Foto: Quadro Nuevo

Kolosseum
Quadro Nuevo lässt das Lübecker Publikum schweben und schwelgen

Die virtuosen Multiinstrumentalisten zogen alte wie neue Fans am 24. Februar 2018 mit einem mitreißenden Flug über Orient und Okzident in ihren Bann.

Als ich kurz vor Konzertbeginn neben aufgeregten ErstbesucherInnen im bequemen Sessel des Kolosseums Platz nahm, hatte ich drei Fragen im Kopf:

1. Wird mich das Konzert wieder so begeistern wie die letzten Male oder gibt es doch irgendwann einen Abnutzungseffekt?
2. Was ist der Grund für die zwei Schlagwerksets?
3. Wo ist die Harfe? Wo ist Evelyn Huber?

Hier folgt die Auflösung (samt Vorspann und Beiwerk): Quadro Nuevo tourt seit 1996 durch die Länder der Welt und gab schon über 3000 Konzerte. In Lübeck waren sie vor ca. 2 Jahrzehnten das erste Mal in einer kleinen Kneipe in der Königstraße und wurden fast in einen handfesten Streit verwickelt. Es folgten Auftritte auf dem (damals noch so genannten) Traveufer-Festival, im Schuppen 6 und seit mehreren Jahren im Kolosseum. Über die Jahre bereiste das mehrfach ECHO-gekrönte Ensemble abgesehen von Lübeck so unbedeutende Orte wie Sidney, Montreal, Ottawa, Kuala Lumpur, Istanbul, New York, New Orleans, Mexiko City, Peking, Seoul, Singapur, Tunis, Tel Aviv. In Europa haben die vier Virtuosen schon fast alles mitgenommen: von ihrer Heimat im beschaulichen Oberbayern über die Alpen bis Porto, von Dänemark über den Balkan bis zur Ukraine. Da kann ja auch mal Routine aufkommen und der Murmeltiereffekt eintreten. Wirklich? Nein, war ganz und gar nicht so:

Foto: Quadro NuevoFoto: Quadro Nuevo

Das Letzte Mal brachte die Band die Ergebnisse eines Argentinienaufenthalts und das inzwischen mehr als 20.000-mal verkaufte Album „Tango“ mit. Dieses Mal hatten sie ihr aktuelles Album „Flying Carpet“ (und damit ein neues Programm) im Gepäck: Das spielten Evelyn Huber (Harfe, Salterio), Mulo Francel (Saxophone, Klarinetten, Mandoline), D.D. Lowka (Kontrabass, Percussion) und Andreas Hinterseher (Akkordeon, Vibrandoneon, Bandoneon) im Januar 2017 zusammen mit der in Ägypten wie Deutschland beliebten Sufi-Band Cairo Steps und Gästen aus Ägypten ein. In Kairo, Alexandria und Damanhour gab die neu verschmolzene Truppe von Vollblutmusikanten aus Kairo und Köln, Bagdad und Bayern drei Konzerte, bei denen auch eine ganze Reihe ägyptischer Gäste dazustießen: die in ihrer Heimat gefeierten Sufi-Sänger Ali El Helwabi und Sheikh Ehab Younis zum Beispiel, die Flötistin (und Leiterin des Kairo Opera-Kulturzentrums) Ines Abdeldaiem, Ragy Kamal an der arabischen Kastenzither Kanun, Hani Alsawaf an der Tabla sowie vier vom Cellisten Jan Boshra angeführte Streicher. Von den vielen Beteiligten war nur der junge Percussionist Max Klaas zum Konzertabend vor Ort. Dennoch gelang es den fünf Akteuren ohne Schwierigkeiten, die große Besetzung vergessen zu machen und einen Ausschnitt des aktuellen Programms (in neuen Arrangements) auf die Bühne zu bringen.

Für mich ist das im letzten Jahr erschienene Album eines der mittlerweile 18 (!), das den begeisternden Liveauftritten Quadro Nuevos mit am nächsten kommt und ein spannender Ausblick über die (sowieso schon weiten) Klanggrenzen des Quartetts hinaus. Die zumeist von Mulo Francel und Basem Darwisch geschriebenen Kompositionen enthalten die flirrende Hitze Ägyptens ebenso wie die positiven Anteile der ägyptischen Kultur und bleiben, wie soll es anders bei Quadro Nuevo sein, nicht ausschließlich dort verhaftet. „Ikarus Dream“ (eine griechisch inspirierte Impression Francels), Andreas Hinterseers vor der Reise erträumtes, Orientalisches mit Wiener Kaffeehaus-Walzer kreuzendes „Café Kairo“ und die Cairo Steps/Quadro Nuevo-Version von Eric Saties „Gnossienne No. 2“ zählten auch zu den Höhepunkten des Konzerts. Anstelle der den frei phrasierten „arabischen Blues“ überwältigenden Stimme des blinden Sheikh Ehab Younis übernahmen die Instrumente, in erster Linie die Saxophone Francels und das Vibrandoneon Hintersehers die Solopartien und führten die ZuhörerInnen in eine Welt der Basare, der ägyptischen Shisha-Bars ebenso wie in den Pariser Salon der Zwanzigerjahre und manchmal sogar in die Bierstuben einer bayerischen Wirtschaft.

Foto: Quadro NuevoFoto: Quadro Nuevo

Da mutierten Francel zum Bauchtänzer, Hinterseher zum Schlangenbeschwörer und Lowka zum Trommler, vor dem nichts sicher schien. Auch Max Klaas und Chris Gall mussten sich nicht verstecken, erhielten Raum, fügten ein paar Klangfarben dazu und sich selbst so nahtlos ein, als seien sie schon immer dabei gewesen. Nicht unwichtig bei einem Auftritt Quadro Nuevos auch dieses Jahr wieder: die amüsanten Zwischenmoderationen. Das geneigte Publikum erfuhr Näheres zu einer „postinspirativen, anaeroben Fernreisemusik“, die Wahrheit (und nichts als die Wahrheit) über das Entstehen des Tangos (zur Überbrückung des Wartens auf das gemeinsame Liebesspiel aufgrund des Mangels an geeigneten Zimmern) und wie es zu einer kleinen schwarzen Scheibe mit Loch, genauer, einer Hitsingle (45 rpm) gekommen war. Der Verkaufsstand zur blumig anmoderierten Halbzeitpause war so umlagert, dass die fünf sich fast losreißen mussten, um das restliche Programm vorzutragen.

Insgesamt überwogen im Gegensatz zu den früheren Konzerten die leiseren Töne, was bei Quadro Nuevo bisweilen ein fast intensiverer Genuss ist, da die Seele Zeit gewinnt, mit den in größter Qualität zelebrierten Tönen zu verschmelzen. Zwischendurch ging aber doch die Post ab, Lowka und Klaas lieferten sich eine Schlagwerkschlacht, Klassiker wie die Reise nach Batumi durften nicht fehlen, und schließlich forderte das Publikum unter Standing Ovations noch zwei Zugaben, um sich, falls noch nicht in der Pause geschehen, im Anschluss mit tönenden Souvenirs samt Autogrammen für den Nachhauseweg zu versorgen. Bis Quadro Nuevo dann hoffentlich wiederkommen wird, in zwei Jahren, und dann bestimmt wieder mit Evelyn Huber, die nicht krank war, wie mir versichert wurde, nur aufgrund der Tango-Programme in den Städten zuvor Chris Gall Platz gemacht hatte.


Sie haben keine Berechtigung hier einen Kommentar zu schreiben.