenden Melodie beginnt, ein scheinbarer Kontrast zum Text „Nun will die Sonn‘ so hell aufgehn“, bevor mit dem Nachsatz sich in qualvollen Windungen die Unglücksnacht in Erinnerung bringt. Die Sängerin gestaltete die lyrischen Texte sehr konzentriert, verdeutlichte allenfalls mit kleinen Gesten. Alles überließ sie ihrer klangvollen, intensiven Stimme, ohne Kraft und ohne jemals laut zu werden, zudem mit großer Textverständlichkeit. Es war eine großartige und berührende Leistung, zumal das Orchester ein wunderbar klingender Partner war.

Die düstere Grundstimmung, durch qualvolles Erleben bedingt, wiederholte sich nach der Pause in Dmitri Schostakowitschs Fünfter Sinfonie. Sie ist 1937 nach großen staatlichen Anfeindungen ein Wendepunkt im Schaffen des russischen Komponisten und wurde schon als „optimistische Tragödie“ (Alexej Tolstoi) bezeichnet. Der Höreindruck nach dieser Interpretation durch die Lübecker Philharmoniker vermag noch andere Assoziationen zu wecken. Schon der scheinbar straffe Beginn, der in sich zusammenfällt, gibt einen Hinweis, dass Schostakowitsch zwar Themen aufstellt, sie aber in immer wieder verwirrender Art fortsetzt, Forderungen von außen nachkommt, aber ganz anders gestaltet. Klassisch klingt das, aber nichts wird klassisch verarbeitet. So wird auch der zweite, ein brillantes Allegretto mit Scherzo Charakter, zu einem kapriziösen Satz, der den Hörer ständig narrt. Gegensätzlich dann das Largo, der dritte Satz. Voller Schwermut scheint er die Grundstimmung der Lieder von Mahler fortzusetzen, wenn die Streicher in einer Art Totenmemorial im kaum wahrnehmbaren Pianissimo beginnen. Die großen Steigerungen werden dann zum Satzschluss in einem eigentümlichen Klang von Harfe, Celesta und Streicher aufgelöst. Ein auffahrender Marsch mit nahezu brutaler Klangdemonstration lässt den Finalsatz mit seiner Wende nach Dur zu einer trotzigen Demonstration eines „Nun erst recht!“ werden. Wie immer diese Sinfonie gedeutet wird, diese Interpretation wirkte bezwingend, bescherte dem Orchester und seinem neuen Chef einen großen Beifall.

Arndt Voß
Aufgewachsen in Neumünster, in Lübeck seit 1959. Studium in Kiel und Hamburg (Musik- und Literaturwissenschaft). Ständige Mitarbeit an den Lübeckischen Blättern von 1974 bis 2014, Berichte und Kritiken darüber hinaus in einigen anderen Organen. Schwerpunktthemen: Musiktheater, Schauspiel, Konzerte.

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