„Irgendwo auf der Welt“
Eine Revue mit Musik der 1920er und 30er Jahre an der Musikhochschule

Nicht „Irgendwo auf der Welt“, nein, an der Obertrave, in den Räumen der Musikhochschule, war das große Glück zu finden, das in den Schlagern und Songs versprochen wird und das so mancher sich auch für seine Karriere erhofft: „Irgendwo, irgendwie, irgendwann.“ Nichts Passenderes als dieser „Blonde Traum“ von Lilian Harvey konnte als Leitmotiv zu der Revue gefunden werden, zu Anfang gepfiffen, zum Schluss vom großen Chor a cappella angestimmt.

Der Große Saal war in eine veritable Varietébühne verwandelt worden. Ein roter Vorhang rauschte auf und zu, und über Treppen und Podeste mit glitzernden Lichtbändern ließ sich wirkungsvoll stolzieren und tanzen. Davor bot ein großer Orchestergraben Platz für eine wahrhaftige „Big“-Band, für einen Flügel und allerlei Schlagzeug. Rechts lud eine Bar ein. Das alles machte schon optisch viel her. Und dann die Musik! Die Studenten, aufgewachsen mit einer ganz anderen Popmusik, brachten den Sound der 20er und 30er gekonnt herüber und begeisterten mit den nun schon 100 Jahre alten Ohrwürmern. Die insgesamt drei ausverkauften Aufführungen (2. und 3. Juli 2016) sind vorbei, aber es gibt noch am 14. Juli in Timmendorfer Strand eine Möglichkeit, das Erlebnis konzertant nachzuholen.

Bernd Ruf, gerade erst mit dem Golden Melody Award ausgezeichnet, dem taiwanesischen „Grammy“ oder „Echo“, und seit 2004 Professor für Popularmusik, Jazz und Weltmusik an der MHL, hatte wie gewohnt gründlich vorbereitet, sprühte einmal wieder vor Energie und Einfallsreichtum. Erarbeitet wurde die Revue als interdisziplinäres Projekt im Studiengang „Musik Vermitteln“, Beginn bereits im November 2015. Nun präsentierten die acht Studierenden das muntere, mitreißende Ergebnis, standen zudem selbst als Mitwirkende auf der Bühne, in den Hauptrollen Katharina Horst de Cuestas als Lilian und Konstantin Busack als David. Ariane Jahn war eine der Bardamen, Ida-Marie Brandt eines der leichten Mädchen. Jonas Nay gab den Regisseur und Jonas Gerber war der Klarinette spielende Shmuel. Adeline Block und Dorothee Louise Natorp schließlich hatten im Chor ihre Auftritte. Von Choreographie und Tanz bis zu den Kostümen und der Maske, von Technik und Bühne bis zur Pressearbeit, von Skriptgestaltung bis zur Orchesterkoordination wurde alles von ihnen vorgeplant und arrangiert.

70 Studenten waren beteiligt, als Solisten oder als Barbesucher und Matrosen, beim Charleston oder Stepptanz, im Chor oder Orchester. Die Vielfalt war erstaunlich und fügte sich gut in den Handlungsablauf im Hamburg der Zeit um 1930 mit den politischen Wirren ein. Thema war natürlich Musik und Tanz und, wie könnte sie fehlen, die Liebe, gewürzt durch Neid, Missgunst und Intrige. Die wird von Viktoria angezettelt, Diva in einem Revuetheater. In Lilian, einer der Tänzerinnen, wittert sie eine Konkurrentin und fürchtet um die Gunst Willem von der Burgs, des Besitzers des Theaters. Lilian (wem kommt nicht Lilian Harvey als Vorbild in den Sinn?) ist mit David verlobt, in dessen Hafenkneipe ihr Können als Sängerin entdeckt wird und wo durch Jazz und auch durch Klezmer eine ganz andere Atmosphäre herrscht als in dem operettenseligen Revuetheater.

Varieté oder Revue sind der Inbegriff leichter Unterhaltung. Wie schwer sie wirklich ist, auch das machte diese Inszenierung deutlich. Von scheinbar einfachen Arrangements des Couplets An de Eck steiht 'n Jung mit 'n Tüddelband über das Nachsingen der kunstvollen Vokalsätze der heute noch vorbildhaften Comedian Harmonists, von Filmschlagern wie Das kann doch einen Seemann nicht erschüttern bis zu Operettenhighlights wie Ja, das Temperament und schon konzertmäßiger Präsentation von Jazz-Standards oder von Gershwins Rhapsody in Blue, alles hatte eine so große mitreißende Wirkung, dass das Publikum, durchweg nicht im Alter von 90+, gern und lautstark beim Mitsing-Medley einstimmte.

Die Unzahl der Mitwirkenden verbietet eine namentliche Nennung, zumal Mängel in Spiel und Sprache durch gesangliche Fähigkeiten kompensiert wurden. Der Schlussbeifall zumindest wollte nicht enden. 


Fotos: (c) Olaf Malzahn

Arndt Voß
Aufgewachsen in Neumünster, in Lübeck seit 1959. Studium in Kiel und Hamburg (Musik- und Literaturwissenschaft). Ständige Mitarbeit an den Lübeckischen Blättern von 1974 bis 2014, Berichte und Kritiken darüber hinaus in einigen anderen Organen. Schwerpunktthemen: Musiktheater, Schauspiel, Konzerte.

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