Francesco Piemontesi, Foto: (c) Marco Borggreve

Musik- und Kongresshalle Lübeck
Romantik pur beim Saisonabschluss der Elbphilharmoniker

Johannes Brahms und Antonín Dvořák in einem Programm und mit Kompositionen, die nahezu gleichzeitig entstanden sind, das ist ein besonderer Leckerbissen. Der NDR servierte ihn mit dem Elbphilharmonie Orchester in seinem Konzert in Lübecks Musik- und Kongresshalle, das achte und letzte in der ereignisreichen Saison 2017/2018.

Es wurde ein gewichtiges Programm mit zwei Werken, die beide dem Sinfonischen zugeordnet werden können. Das versteht sich bei Dvořáks sechster Sinfonie in D-Dur von selbst. Doch auch in Brahms‘ zweitem Klavierkonzert in B-Dur wird gern eine verkappte Sinfonie gesehen. Schon Eduard Hanslick, der wohl einflussreichste Kritiker im Wien des 19. Jahrhunderts, nannte sie eine „Sinfonie mit obligatem Klavier“. Nicht nur die für Instrumentalkonzerte damals ungewöhnliche Anzahl von vier Sätzen führte dazu, sondern vor allem die Verbindung des Soloklaviers mit dem Orchester. Konsequent vermied Brahms zudem jede Zurschaustellung bloßen Virtuosentums im Solopart. Keine Kadenz gibt es oder Stellen, die allein das Können des Pianisten herausstellen sollen. Hinzukommt, dass Brahms auch dem Finalsatz kompositorisch eine größere Geltung gab. Nicht als rasantes Rondo, das damals gewöhnliche Muster, ließ er sein Werk enden, er gab ihm die musikalisch belangreichere Sonatensatzform.

Der NDR hatte Francesco Piemontesi als Solisten verpflichtet. Der Schweizer verblüffte mit einem sehr dezenten Auftreten. Schon der sensible Dialog mit dem Horn zu Beginn war romantisch, eher melancholisch interpretiert. Die technisch perfekte Spielweise, der subtile Anschlag auch im dichtesten akkordischen Gefüge vertiefte den brahmsschen Ton auf wunderbare Weise. Expressiv war er, wo es angebracht war, wie etwa im zweiten Satz, dabei niemals äußerlich, in allem dem Miteinander mit dem Orchester dienlich und verpflichtet. Das machte den dritten Satz wie selbstverständlich zum Höhepunkt des Konzertes. Mit Christopher Franzius, seit 2004 Konzertmeister der Violoncelli, erreichte er einen kammermusikalisch zarten, zugleich dichten Ausdruck, der atemlos zuhören ließ.

Pablo Heras-Casado, Foto: (c) Fernando SanchoPablo Heras-Casado, Foto: (c) Fernando SanchoMusste sich der spanische Dirigent Pablo Heras-Casado, nur wenig älter als der Solist, im ersten Teil noch zurückhalten, konnte er in Dvořáks Sinfonie all sein lebendiges, mitreißendes Temperament entfalten. Unmittelbar erlebbar machte er die Komposition. Sie war eigentlich für die Wiener Sinfoniker bestimmt, wurde aber abgelehnt und 1881 in Prag uraufgeführt. Das war das gleiche Jahr, nur ein paar Monate später, in dem Brahms sein Werk, selbst am Flügel, in Budapest erstmals spielte. Es ist hinreichend bekannt und auch im Programmheft erwähnt, dass Brahms, der acht Jahre ältere, ein „väterlicher Freund und Mentor“ für Dvořák war.

So ergab sich eine innere Geschlossenheit des Programms, die das Publikum mitriss und einen selten gehörten Jubel erzeugte. Der erinnerte an sportive Ereignisse, da zwischen den Bravos laute „Pablo“-Rufe den Dirigenten wie einen Matadoren feierten. Ohne Taktstock dirigierte er und entfachte mit dem Orchester, das ihm aufmerksam und bei dem Schwung bemerkenswert sicher folgte, eine geschlossene Wirkung, der nur eines fehlte, eine feinsinnige klangliche und motivische Gestaltung. Dennoch waren die Sätze prägnant gegeneinander abgesetzt, der Anfangs- und der Schlusssatz mit seiner beschwingten Haltung, der zweite mit seinem lyrischen Ton und der tänzerische dritte mit seinem vor Temperament strotzenden Furianten. Er offenbarte am besten die allen gemeinsame Grundlage, die reizvolle tschechische Volksmusik.

Arndt Voß
Aufgewachsen in Neumünster, in Lübeck seit 1959. Studium in Kiel und Hamburg (Musik- und Literaturwissenschaft). Ständige Mitarbeit an den Lübeckischen Blättern von 1974 bis 2014, Berichte und Kritiken darüber hinaus in einigen anderen Organen. Schwerpunktthemen: Musiktheater, Schauspiel, Konzerte.

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