Dirigent Long Yu

Elbphilharmoniker in der MuK
Geheimnisse östlicher Welten

Das Programm machte neugierig. Ein Werk von Qigang Chen, 1951 in Shanghai geboren, war an den Anfang gestellt, ein in seiner Heimat offensichtlich sehr anerkannter Komponist.

Denn ihm war, wie das Programmheft zum Konzert (5. April 2019) verriet, 2008 Komposition und Leitung der Musik zum olympischen Großspektakel in Peking übertragen worden. Ganz so bombastisch, auf weltweiten Eindruck zielend, ging es in der MuK nicht zu, doch immerhin mit einem Instrumentarium, das nach dem Motto „Ost trifft West“ neben dem hier gewohnten großen Orchesterapparat eine Unmenge an Schlaginstrumenten präsentierte.

Chen, der Schüler von Olivier Messiaen, der selbst ein Klangzauberer mit besonderer Begabung für Natur und Mystik war, benötigte neben dem Paukisten noch fünf weitere Perkussionisten. Seine Komposition fußte auf der Elementenlehre der traditionellen chinesischen Philosophie, nach deren Auffassung die Grundstoffe Wasser, Holz, Feuer, Erde und Metall ausgewogen gemischt sein müssen. Jedem dieser Grundstoffe widmete er sich in seinem fünfsätzigen Werk entsprechend für ca. zwei Minuten, für kurze Episoden also. Man musste kein Kenner Asiens sein. Jeder der Sätze war akustisch einordbar.

Erstaunlich plastisch hörte man das Rauschen und Wogen des Wassers im ersten Teil, das Trockne, auch das Feste des Holzes, wobei neben Klanghölzern oder Xylophonen auch die Streicher mir ihrem Col-legno-Spiel sich einmischten. Nicht laut und vordergründig war der Satz, der das Feuer zwar mit aller Deutlichkeit in seiner aufwallenden Kraft erfasste, aber dennoch auch das Wärmende oder fein Knisternde einfing. Die schwebenden Klänge der Erde erinnerten an die Sphärenharmonie mittelalterlicher westlicher Vorstellung, brachten zudem in einer kurzen Klangstruktur eine chinesisch klingende Melodie. Mit staccato-haften, teils hämmernden Strukturen beschwor Chen schließlich im letzten Satz das Metall.

Der Eindruck beim Publikum war, am Applaus gemessen, nicht sehr groß. Wohl allzu knapp waren die Sätze, um ihre Klangfaszination entwickeln zu können. Es mochte allerdings auch an dem Dirigenten Long Yu gelegen haben und seiner unpräzisen Dirigierweise. Chefdirigent ist er des Shanghai Symphony Orchesters, mit dem die Elbphilharmoniker durch eine Kooperation seit ein paar Jahren eng verbunden sind. Man kennt sich also. Dennoch ergaben sich immer wieder bei Einsätzen Unschärfen, die sich den gesamten Abend fortsetzten.

Im zweiten Programmpunkt stand vor allem der Solist im Mittelpunkt. Es war Bertrand Chamayou, der das selten zu hörende Klavierkonzert für die linke Hand von Maurice Ravel aufführte. Es war 1929/30 im Auftrag des Pianisten Paul Wittgenstein entstanden, der im Ersten Weltkrieg in Polen seinen rechten Arm verloren hatte, der dennoch seine Karriere mit ungeheurer Energie fortsetzte. Das ungewöhnliche Werk reizt heute hin und wieder Pianisten. Nur bleibt immer die Frage: „Was macht man mit dem unbeschäftigten Arm?“ Manchmal hängt er daneben, andere fixieren ihn mit einer Bandage oder lassen ihn auf dem Schoß liegen.

Bertrand Chamayou hatte sich entschieden, sich mit dem rechten Arm oben am Flügel abzustützen. Das half auch seiner Balance beim Hin- und Herrutschen auf der Klavierbank, um extreme Diskantlagen zu erreichen. Er erreichte auf jeden Fall ein Spiel von ungewohnter Klarheit. Bereits die lange erste Kadenz des mit etwa 20 Minuten Dauer relativ kurzen Werkes machte das deutlich, nicht nur der wunderbar herausgearbeitete Wechsel zwischen Melodik und Begleitung. Sein Spiel kam an, seine bewundernswert feine Anschlagskultur. Er bedankte sich für den Beifall mit einer weiteren Komposition des Komponisten, mit der „Pavane pour une infante défunte“, diesmal beidhändig.

Die große Reise Nikolai Rimski-Korsakows, der er 1888 mit seiner sinfonischen Dichtung „Scheherazade“ in die orientalische Märchenwelt unternommen hatte, enttäuschte. Allzu vordergründig musste das Orchester die Erzählungen aus Tausendundeiner Nacht servieren. Nur dann, wenn die Solisten des Orchesters selbst gestalteten, beim Motto Roland Greutter als Geiger etwa, im zweiten Satz Gaspare Buonomano mit seinem Klarinettensolo oder immer wieder an der Pauke der sensible Stephan Cürlis, oder wenn die Streicher oder die Hörner als Gruppen das einförmige Auf und Ab der Dirigierschläge negierten, entwickelte sich der Farbreichtum der Partitur und die schwelgerische Melodik. So rettete das Orchester den Eindruck. Langer Beifall war Dank.

Arndt Voß
Aufgewachsen in Neumünster, in Lübeck seit 1959. Studium in Kiel und Hamburg (Musik- und Literaturwissenschaft). Ständige Mitarbeit an den Lübeckischen Blättern von 1974 bis 2014, Berichte und Kritiken darüber hinaus in einigen anderen Organen. Schwerpunktthemen: Musiktheater, Schauspiel, Konzerte.

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