Piotr Anderszewski, 2017, Foto: (c) Claudia Höhne

MuK
Mozart und Mahler im sechsten Konzert der Elbphilharmoniker

Bereits der Auftritt der Elbphilharmoniker wurde beim sechsten Konzert dieser Saison (23. Februar 2018) mit lang anhaltendem Applaus bedacht und auch der von Thomas Hengelbrock, als er zusammen mit dem Solisten des Abends erschien.

Das war Piotr Anderszewski, 1949 in Warschau geboren. Er gilt als einer der ganz Großen in der Pianistenwelt und wurde neben anderem allein dreimal mit dem Echo-Klassik ausgezeichnet. Waren deshalb die Erwartungen an dieses Konzert so hoch, kaum erfüllbar?

Es war zugleich der letzte Auftritt von Thomas Hengelbrock als amtierender Chefdirigent der Elbphilharmoniker in Lübeck. Doch irgendetwas stimmte an diesem Abend nicht. Hatte man sich am Abend zuvor in der Elbphilharmonie mit dem gleichen Programm verausgabt und das Konzert in der MuK nicht ganz so wichtig nehmen können? Es fehlte nicht am Einsatz, auch nicht an der Orchestervirtuosität, aber es wurde, so kam es dem Rezensenten vor, nicht all das umgesetzt, was der Dirigent forderte. Es fehlte an der inneren Spannung beim Musizieren. Dabei sind die Konzertprogramme, die Hengelbrock anbietet, immer von besonderer Qualität, weil die Werke in einem starken inneren Zusammenhang stehen, auch dieses Mal.

Es begann mit Wolfgang Amadeus Mozarts Klavierkonzert c-Moll KV 491, das allein schon durch die Chromatik, durch die die Linie zerklüftenden Septsprünge im Thema des Kopfsatzes eine für seine Zeit ungewöhnliche Leidenschaft und Ausdruckstiefe beschwört. Mozarts Exegeten sehen darin einen Reflex auf die schwierigen Lebensverhältnisse des Komponisten in der Zeit ihres Entstehens. Ähnliches trifft auf Gustav Mahlers große cis-Moll-Sinfonie zu, die Nr. 5 in seinem sinfonischen Schaffen. Mit ihr hatte der Komponist seine Werkreihe mit einer rein instrumentalen, nicht dem Lied verpflichteten Schöpfung fortgesetzt. Deren emotionale Intensität und Weite reicht von tiefer Trauer im Kondukt bis hin zu übermütiger Lebensbejahung und nimmt den Zuhörer immer wieder gefangen.

Doch es lief anders. Bereits das Solistenkonzert wirkte weniger erregt, als es seine Struktur in Melodik und Harmonik vorgibt. Versuchte Hengelbrock auf die Dramatik im Kopfsatz bereits in der Orchesterexposition hinzusteuern, schien der Solist das nicht übernehmen zu wollen. Äußerst ruhig gestaltete er, setzte seine solistischen Akzente mit viel klassisch verbrämter Eleganz, eher versonnen, wie abgewandt. Im zweiten Satz hatte das Sinn und fügte sich zu seinem Spiel, gewann vor allem im Dialog mit den delikat aufspielenden Holzbläsern ein feinsinniges Miteinander. Der Finalsatz sprudelte wieder apart daher, ohne stärker die Charaktere der einzelnen Variationen zu vertiefen. Bei aller Bewunderung für die Finesse in Anschlag und Gestaltung seines Parts hätte man sich etwas weniger Distanz gewünscht.

Thomas Hengelbrock, 2016, Foto: (c) Olaf MalzahnThomas Hengelbrock, 2016, Foto: (c) Olaf Malzahn

Nach der Pause folgte das Klanggebirge Mahlers mit seinem düsteren Ausdruck in den beiden Anfangssätzen. Bei Mahlers Werk kann man heute nicht verstehen, warum diese Sinfonie es anfangs so schwer hatte sich durchzusetzen. Dem heutigen Hörer scheint ihr Ausdrucksgehalt einleuchtend. Das ist nicht zuletzt daran zu ermessen, dass er es als eine geniale Verbindung empfindet, wie Visconti in seiner Verfilmung von Thomas Manns „Tod in Venedig“ den langsamen vierten Satz nutzt. Nur mit Streichern und Harfe wird dort die morbide, gleichwohl in Schönheit vergehende Atmosphäre der Novelle und der Lagunenstadt eingefangen. Und auch an diesem Konzertabend bezwang die gewaltige Tonwelt wieder das Publikum, das nach dem letzten Satz mit großem Applaus Hengelbrock und dem Orchester für die Gestaltung dankte.

Dabei schien dem Rezensenten die Trauer etwa des ersten Satzes weniger intensiv geglückt als das Groteske oder Vitale der Folgenden. So war gleich anfangs das Trompetensignal wenig aggressiv, stachen die expressiven Themen des ersten Satzes weniger ins Ohr. Anders dann im Scherzo, in dem allein schon durch das wunderbar gestaltete Hornsolo sich eine andere Welt auftat, zu der der Dirigent und das Orchester an diesem Abend mehr Zugang zu haben schienen und mit deren Wiedergabe die Musiker das Publikum fesselten. Atemlos möchte man hinzufügen, denn es erstaunte schon, soll deshalb auch bemerkt werden, wie gebannt und konzentriert die Zuhörer sich verhielten. Kein Husten war in dieser erkältungsträchtigen Zeit während der Sätze zu hören!

Arndt Voß
Aufgewachsen in Neumünster, in Lübeck seit 1959. Studium in Kiel und Hamburg (Musik- und Literaturwissenschaft). Ständige Mitarbeit an den Lübeckischen Blättern von 1974 bis 2014, Berichte und Kritiken darüber hinaus in einigen anderen Organen. Schwerpunktthemen: Musiktheater, Schauspiel, Konzerte.

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