Dirigent Andreas Wolf mit Solisten und Philharmonisches Orchester Lübeck, Foto: Lutz Roeßler

Erich Wolfgang Korngolds „Das Wunder der Heliane“ konzertant aufgeführt
Triumph der Liebe über den Tod

Erich Wolfgang Korngolds Oper „Das Wunder der Heliane“ ist ein grandioses Mysterienspiel, das sich in drei langen Akten vollzieht, jeder von einstündiger Dauer.

Im ersten, einer Art Kammerspiel, wird die Gefühlslage zwischen den Protagonisten exponiert. Da ist der mit Gewalt jede Freude unterdrückende Herrscher. Sein Gegenpol ist der Fremde, eingekerkert und für den Tod bestimmt, denn sein Credo ist: „Ich will die Menschen glücklich sehn …“. Zwischen ihnen steht Heliane, die einzige Figur, die einen Namen trägt.

In Treue ihrem Manne ergeben ist sie dennoch ob seiner Kälte von ihm enttäuscht und wünscht sich das Gefühl echter Zuneigung. Fasziniert von der Lebenseinstellung des Fremden besucht sie ihn am Abend vor der Hinrichtung in seiner Zelle, um ihn zu trösten. Beide entdecken große Gefühle für einander. Sie zieht sich aus, um sich ihm in ihrer ganzen Person zu präsentieren, auch in körperlicher Nacktheit. Ihr Mann erscheint, muss die Situation missdeuten. Er war gekommen, den Fremden zu begnadigen, wenn der es schafft, Heliane innerlich wieder zu ihm zu führen.

Das ist die Ausgangslage in einem unlösbaren Konflikt. Der zweite Akt, eine personenträchtige Tribunalszene, verschärft die Situation. Im dramatischen Hin und Her tötet sich der Fremde selbst. Er allein hätte Helianes Unschuld bezeugen können. So muss sie ihn auf Forderung des Herrschers wieder erwecken. Das geschieht im Schlussakt, der in einer großen Volksszene die mystische Verklärung bringt. An dessen Ende wird Heliane zwar vom Herrscher mit einem Schwert erschlagen, steigt aber mit dem Fremden in den Himmel auf. Der Herrscher bleibt entmachtet zurück.

Das parabelhafte Geschehen zwischen Nacktheit und Wunderglaube ist nicht einfach darstellbar, hat auch bereits kurz nach der ersten Wiener Inszenierung zu Kontroversen geführt. Gegen die Missdeutung der Heliane als einer von „sinnlicher, sündiger Lust oder Lüsternheit“ Getriebenen wendet sich Korngold deshalb in einem Leserbrief, der dankenswerterweise im Programmheft abgedruckt ist. Er sieht in seiner Heldin vielmehr eine Heilige, die „aus einer Kapelle in die Armensünderzelle tritt“, wie es dort heißt. Musikalisch geleitet er sie in der als anrüchig empfundenen Szene im ersten Akt unter dem Gesang von seraphischen Stimmen, eine eindeutige kompositorische Stellungnahme.

Nicht nur an dieser Stelle ist der enge Kontakt von Musik und Bühnenhandlung angedeutet. Er ist auch beim bloßen Hören im Konzertsaal in vielen Momenten, vor allem aber in den eindrucksvollen Vor- und Zwischenspielen zu erspüren. Denn Korngold ist ein grandioser Maler in Tönen, der Stimmungen und Charaktere äußerst sensibel erfasst. Da schien sich die konzertante Darbietung zu empfehlen. Sie kann die wunderbaren Nuancierungen, die er mit einem riesigen Orchester zu schaffen weiß, besser erfahrbar machen. Dennoch war das Fehlen jeglicher Orientierung, textlich oder optisch, zugleich ein Manko. Korngolds stilistische Besonderheit, die enge Verbindung von Wort und Musik, blieb schemenhaft, zumal die Aufführung im Konzertsaal nirgendwo Hilfe bot. Hätte man sie im Theater aufgeführt, wären zumindest die Texte durch die Übertitelungsanlage verfolgbar gewesen.

Dass die Stimmen zudem allzu oft nur als Teil des Musikflusses wahrzunehmen waren, verstärkte sich durch den Aufbau auf der Bühne. Man hatte die Sänger hinter das riesige Orchester gesetzt, das sie allzu oft im Fortissimo überwinden mussten. Zudem hatten sie von der Empore den großen Chor im Rücken und sogar noch acht Blechbläser seitwärts. Der Kraftaufwand war groß, den Cornelia Ptassek in der Titelrolle dennoch bewundernswert überstand. Sie schuf zudem mit ihrer großen Erzählung „Ich ging zu ihm“ einen der berührenden Momente.

Aris Argiris sang den Herrscher mit einem ungemein fülligen Bariton, der Härte und Zweifel an seinem Tun gleichermaßen verdeutlichen konnte. Der Tenor Zurab Zurabishvili als Fremder vollendete das Trio großer Stimmen, das für sich schon die Aufführung hörenswert machte. Doch auch Katerina Hebelkova erreichte als übelwollende Botin mit ihrem schön klingenden Mezzo große Ausdruckstiefe. Einzig zwei Ensemblemitgliedern waren größere Partien anvertraut, Taras Konoshchenko, der mit seinem kraftvollen Bass den Pförtner sang, und Hojong Song, der dem blinden Schwertrichter seinen kraftvollen Tenor lieh.

Auch der Chor hatte es schwer. Allzu forciert musste er sich einsetzen, um den großen orchestralen Ausbrüchen standzuhalten. Zudem fand er bei Andreas Wolf, der musikalisch leitete, erst im letzten Akt mehr Unterstützung. Wolfs Leistung war trotz einiger Mängel hoch, hätte bei den Voraussetzungen wohl so manchen Dirigenten überfordert. Allzu sehr musste er sich auf Einsätze und Zusammenhalt beschränken, ohne wirklich gestalten zu können. Keine Gesamtprobe war im Konzertsaal vorher möglich, so dass die erste der zwei Aufführungen zugleich Generalprobe und Premiere war, ein weiteres Manko einer Aufführung, die nur unter Einsatz vieler Aushilfen durchzuführen war.

Mit dieser Aufführung wollte das Theater zweierlei verbinden, das sechste Sinfonieorchester mit einer Operndarbietung. Auch das geschah organisatorisch ungeschickt. Erst nach zwei Stunden, der normalen Dauer eines Konzertabends, eine Pause zu gewähren, wurde von etlichen Besuchern als Zumutung bewertet, zumal gerade diese Oper musikalisch durch ihre großen Ausbrüche ungewöhnlich in den Bann zieht, höchste Aufmerksamkeit einfordert.

Der Handlung zu folgen, war einem normalen Konzertgänger, wohl bei diesem unbekannten Werk auch dem Opernfreund nicht möglich. Das Programmheft druckte nur eine stark abstrahierte Handlungszusammenfassung ab, die die Dramaturgie einem Opernhandbuch entnommen hatte, statt sich selbst zu bemühen. Wenn man schon kein Textheft anbietet, wie es bei unbekannten Werken ab und zu auch heute noch geschieht, hätte eine noch so knappe Beschreibung der Szenen zum Mitlesen geholfen. Und auch die halbstündige Einführung vorher enttäuschte. Dass Heliane seinerzeit zur Zigarettenmarke wurde, ist ein hübscher Gag, aber nicht sinnstiftend, wenn man keinen Werkzugang vermittelt.

So blieb die puristische konzertante Aufführung ein grober Notbehelf, obwohl sich das Theater Lübeck mächtig für dieses mehr als neunzig Jahre alte Werk ins Zeug gelegt hatte, das sich nicht durchsetzen konnte. 1927 wurde es in Hamburg uraufgeführt, zunächst auch mehrfach nachgespielt, unter anderem bereits 1928 in Lübeck, im gleichen Theater, das jetzt einer szenischen Realisierung aus dem Wege ging. Dabei sind Korngolds Bühnenwerke hier gern gesehen. Der Einakter „Der Ring des Polykrates“ gehört dazu und auch „Die tote Stadt“, 2012 und 2013 inszeniert und auch beide kurz nach der Uraufführung in Lübeck nachgespielt. Warum sollte eine szenische Realisation nicht wieder möglich werden?

Beifall gab es zum Schluss von einigen, die geblieben waren und die Besonderheit des Werkes wie die Leistung der Ausführenden würdigten.

Arndt Voß
Aufgewachsen in Neumünster, in Lübeck seit 1959. Studium in Kiel und Hamburg (Musik- und Literaturwissenschaft). Ständige Mitarbeit an den Lübeckischen Blättern von 1974 bis 2014, Berichte und Kritiken darüber hinaus in einigen anderen Organen. Schwerpunktthemen: Musiktheater, Schauspiel, Konzerte.

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