Solch einen Andrang hatte es lange nicht gegeben. Die MuK war bis auf den letzten Platz besetzt, wie es in Hamburg in der Elbphilharmonie ja die Regel sein soll.
Die Musiker mussten daher auch hier neugierige Blicke von hinten und oben ertragen, weil selbst der Rang über dem Podium ausgebucht war. Und sogar das müssten die Musiker aus ihrem Stammhaus kennen, dass ein Teil des Publikums seine Begeisterung nach jedem ersten Satz spontan zeigte. Die Musiker focht das nicht an. Sie gingen über den Beifall souverän und gelassen hinweg.
Wer oder was die Nachfrage ausgelöst hat, wird jeder anders beantworten, aber das Arrangement war eben ausgesprochen publikumswirksam. Drei Komponisten und auch drei Ausführende gehörten dazu, Vivaldi, Tschaikowsky und Mendelssohn Bartholdy einerseits und bei den Künstlern der Geiger Vadim Gluzman, als Dirigent Krzysztof Urbański und – natürlich – die NDR Elbphilharmoniker. Das Orchester, eigentlich zuständig für die große Sinfonik der Klassik bis Moderne, wilderte diesmal überraschenderweise in einem anderen Bereich. Es zelebrierte Barockmusik im Kammermusikformat. Ein Concerto für zwei Violinen, Streicher und Basso continuo von Antonio Vivaldi (a-Moll op. 3 Nr. 8) war zu erleben, wobei einen der Soloparts reizvollerweise Vadim Gluzman spielte, der Virtuose im konzertanten Werk des Abends. Den anderen hatte Stefan Wagner, der Erste Konzertmeister des Orchesters, übernommen.
Die Wahl dieses Concertos unterstrich die sehr bewusste Programmgestaltung. Sie war zum einen ein eleganter und schwungvoller Beginn mit einem klanglichen Ausflug in die Zeit, in der Musik geistvolle Unterhaltung, aber auch, wie im Larghetto e spirituoso des Mittelsatzes, Zeichnung feiner Stimmungen war. Vor allem aber ermöglichte es Vadim Gluzman, den schönen Klang seiner Stradivari zunächst in dem Stilbereich vorzustellen, für den sie geschaffen worden war, bevor sie in der dann folgenden romantischen Komposition solistisch hervortrat und sich gegen die Farbvielfalt eines ganzen Orchesters behaupten musste.
Hier, in Peter Tschaikowskys Violinkonzert D-Dur, sein einziges für dieses Instrument, erlebte man einen künstlerisch ausgesprochen sensiblen Solisten. Wie Gluzman die melodischen Linien spannte, noch mehr aber, wie er die oft nachlässig hingeworfenen Überleitungen formte, wie er dann im ersten Satz der langen Solokadenz musikalischen Gehalt gab, ließ atemlos zuhören. Dieses hochromantische Werk mit seinen äußerst virtuosen Partien vor allem im Finalsatz überzeugte restlos, auch im Zusammenspiel mit dem Orchester. Es mag nebensächlich sein, aber selbst die Wahl seiner Zugabe unterstrich, wie alles in ein sorgsam bedachtes Konzept passte, sogar in das Tonartenschema des Konzertes. Er spielte aus Bachs Partita in E-Dur die Gavotte in einer wunderbaren Synthese der artifiziellen Gestaltung und des lebendigen Charakters des Tanzes, der immer durchblickte. Gleichzeitig ordnete er seine Zugabe in die feinsinnige Verarbeitung von Volksmusik ein, die in allen Programmpunkten durchblickte.
Vivaldis Werk stand inhaltlich gleich in einem mehrfachen Bezug zu dem letzten des Abends, der vierten Sinfonie von Felix Mendelssohn Bartholdy, „Italienische“ genannt. Dass beide Werke die gleiche Tonart nutzten, ist sicher eine periphere Übereinstimmung, auch die Tatsache, dass Mendelssohn ein großer Verehrer Bachs war und der einer von Vivaldi. Immerhin hatte er das Concerto zu einem Konzert für Orgel solo (BWV 593) umgearbeitet. Wohl wichtiger ist, dass die Sinfonie auf einer Reise in das südeuropäische Land entstanden war, dem Sehnsuchtsland vieler. Nur konnte Mendelssohn bekanntermaßen seine Gefühle für den Norden nicht unterdrücken.
Musikalisch wurde das als tiefgreifender Prozess durch Krzysztof Urbański und das Orchester eingefangen. So war der pulsierende Fluss des ersten Satzes noch eine kostbare Reminiszenz an die südliche Landschaft und Lebensfreude, die sich auch in dem Concerto Vivaldis ausdrückte. Wie sich dann im zweiten Satz die Stimmung durch das Herbe des unaufhaltsamen Voranschreitens, durch die Sforzati und den trüben Grundton von Zelters „König in Thule“ eintrübte, der dritte mit seinem Hornmotiv nach Norden lockte, wurde sehr wirkungsvoll entwickelt. Vor allem aber dem letzten Satz nahm Urbański die glatte Oberfläche. Nicht mehr der überschäumende Gestus des Saltarellos stand im Vordergrund, eher eine melancholische Würdigung einer anderen, ungestümen Welt, durch die Mollstimmung koloriert. Großartig, wie die Orchestermusiker das vermittelten!
Foto: (c) Olaf Malzahn