Ryusuke Numajiri, Foto: Olaf Malzahn

Das sechste Konzert der Lübecker Philharmoniker
Über die „Zauberwelt Italien“ und malträtierte Buketts

Es war wieder solch ein gedrängtes sinfonisches Wochenende, das vernünftige Planung besser verhindern sollte. Am Sonnabend (24. März 2018) traten die Elbphilharmoniker in der MuK auf, am Sonntag und Montag waren es die Philharmoniker aus Lübeck.

Auch wenn eine Konkurrenz nicht bestehen sollte, dem, der beide gehört hat, zwingt sich ein Vergleich auf, nicht nur dadurch, dass beide Orchester von ihrem Ersten Gastdirigenten betreut wurden. Die Unterschiede herauszustellen soll in diesem Bericht tunlichst vermieden werden, das wäre schlicht unfair. Anderes bietet sich an, zumal jedes Orchester ein klar umrissenes Programmkonzept hatte.

Schon Goethe fragte: Kennst du das Land …?

Die Hamburger besuchten den Osten Europas, die Lübecker dessen Süden, Sehnsuchtsland Goethes und vieler anderer, auch etlicher Komponisten. Zwei dienten den Lübeckern für ihr Motto „Zauberwelt Italien“ zum Beleg, der Franzose Hector Berlioz und der Deutsche Richard Strauss. Sie schwelgten vor allem in Erinnerungen, der eine an festliche Lustbarkeit mit Liebe und Tumult in seiner Konzertouvertüre „Der Römische Karneval“, der andere, sinfonisch fantasierend, in Reisebildern „Aus Italien“, wo Beeindruckendes beliebter Gegenden und Orte der Halbinsel festgehalten worden war.

Diese beiden Reminiszenzen rahmten im Programm den zweiten Franzosen, Camille Saint-Saëns. Der war durch Italien allerdings weniger geprägt, auch wenn er gern reiste und wie Berlioz den Bildhauer Benvenuto Cellini zum Opernhelden machte. Er füllte mit einem Klavierkonzert, dem vierten von fünf, die konzertante Mitte. Alle sind so etwa 30 Jahre im Alter voneinander getrennt, auch stilistisch nicht weit voneinander entfernt und waren chronologisch ins Programm gesetzt.

Änderungen

Als Dirigent fungierte Ryusuke Numajiri. Eigentlich noch GMD, auf eigenen Wunsch aber befreit vom Amt, weilte er jetzt als Erster Gastdirigent während seiner Vorbereitungen für die Premiere der „Zauberflöte“ in Lübeck. Kurzfristig hatte er wegen Erkrankung von Andreas Wolf die Reiseleitung übernommen und musste sich nun in ein Programm einfühlen, das ihn offensichtlich forderte. In einer anderen Kultur aufgewachsen, hatte er der merkwürdigen romantischen Sehnsucht nach dem lichten Italien Ausdruck zu geben, ein Gefühl, an dem er in seinen Interpretationen vor allem das effektvoll Andersartige betonte.

Berlioz war 1930 in das Land gereist, nachdem er den Rom-Preis gewann. Erst 1843/44 hatte er dann im Alter von 40 Jahren seine Konzertouvertüre mit dem Titel „Der Römische Karneval“ geschaffen. Es war das älteste Werk im Programm und gibt sich zumindest im ersten Teil sehr empfindsam, wenn er eine idyllische Szene aus seiner zehn Jahre früher geschaffenen Oper „Benvenuto Cellini“ zitiert. Deren innige Englischhorn-Melodie malt eine lyrisch-sanfte Liebeswelt, um dann mit einem feurigen Saltarello, ebenfalls aus der Oper, in ein erregtes Festtreiben einzutauchen. Numajiri nivellierte die Kontraste, indem er den langsamen Teil forcierte und sich nicht auf das Können des Instrumentalisten verließ, ihn zur Eile zwang. Und auch der Karnevalstrubel war eher schnell und heftig als elegant und spritzig.

Dorel Golan, Foto: (c) Sergey DemyanchukDorel Golan, Foto: (c) Sergey Demyanchuk

Klavieristische Orgiastik

Im zweiten Werk, dem Klavierkonzert, stand naturgemäß das Solo im Vordergrund. Den Part hatte Dorel Golan übernommen, eine Pianistin aus Israel, die bereits eine große Erfahrung mit Auftritten aller Art besitzt. In ungestümer Gestaltungsfreude interpretierte sie das in f-Moll beginnende, sich immer mehr dem Dur zuneigende Werk mit unverhohlener diesseitiger Freude. Das bekam der Wiedergabe nicht schlecht, zumal der Komponist selbst ein hochgradig befähigter und angesehener Pianist war, der dieses Konzert eigens für sich komponiert hatte.

Seine Grundhaltung ist trotzdem eher klassisch klar, als romantisch gefühlhaft. Das passte wunderbar zu dieser perlenden, nahezu artistisch sich anbietenden Klavierkunst, an deren technisch hochgradiger Präsentation die Solistin ein sportives Vergnügen hatte. Zudem ist Dorel Golan eine attraktive Erscheinung, unterstrichen durch ein extravagant geschnittenes Abendkleid in einem leuchtenden Rot-Orange. Auch ihre drei (!) Zugaben, die all das an technischen Finessen nachzuliefern schienen, was Saint-Saëns sich nicht zumuten wollte, machten Staunen über eine unermüdliche Spiellust.

Erinnerungen eines 22-Jährigen

Nach der Pause war Strauss in die Campagne, zu den Ruinen Roms, an Sorrents Strand und schließlich nach Neapel zu folgen, wo das Volksleben zu genießen war. Das Orchester gab sich alle Mühe, dies Erinnerungswerk des erst 22-Jährigen sensibel auszudeuten. Strauss wollte nach eigenem Bekunden seine „Empfindungen“ wiedergeben, die er beim Anblick der „Naturschönheiten“ hatte. Während Numajiri, der sich weniger auf dieses Dirigat vorbereiten konnte, vor allem präzise führte und auf das Zusammenspiel ausgerichtet war, sorgten die Musiker selbst für Klang und Ausdruck.

Malträtierte Buketts

Viel Beifall gab es zum Schluss, aber auch etwas, das dieses Konzert am Montag zu einem Solitär machte. Man darf sich ja fragen, was die Blumen nach einem Konzert für ein Schicksal haben, die die zumeist vagabundierenden Solisten und auch manche, hoffentlich verheiratete Dirigenten in den Arm gedrückt bekommen. In Lübeck hat man da schon Merkwürdiges erlebt, auch dass solch ein Strauß in Wut zum Flugobjekt wurde.

An diesem Abend aber wurde der florale Dank gleich zweimal zur Schmunzelnummer. Schon die Solistin hatte ihr Blumenpräsent eher achtlos neben ihre Klavierbank gelegt, um sich dann mit der ersten Zugabe zu bedanken. Von dort rollte das Bukett hinab, wurde von einem Zuschauer wieder hinaufbefördert, dann vom Konzertmeister bedachter an die andere Seite der Bank gelegt, bevor es der agilen Solistin wieder unter Rock und Füße geriet.

Mag man das als „Miss“geschick deuten, fällt das bei der Episode zum Finale schwerer, zumal es sich um einen Herren handelte, der ja eigentlich Galantes vorhatte. Er zupfte aus seinem Gebinde das Blühende heraus, um es einzelnen Damen zu verehren. Das machte Mühe, der Hektik geschuldet und wohl auch der robusten Blumenbindekunst. Jedenfalls war die letzte der schönen Rosen der Zerrkraft nicht gewachsen und brach kurz unter dem Kopf ab. Das geknickte Objekt wurde kurzentschlossen auf dem Dirigentenpult deponiert, und das nunmehr „reine“ Grün wanderte in die Arme der Musikerin, die beschenkt werden sollte. Das freute nun viele ihrer Kollegen und auch manchen Besucher, während die Blüte eilenden Schrittes vom Verehrer nach draußen getragen wurde.

Arndt Voß
Aufgewachsen in Neumünster, in Lübeck seit 1959. Studium in Kiel und Hamburg (Musik- und Literaturwissenschaft). Ständige Mitarbeit an den Lübeckischen Blättern von 1974 bis 2014, Berichte und Kritiken darüber hinaus in einigen anderen Organen. Schwerpunktthemen: Musiktheater, Schauspiel, Konzerte.

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