Für den Besuch der ewigen Stadt im September 2024 stimme ich mich mit Literatur ein, in der der Schauplatz Rom eine Hauptrolle spielt.
Die antiken Stätten stöhnen unter dem Besucheransturm. Im heiligen Jahr 2025 wird sich der Touristenandrang verstärken. In "Der Standard" lese ich im Oktober 2024, dass die Stadtverwaltung in Rom sich in Zukunft für einen begrenzten und zeitlich festgelegten Zugang zum Trevi Brunnen ausspricht. An den Metro-Stationen Termini, Colosseo, San Pietro und Barberini stauen sich die Menschen an den Bahnsteigen. Der Trevi-Brunnen ist im September von Menschenmassen umlagert. Ein kurzer intensiver Genuss, den Barock-Monumental-Brunnen, auch das Forum Romanum erneut zu erleben.
Der Trevi-Brunnen
Im Reisegepäck habe ich: Hanns-Josef Ortheil, Italienische Momente, 2020, btb. Je ein Kapitel widmet der Autor seinem wiederholten Ankommen in der Stadt in verschiedenen Jahren und beschreibt sein Staunen, seine Eindrücke in der Stadt und vergleicht, wie sie sich verändert. Als Achtzehnjähriger Ende der sechziger Jahre kommt er am Abend auf der Stazione Termini an: "..es ist kurz nach zweiundzwanzig Uhr, vor der Stazione Termini drängen sich die Ankommenden in die Busse und verschwinden ins Zentrum. (S.10)
...Es sind etwa zweihundert Meter bis zur Piazza della Repubblica, einem kreisrunden Platz mit einer großen Brunnenanlage. Von dort geht der Blick einen breiten Corso hinab in die vom gelben Straßenlicht durchfluteten Häuserschluchten. Der unermüdlich fließende Verkehr. Die Kaffeearomen in der Nähe der Brunnen. Die hohen Pinien mit ihren hellbraunen, gefleckt im Neonlicht schimmernden Stämmen. (S. 11)
An der Villa Adriana in Tivoli zu spazieren, gehört für mich zum Rombesuch dazu. Im September 2024 schütze ich mich mit Hut und Sonnenbrille. Hitze in Rom kann den Besuch erschweren.
Hanns-Josef Ortheil: "Villa Adriana in Tivoli, morgens, kurz nach der Öffnung um neun. Die Hitze hat sich noch nicht ausgebreitet, das Wasser in den beiden lang gestreckten Becken scheint wirklich noch Wasser zu sein und nicht der algengrüne, ölige und beinahe unbewegliche Film, der in der Mittagsschwere zu pastoser Schwere erstarrt. Die großen Ziegelmauern erscheinen in der offenen, weiten Landschaft wie Achsen, die auf ein fernes Ziel verweisen, das niemand kennt, überhaupt ist die Architektur schwer überschaubar, eine ruinöse Verklammerung seltsamster Gänge und Halbrunde, in denen der Besucher hoffnungslos fremd umhergeht, vorsichtig, als könnte er in jedem Augenblick von etwas Unvorhergesehenem überrascht werden." (S. 89)
Villa Adriana in Tivoli
Wiederentdeckt habe ich die Autorin Marie Luise Kaschnitz (1901 - 1974), inspiriert von dem feinen schmalen Buch von Juliane Ziegler, Herzlandschaft, Marie Luise Kaschnitz und Italien, September 2024, ebersbach & simon.
Der biografische Band bietet einen Einblick in das Leben Intellektueller in Italien von den zwanziger Jahren bis zum Tode der Marie Luise Kaschnitz in Rom 1974. Marie Luise Kaschnitz lebt mit ihrem Mann Guido Kaschnitz, einem Archäologen, erneut in den fünfziger Jahren in Rom und findet dort ihre Inspiration zum Schreiben:
"Marie Luise und Guido lebten in einer geräumigen Wohnung im Stadtteil Parioli an der Piazza Pitagora, in einem der vornehmsten Viertel Roms. Hier konnte man manchmal Löwen brüllen hören, der Zoologische Garten war nicht weit, der Weg in die Innenstadt führte am Elefantengehege und an Vogelvolieren vorbei." (S. 75)
"...von der Wohnung aus genoss Marie Luise den Blick auf die riesigen Zedern und Pinien eines kleinen Parks vor der Tür namens Villa Taverna." (S. 76)
Via Appia Antica
Marie Luise Kaschnitz selbst schreibt in ihrer Erzählung "Wege" in "Lange Schatten",1993, Claassen (antiquarisch) über einen Spaziergang auf der Via Appia in Rom: "...Danach wanderten wir auf der Via Appia immer weiter, immer einsamer, ein Feldweg nun, dann ein Wiesenpfad zwischen Kamillen, Margeriten und wildem roten Mohn, den Bergen, dem Ort Albano zu. Die Grillen sangen, in die Bogen der Wasserleitung trat das rosige Abendlicht, und ein Hirte trug ein eben geborenes Lamm, flaumig und blutig, auf seinen Schultern der Herde nach. Diesen Weg gingen wir später noch unzählige Male, er veränderte sich mit den Jahren, über das alte römische Straßenpflaster wurde eine Asphalthaut gezogen, und die glühende Lichterkette, die sich auf ihr bewegte, riß (sic) nicht mehr ab in der Nacht." (S.187)
Den Roman von Gianfranco Calligarich "Der letzte Sommer in der Stadt", 2022, Zsolnay lese ich als melancholische Hymne an die Stadt Rom. Er erschien 1973 und wurde 2010 mit einem großen Presseecho neu aufgelegt. Laut der "Nachbemerkungen des Italienischen Verlages" war der Roman Thema in Diplomarbeiten und wurde in Lesekreisen diskutiert. Die Beschreibungen erinnern mich an den Film "La dolce Vita" von 1963 von Fellini. Mit stilistischer Raffinesse bietet der Autor Einblicke in den römischen Zeitgeist der siebziger Jahre. Wir nehmen teil an den Eskapaden des Protagonisten, unverkennbar des Alter Egos des Autors, seiner Suche nach Liebe und Leben.
Mit der Metro zur Station Ostia zu gelangen, am Ostia Lido zu promenieren, in Caffés einzukehren, ist für mich dolce vita pur, Erholung von dem Treiben der Menschen in Trastevere. Wunderbar, in Ostia auf den Spuren des Regisseurs und Dichters Pasolini zu flanieren und das "Monumente a Pier Paolo Pasolini" zu besuchen.
Lido di Ostia
Gianfrano Calligarch: "Jeden Tag stattete ich dem Meer einen Besuch ab. Mit einem Buch in der Jackentasche nahm ich den Zug nach Ostia und verbrachte einen großen Teil des Tages lesend in einer kleinen Trattoria am Strand. Dann kehrte ich in die Stadt zurück und lungerte an der Piazza Navona herum, wo ich Freunde gefunden hatte, alles Leute, die sich wie ich herumtreiben, Intellektuelle hauptsächlich, mit erwartungsvollen Augen und Gesichtern wie auf der Flucht. Rom war unsere Stadt, sie duldete und umschmeichelte uns, und auch ich erkannte schließlich, dass sie trotz der Gelegenheitsjobs, trotz der Hungerwochen, trotz der feuchten, dunklen Hotelzimmer mit den vergilbten, knarrenden, wie von einer obskuren Leberkrankheit getöteten und ausgetrockneten Möbeln der einzige Ort war, an dem ich leben konnte... Mehr noch als eine Stadt ist Rom ein geheimer Teil von euch, ein verstecktes Raubtier. Mit ihm gibt es keine halben Sachen, entweder die große Liebe, oder ihr müsst da weg, denn das fordert das sanfte Raubtier: Liebe." (S.16)