Lars Saabye Christensen, Foto: (c) Morten Krogvold

Büchertipps
Oslo in der Literatur

Die Stadt Oslo zu besuchen, steht auf meiner Reisewunschliste. Wenn ich in eine Stadt reise, lese ich mit Vorliebe Romane, in denen der Schauplatz meines Reiseziels eine besondere Rolle spielt. Norwegische Autoren wie Jostein Gaarder mit "Sophies Welt" und "Mein treuer Freund" sowie Per Petterson kommen mir in den Sinn.

Zwei Romane mit Oslo als Schauplatz sollen mich in das nordische Ambiente einführen:

In "Die Spuren der Stadt" entführt uns der Autor Lars Saabye Christensen (1953 in Oslo geboren) in die Stadt Oslo in der Nachkriegszeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Im Jahr 1948 ist das Leben in der Stadt von den Nachwirkungen der  deutschen Besatzung während des Zweiten Weltkrieges geprägt. Im Mittelpunkt steht die Familie Kristoffersen, die im Kirkeveien, einem ländlich geprägten Stadtteil Oslos, in der Wohnanlage Jessenlokken lebt.

Im Prolog wird die Atmosphäre des Wohnviertels der Familie beschrieben: "Dann sind wir auf Jessenlokken angekommen, der als Fagerborgs Versailles bezeichnet werden kann: die großen rechteckigen Wohnblocks mit sonnigen Hinterhöfen in der Mitte und Fassaden zum Kirkeveien, zur Jonas Reins gate, Jacob Aalls gate und der Gorbitz gate." (S. 11) Der Platz Majorstua, wird an einer Stelle als Kirkeveiens Petersplatz bezeichnet, an anderer Stelle gleicht er eher dem Times Square in New York.

Jesper Kristoffersen, zu Beginn des Romans sechs Jahre alt, wird von dem Arzt Dr. Lund die Diagnose "sensibel" bescheinigt. Er freundet sich mit dem Schlachtersohn Jostein an, der sein Gehör verliert. Es ist berührend zu lesen, wie die beiden Jungen sich in ihrer Freundschaft ergänzen, wie Jesper für Jostein hören will.

Oslo feiert in dem Jahr seine 900 Jahre. Vater Ewald, der in der Werbebranche tätig ist, ist beauftragt, die Festivitäten für das 900-Jahr-Jubiläum zu planen. Er hat das Ziel, die Rolle der Frauen in Oslo in besonderer Weise hervorzuheben. Mutter May ist stolz, ehrenamtlich als Buchhalterin beim Roten Kreuz tätig sein zu dürfen. Sie ist sehr glücklich, als eine der ersten einen Telefonanschluss zu bekommen.

Der Autor beendet seine Kapitel mit Protokollen von Sitzungen des Roten Kreuzes. Nach dem Tod seiner Mutter hat er die Sitzungsprotokolle des Norwegischen Roten Kreuzes gefunden, die sie als Schriftführerin aufbewahrt hatte. Sie verleihen dem Text eine besondere Authentizität; anhand der Protokolle erfahren wir von Wohltätigkeitsaktivitäten in der Stadt, wie z.B. geplanten Basaren, Seniorenausflügen und Spendeneinnahmen. Sie geben einen Einblick in die schwierige wirtschaftliche Situation und das soziale Gefüge in Fagerborg.

In die Innenseiten des Romans sind Karten des Zentrums Oslos eingeheftet. Ich werde dem Leben der Protagonisten nachspüren, die Häuser von außen betrachten, in die sie ein- und ausgehen. Ich frage mich dann, sehen die Häuser noch so aus, wie in dem Roman beschrieben? Werde ich die Atmosphäre in Kirkeveien so erleben, wie in dem Roman dargestellt?

"Der Kirkeveien hat an einem Samstagmorgen im September etwas Besonderes an sich. Das liegt an den Gerüchen, ein schwacher Duft von Malz aus der Brauerei in der Pilestredet vermischt sich mit der Frische der Nordmarka." (S. 214)

"Der Sommer lässt diese Stadt noch tiefer zwischen die Hügel sinken, wobei sie die, die geblieben sind,emporhebt, nachdem die anderen verreist sind, emporhebt in eine majestätische Einsamkeit. Der Sommer ist hier keine Jahreszeit. Der Sommer ist ein Zeitraum. Das gilt auch für Fagerborg. Sehen wir uns die Sache mal genauer an: der Kirkeveien wirkt breiter als sonst. Man könnte ihn einen Boulevard nennen, aber einen menschenleeren Boulevard." (S.176)

Die "Spuren der Stadt" von Lars Sabyyye ist ein langsam, warmherzig erzählter Roman, voller Melancholie und leisem Humor.

Lars Saabye Christensen, Die Spuren der Stadt, aus dem Norwegischen von Christel Hildebrandt, 2019 btb, Amazon.

Der Roman der norwegischen Autorin Toril Brekke (1949 in Oslo geboren) "Der rostige Klang von Freiheit" ist zwanzig Jahre später angesiedelt. Der farblich elegant gestaltete Einband, der einige junge Mädchen und Männer auf einem Sprungbrett zeigt, macht neugierig auf den Roman. Toril Brekkes Coming-of-Age-Roman führt uns in verschiedene Stadtteile Oslos.

Man fühlt sich sogleich eingebunden in das Jahr 1968, ein Jahr, das Erinnerungen an Studentenrevolten, Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg, Hippies, neue pädagogische Konzepte wach werden lässt... Auch in Oslo herrscht Aufbruchstimmung.

Die Ich-Erzählerin Agathe strebt nach Freiheit und meldet sich heimlich von ihrem konservativen Gymnasium ab, um mit ihren Freunden zum neu eröffneten Versuchsgymnasium zu wechseln. Sie wird von ihrer Mutter, einer exzentrischen Musikerin, verlassen und begibt sich zusammen mit ihrem jüngeren Bruder auf die Suche nach ihr.

Vordergründig erscheint die Familie, die wir heute als Patchwork-Familie bezeichnen würden, als harmonisch und bürgerlich mit einer Neigung für Literatur und Musik. Untergründig spüren wir Ungereimtheiten und Familiengeheimnisse. Die Ich-Erzählerin Agathe und ihr Bruder Morten leben mit der Ungewißheit, wer ihr leiblicher Vater ist.

Die Atmosphäre in der Umgebung ihrer Wohnsiedlung in Lilleberg wird als kleinstädtisch mit bunten Reihenhäusern beschrieben: "Unseres war rot. Das andere war gelb. Außerdem lag ein blaugrünes am Hang nach oben zum Lillebergvei, dort, wo er vom Grensevei abbog. Der Rest waren Wohnblocks, in Lilleberg und Hovin, in unterschiedlichen Farben, in unterschiedlichen Formen." (S.8)

Agathes konservative Großeltern leben in Bekkelaget, einem Vorort von Oslo. Zum Baden fahren die Jugendlichen nach Nesodden mit der Fähre. Die Ich-Erzählerin zieht in die Wohnung eines Freundes, der eine Zeitlang ins Ausland geht. Sie liegt in Helgesens gate, wo sie allein und zusammen mit ihrer Clique ihre Freiheit auskostet.

Ihr Sommergeld geht zu Ende; sie sucht nach einer Möglichkeit, Geld zu verdienen: "Als ich den Platz zwischen Straßenbahnhaltestelle und Theater erreicht hatte, legte ich den Regenmantel auf den Boden, darauf das Kissen, dann setzte ich mich im Schneidersitz und öffnete das Etui. Ehe ich anfing zu spielen, legte ich die grüne Mütze vor mich hin. Ich spielte Mozart." (S. 101)

Toril Brekke ist ein packender Roman gelungen, der sowohl durch das Zeit- als auch das Lokalkolorit besticht. Der Roman ist virtuos ins Deutsche übertragen von Gabriele Haefs. Von Gabriele Haefs als Oslo-Kennerin werde ich auch das Buch "111 Orte, die man in Oslo gesehen haben muss", 2022 im Emons Verlag erschienen, in meinen Rucksack einpacken.

In die Reise einstimmen werde ich mich mit der wiederholten Betrachtung des Gemäldes von Edvard Munch "Die Söhne des Dr. Max Linde" im Lübecker Museum Behnhaus Drägerhaus. In Berlin schaue ich mir die Sonderausstellung mit Werken von Edvard Munch in der Berlinischen Galerie an.

....und im Dezember erscheint das Biopic "Munch" im Kino.

Toril Brekke, Ein rostiger Klang von Freiheit, 2022 Stroux-Edition, Amazon.

Die Bücher sind in den inhabergeführten Buchhandlungen BellingProsa, Buchfink, Arno Adler, Langenkamp, maKULaTUR, StörtebekerBuchstabe und Bücherliebe erhältlich.


Sie haben keine Berechtigung hier einen Kommentar zu schreiben.