Ryusuke Numajiri, Foto: (c) Olaf Malzahn

Das Ende einer kurzen Ära
Ryusuke Numajiris konzertantes Finale

Das war’s nun. Ryusuke Numajiri stand am 16. und 17. Juli 2017 ein letztes Mal als verantwortlicher GMD vor dem Philharmonischen Orchester der Hansestadt Lübeck.

Es wurde ein heftig applaudiertes Finale, eines, das ein Jahr früher erklang, als seine vertragliche Amtszeit es notwendig machte. Der Japaner hatte selbst um die Verkürzung seines Vertrages gebeten, um sich ausgiebiger seinen vielseitigen Interessen als Dirigent, Pianist und Komponist widmen zu können.

Für seinen Abschied hatte er das Programm gewählt, das laut Jahresplanung bereits für das Juni-Konzert vorgesehen war. „Über die Grenzen“ war dafür als Motto gewählt. Es passte damit zufällig (?) genau zum diesjährigen Schwerpunkt des Schleswig-Holstein Musik Festivals. Doch nicht nur die impressionistische Musik des westlichen Nachbarn wurde in dem Programm trefflich bedient, auch Maurice Ravel, der für die Komponisten-Retrospektive erkoren wurde. Seine Ballettmusik „Daphnis et Chloé“ wurde in der vollständigen Version gewichtigster Beitrag. Nur schade, dass die SHMF-Leitung so wenig geneigt ist, das Lübecker Orchester einzubeziehen. Mit diesem Abend hätte es einen hörenswerten Beitrag eines engagierten Klangkörpers bekommen.

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Ryusuke Numajiri blieb sich mit seiner Leistung treu. Geschickt war das Programm aufgebaut, das mit Emmanuel Chabriers „Marche joyeuse“ wirkungsvoll begann. Der hier bombastisch klingende Marsch allerdings erhielt durch das stürmische Temperament des Dirigenten zu viel an Lautstärke, war schmissig, aber nur in den solistischen Partien durch die Orchestermusiker differenziert. Dem folgten zwei Kompositionen, die den Bereich des Solokonzertes abdeckten, zunächst Claude Debussys „Première Rhapsodie“, dann Darius Milhauds „Scaramouche“, beide für Klarinette und Orchester, beide zunächst anders instrumentiert. Die Reihenfolge machte Sinn, obwohl das Programmheft sie umgestellt aufführte, steigerte sich doch die Außenwirkung erheblich.

Debussy, Jurymitglied am Pariser Conservatoire, hatte das sensible, den Klang des Instrumentes grandios nutzende Werk 1909 für Klarinetten-Abschlussprüfungen geschrieben, zunächst mit dem Klavier als Partner. Dann arbeitet er den Begleitpart für Orchester um. Es entstand ein Werk raffiniert impressionistischen Gepräges, das der italienische Klarinettist Giampiero Sonbrino in all seiner klanglichen und artistischen Raffinesse vom versonnenen Beginn bis hin zum intensiven Schluss begeisternd interpretierte. Doch erst Milhauds beliebte dreisätzige Komposition, die 1939 für zwei Klaviere entstand, gab dem ersten Teil mit dem jazzartigen Gestus einen impulsiven Schluss, besonders durch die „Braziliera“. Bei ihr bewegten sich die Schlagzeuger wie bei einer Show im Takt und der Dirigent machte mit lockerem Hüftschwung sein Tänzchen dazu. Auch wenn er sich vor allem darauf zurückzog, Einsätze zu geben und das vom Solisten bestimmte Tempo weiterzugeben, brandete großer Beifall auf. Für ihn bedankten sich Solist und Orchester mit einer vorweg einstudierten Zugabe sehr ruhigen Charakters.

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Nach der Pause folgte dann die expansive Ballettmusik, die Ravel nach einem spätantiken Liebesroman des Dichters Longus geschaffen hatte. Erzählt und in Töne umgesetzt ist die Geschichte der Hirtenkinder Daphnis und Chloé, die durch Piraten getrennt werden, aber durch Pans und der Nymphen Hilfe wieder glücklich zueinander finden. Für die naturhaft rauschenden Stimmungen, für vehementes Schlachtengetümmel und Pans göttliche Hilfe, dazu für Tänze sehr unterschiedlichen Charakters, einer davon mit bukolischem Freudenausbruch als effektvoller Schluss, hatte Ravel einen riesigen Klangapparat genutzt, der neben den Orchesterinstrumenten einen großen Chor fordert, gebildet hier vom Chor des Theaters (Leitung: Jan-Michael Krüger) und Hamburger Carl-Philipp-Emanuel-Bach-Chor (Leitung: Gabriele Pott). Die Stimmen allerdings singen nur wortlose Kantilenen, ihr Klang wird als Farbe genutzt. Numajiri hatte viel zusammenzuhalten, vermochte dieser Partitur vor allem zum Schluss Wirkung zu geben. Das ließ manche Unebenheit und Länge (am Montag) vergessen. Das Publikum hatte ihn dem Beifall nach schätzen gelernt und verabschiedete ihn mit großem, Ovationen nahekommenden Beifall, das Orchester mit Blumen und kleinen Geschenken.

Eine Ära von drei Jahren ging zu Ende. Numajiri wird als Dirigent der geschwinden, impulsiven Tempi in Erinnerung bleiben. Sie aber verhinderten oft die Feinheiten, die differenzierte Klanggestaltung. Was wird der Nachfolger bringen?

Fotos: (c) Olaf Malzahn

Arndt Voß
Aufgewachsen in Neumünster, in Lübeck seit 1959. Studium in Kiel und Hamburg (Musik- und Literaturwissenschaft). Ständige Mitarbeit an den Lübeckischen Blättern von 1974 bis 2014, Berichte und Kritiken darüber hinaus in einigen anderen Organen. Schwerpunktthemen: Musiktheater, Schauspiel, Konzerte.

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